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Einäscherung

Vorwurf: In einem Regensburger Krematorium werden heimlich Körperteile entsorgt

Immer dienstags brachte eine Unbekannte Müllsäcke mit menschlichen Organen und Gliedmaßen.
Foto: imago | roland mühlanger

Die Augenzeugenberichte von ehemaligen Mitarbeitern des Regensburger Krematoriums lesen sich wie der Prolog eines trashigen Thrillers, den man im Bahnhofskiosk aus Ironie anliest – und dann doch für 9,99 Euro kauft, weil die Geschichte sich zu gut liest. Laut eines Spiegel-Berichts passierte in Regensburg Folgendes:

Dienstag, es ist zwischen 10:30 Uhr und 11:30 Uhr. Ein schwarzer Honda fährt vor das Krematorium im Norden der Stadt. Eine Frau steigt aus und öffnet den Kofferraum. Sie hievt zwei Müllsäcke heraus – in manchen Wochen vier. In den Plastiksäcken glibbern menschliche Organe, Gliedmaßen und Blutproben – Herzen, Lungen, Nieren und Lebern, aber auch abgetrennte Füße und Arme. Die Mitarbeiter des Krematoriums nehmen die Leichenteile entgegen, von der Frau, die sie als "Maria" kennen, und verteilen sie auf Särge, in denen bereits die kalten Körper von Verstorbenen liegen. Die Särge werden verbrannt, die Asche in Urnen gefüllt und bestattet.

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So soll es laut Zeugenberichten zwischen 2011 und 2015 im Regensburger Krematorium zugegangen sein. Die Staatsanwaltschaft vermutet, dass es um weit mehr als 1.000 unorthodox entsorgte Müllsäcke geht. Jetzt könnte man denken: OK, ein Krematorium ist ja genau dafür da, Leichenteile zu entsorgen und zu verbrennen. Das Problem ist aber: Niemand weiß so recht, woher der Inhalt der Säcke stammt.

Die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft laufen schon seit August 2016. Erst am vergangenen Dienstag ließ die Staatsanwaltschaft aber die Räume des Krematoriums durchsuchen. Freiwillig händigten die Mitarbeiter den Beamten die Unterlagen aus. Der Vorwurf der Staatsanwaltschaft lautet nun, dass zwischen 2011 und 2015 in rund 200 Fällen illegale Verbrennungen stattgefunden haben. Die Dunkelziffer könnte jedoch höher sein.

Die Staatsanwaltschaft vermutet, dass es sich um die Überreste aus medizinischen Eingriffen handelt, aus Krankenhäusern und den Praxen niedergelassener Ärzte, die dann illegal im Krematorium entsorgt wurden. Die Uniklinik allerdings sei nicht von den Ermittlungen betroffen, so Katja Russwurm von der Uniklinik Regensburg gegenüber dem Regionalmagazin idowa.

Schlimm wäre das auch für die Angehörigen, die damit leben müssten, dass in der Urne ihres Verstorbenen auch noch die Asche von Körperteilen fremder Personen ruht. "Ich finde das sehr bedenklich", so Stephan Neuser vom Bundesverband der Bestatter zu VICE. "Von so einem Fall habe ich vorher noch nie gehört. Das ist auch nicht im Sinne der Bestattungsgesetze."

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Möglicherweise reichen die Verbrechen noch weiter in die Vergangenheit zurück. Bereits seit 20 Jahren seien regelmäßig Körperteile, Blut und Gewebeproben illegal verbrannt worden, zitiert der Regionalsender TVA eine anonyme Quelle. Von "riesen, riesen Mengen" und "Mafia-Verhältnissen" ist die Rede.

Medizinisch und rechtlich ist genau festgelegt, wie menschliche Körperteile entsorgt werden müssen. Es gibt dafür spezielle Behälter, die sobald einmal verschlossen nicht mehr geöffnet werden dürfen und in einem abgeschlossenen Raum, einer Art "Bunker", bis zur Abholung gelagert werden. Jeder Behälter muss sorgfältig beschriftet sein, damit sich der Inhalt genau zurückverfolgen lassen kann, so Russwurm. In Bayern existieren nur zwei Verbrennungsanlagen, in denen Körperteile und Organabfälle ihre letzte Ruhe finden: die AVA Abfallverwertung Augsburg GmbH und die GSB Sonderabfall-Entsorgung Bayern GmbH. Eine Verbrennung "unter der Hand" ist natürlich billiger.

Bisher handelt es sich erst um einen "Anfangsverdacht", so Theo Ziegler von der Staatsanwaltschaft gegenüber dem Bayerischen Rundfunk. Eine Einschätzung, wie die Strafe letztendlich ausfallen könnte, ist auch gar nicht so einfach. Hätten die in die Särge geschmuggelten Füße und Gallenblasen als Sondermüll entsorgt werden müssen, fallen nach dem Bayerischen Abfallwirtschaftsgesetz bis zu 50.000 Euro Strafe für diese Ordnungswidrigkeit an. Ist es dazu noch eine Störung der Totenruhe, drohen den Tätern bis zu drei Jahren Gefängnis. Und dann gibt es noch den "beschimpfenden Unfug am Körper eines Toten", was hier jedoch als Beschimpfung angesehen wird, entscheidet letztendlich der Richter.

Doch das Regensburger Krematorium scheint noch mehr Dreck am Stecken zu haben. Es gab offenbar nämlich auch noch zwei Betrugsdelikte, so der Spiegel. So verschickten die Mitarbeiter Urnen als normale Pakete, ließen die Angehörigen aber den Spezialpreis für Urnenversand von 32 Euro zahlen. Und sie sollen auch noch die bei Trauerfeiern gesammelte Kollekte in die eigene Tasche gewirtschaftet haben.

Kriminelle Vergehen in Krematorien liefern leider nicht nur regelmäßig Stoff für billige Thriller. Denn auch wenn in Regensburg zum ersten Mal der Verdacht aufkommt, dass sich in den Särgen illegale Organe befunden haben mögen, haben sich schon so einige schauerliche und wahre Geschichten ereignet. So suchten im Juli 2015 Mitarbeiter eines Nürnberger Krematorium zum Beispiel Zahngold der Verstorbenen aus der Asche und verkauften es für 130.000 Euro an einen Juwelier. In Gießen soll im März 2014 ein Bestatter den Toten den Schmuck aus den Särgen gestohlen haben und in Bad Kreuznach hat im August 2013 ein Bestatter den Angehörigen die Urnen mit einer Sandfüllung zurückgegeben. Der Grund: Das Krematorium habe nicht rechtzeitig geliefert.

In Regensburg laufen die Ermittlungen währenddessen weiter.

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