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Pressefreiheit

Warum die türkische Regierung solche Angst vor Deniz Yücel hat

Wir haben in den Texten des 'Welt'-Korrespondenten nach der Antwort gesucht.

Die Nachricht, dass der Journalist Deniz Yücel in der Türkei verhaftet worden ist, war für niemanden eine Überraschung, der sich mit seiner Arbeit dort beschäftigt hat. So kompromisslos, wie Yücel von Anfang an über das Land berichtet hat, musste es irgendwann so kommen. Weil die türkische Regierung unter Erdoğan einfach zu feige ist, um jemanden wie Yücel zu tolerieren.

Als Yücel vor zwei Jahren seinen Wechsel vom taz-Kolumnisten zum Türkei-Korrespondenten für die Welt bekannt gab, war eigentlich schon klar, dass bald die Fetzen fliegen würden. Denn Yücels Bereitschaft, sich mit sämtlichen Autoritäten anzulegen, hatte ihm schon im liberalen Deutschland so ziemlich das Maximum an Ärger eingebracht, das man als Journalist erreichen kann: Rügen vom Presserat, Gerichtsprozesse und Ärger mit Sascha Lobo. Manchmal schoss Yücel auch ein bisschen übers Ziel hinaus, wenn er zum Beispiel Thilo Sarrazin einen zweiten Schlaganfall wünschte. Aber immer ist es eine Freude, Yücel dabei zuzuschauen, wenn er sich durch die Empfindlichkeiten seiner Leser metzelt wie ein tollwütiger Samurai. Es gibt immer noch Leute, die ihm seine Texte aus der taz so übelnehmen, dass sie ihm noch heute wünschen, er möge für immer im türkischen Knast versauern.

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Dann brachen 2014 die Gezi-Proteste in Istanbul aus, und auch für Yücel begann plötzlich ein neues Kapitel. Er verbrachte Wochen in Istanbul, um für die taz über diese hoffnungsvolle, anti-autoritäre Bewegung zu berichten. Das Buch, das aus seinen Reportagen entstand, sorgte schließlich dafür, dass die Welt ihm den Job als festen Türkei-Korrespondenten anbot. Und plötzlich war Yücel genau am richtigen Platz.

Wer ihn bis dahin noch für einen Krawall-Journalisten à la Broder gehalten hatte, der aus Langeweile im sicheren Deutschland herumkrakeelt, wurde belehrt: Yücel drehte in der Türkei erst richtig auf. Er legte seine ganze Kompromisslosigkeit und Wut in seine Berichterstattung über das Land, das immer weiter in den Autoritarismus schlittert.

Vom ersten Artikel an schrieb er so frei, als ginge ihn das gar nichts an, dass die Türkei für kritische Journalisten ein zunehmend schwieriges Pflaster wurde. Über zwei Jahre berichtete Yücel immer wieder über die autoritären Bestrebungen des türkischen Präsidenten Erdoğan, ohne sich um die Konsequenzen zu scheren. Er diagnostizierte dessen Regime "die Zutaten einer totalitären Diktatur", prangerte den Umgang mit der kurdischen Opposition an, beschrieb, wie die Regierung den missglückten Putsch zum Anlass nahm, um ihre Kritiker noch rücksichtsloser mundtot zu machen. Und natürlich verfolgte er ganz genau, wie die Regierung immer offener Krieg gegen unabhängige Journalisten führte – er war sich der Gefahr also durchaus bewusst.

Yücel hat dabei aber nicht nur aus Istanbul berichtet. Wenn es sein musste, überquerte er auch heimlich die Grenze nach Syrien, um aus dem völlig zerbombten Kobane über den Konflikt zwischen Kurden und dem sogenannten "Islamischen Staat" zu berichten. Er traute sich auch in den Bürgerkrieg, der die kurdischen Gegenden wieder erfasst hat – und berichtete auch hier, ohne sich für eine Seite vereinnahmen zu lassen. Im umkämpften Cizre hieß das, nicht nur das Vorgehen des türkischen Militärs zu kritisieren – sondern auch die Taktik der jugendlichen Rebellen, die durch ihren Häuserkampf Zivilisten in Gefahr brachten. Yücel lässt sich von niemandem sagen, was er zu schreiben hat.

Diese Haltung hat ihm schon vor dieser Verhaftung Ärger eingebracht. Im Juni 2015 wurden er und drei andere Journalisten schon einmal kurz verhaftet, weil sie auf einer Pressekonferenz kritische Fragen gestellt hatten. Im Februar 2016 starteten regierungsnahe Medien eine Hetzkampagne gegen ihn, weil er es gewagt hatte, Angela Merkel zu fragen, ob sie die Missstände in der Türkei bewusst ignoriere, um das Flüchtlingsabkommen mit der Regierung nicht zu gefährden.

Deniz Yücel wusste also, dass er ein hohes Risiko einging, indem er weiter aus der Türkei über die Türkei berichtete, was er für die Wahrheit hielt. Dass er trotzdem immer weiter macht, ist genau der Grund, warum die türkische Regierung solche Angst vor ihm hat.

Wenn du Deniz Yücel in seiner aktuellen Situation helfen willst, kannst du damit anfangen, die "Free Deniz"-Facebook-Seite zu liken.