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Ja, mit linksgrüne Bobospießer sind wir alle gemeint

Vor kurzem bezeichnete Manfred Klimek in einem Gastkommentar die „wohllebigen, linksgrünen Bobospießer“ als Gefahr für die Demokratie. Unser Autor fühlt sich angesprochen—und gibt Klimek recht.

der Yppenplatz als Symbol der Bobo-Gesellschaft. batintherain via photopin cc

Anlässlich der Verurteilung von Josef S. gab es kürzlich eine Spontandemo durch die Grazer Herrengasse. Was es auch gab, war Regen. Ich ging also nicht demonstrieren, schämte mich ein bisschen dafür und machte mich erst eine Stunde später aus dem Haus, zu einer Lesung. Dort traf ich unter anderem auf zwei durchnässte Jungs, die ich mit „Wie war’s bei der Demo? Ich hab mich eh geniert fürs Trockenbleiben“ begrüsste. Ich erhielt zurückgeätzt: „Sehr österreichische Lösung.“ Manfred Klimek hat über diese sehr österreichische Lösung—und also zum Beispiel auch über mich—kürzlich hier einen Artikel geschrieben.

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In dem Artikel sagt er lauter Sachen, die stimmen: Das Land geht vor die Hunde, und das Bürgertum, inklusive dem Alternativbürgertum (cirka 30, irgendwas-mit-Medien, Piraten/Grün/KPÖ-Wähler, VICE-Leser, HBO-Connaisseur) schaut tranig zu, während in beispielsweise Berlin noch die hinterletzten Angehörigen der Gentry genug Arsch in der Hose (und offenbar einen Grund) haben, beispielsweise Nazidemos entgegenzutreten. Dabei gibt es in Österreich einen breiten Konsens bis weit ins erzliberale Feuilleton hinein, dass es tatsächlich die sprichwörtliche Rue de Gack ist, auf welcher die Republik unterwegs sei: Vom Rauscher über den Thurnher, von Fleischhacker bis zu Misik (schau an, lauter Männer!)—sie haben ihn alle schon an hundert Fallbeispielen beschrieben, den Teufelskreis.

Inkompetenz in höchsten Ämtern befördert autoritäre Sehnsüchte in der Bevölkerung, die wieder dazu führen, dass inkompetente Nasen gewählt werden, und da capo ad nauseam. Die autoritären und paternalistischen Anwandlungen, die die Strafverfolgungsbehörden zur Zeit haben, gelegentlich akzentuiert von fast mitleiderregender Unfähigkeit (wobei weder das eine noch das andere fairerweise allen Staatsanwälten, Richtern, Bullen vorzuwerfen ist)—sie sind hübsch repräsentativ fürs große Ganze.

Global2000 via photopin cc

Der Unterschied zwischen Deutschland und Österreich, den Klimek hervorhebt, mag weniger schmeichelhafte Gründe haben, als er vielleicht glaubt—vielleicht liegt’s nicht am protestantischen Ethos, wenn in Deutschland auch Wirtschaftstypen sich offenbaren Zumutungen aktiv entgegenstellen. Sondern vielmehr daran, dass Rechtssicherheit und zivilisierte Verhältnisse dem Wirtschaftsstandort Schland nutzen, und damit auch dem Geschäft des einzelnen Schländer Wirtschaftstypen, während es in Österreich eh schon wurscht ist—sowohl, was den zu bewahrenden zivilisatorischen Standard betrifft, als auch in Hinblick auf die Gewinnmarge. Doch selbst wenn’s so ist: Der Unterschied besteht trotzdem. Mir ham a Problem. Und das Problem, das bin wie gesagt auch ich bin.

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Einen wohllebigen Linksspießer nennt Klimek mich (also mich persönlich kennt er nicht, muss er nicht, aber ich fühl mich angesprochen, also werd ich wohl gemeint sein). Und in der Art von Spießern überall mach ich jetzt was ganz was Blödes: Ich tu so, als ob es sich bei einem gesellschaftlichen Schaaß, der alle alle alle betrifft, und manchen—huch!—sogar direkt, in Wirklichkeit um eine Einladung an mich ganz privat handeln würde, mein "persönliches Wachstum" voranzutreiben. Das Ergebnis dieses größenwahnsinnigen Wish-Fulfillment (Jeder der Held seiner eigenen Geschichte, nicht wahr?) schicke ich dann an VICE. Warum ich das tu? Weil ich mir wichtig vorkommen will, klar. Und mit der Welt, das heißt mit Klimek, im Reinen sein. Aber vielleicht nutzt’s ja nebenbei was:

Wenn diese Kasperltruppe wieder weg soll, die die Republik derzeit so etwas wie regiert, dann wär’s nützlich, dass aus den vielen wohllebigen, tranigen Thirtysomething-Bobos irgendwann viele gesellschaftlich aktive Fortysomethings werden. Bei dieser Verwandlung kann die Frage eventuell nützlich sein, was uns, also mich, so ruiniert hat.

brizzle born and bred via photopin cc

Also, auf zur Besichtigung des Misthaufens Bobo-Bewusstsein: Die Bobo-Tranigkeit ist, vgl. Klimek, eine Funktion der gewitzten Ironie, mit der wir uns umgeben. Man handelt irgendwie, signalisiert aber zugleich, es besser zu wissen. Man hat seinen Marx, seinen Foucault, vielleicht auch nur seinen Lanier (immerhin!) brav intus. Man war nämlich mal jung, und sog Lebendigkeit und Glück und Identität aus der Vernunft, der Geschlechtlichkeit, der subkulturellen Traditionen. Dann ist man aber draufgekommen, dass sich mit allem diesem unter den gegebenen Bedingungen bestenfalls ein WG-Zimmer ausgeht, was jetzt irgendwie blöd ist, weil zum Beispiel Kind unterwegs, oder Studium zu Ende.

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Und dann handelt man, wie man „muss“: Macht einen blöden Scheiß, signalisiert aber zugleich den Eingeweihten, eh drüberzustehen. Man hält sich alle Türen offen: Die zum ÖVP-nahen Arbeitgeber und die zur Geliebten mit dem Black Flag-Tattoo. Und das ist wichtig, weil so wie man selbst, so verfahren alle anderen auch, und man weiß nie, wer grad einen Job für einen hat, oder die entscheidende Info … das Blöde dabei: Wenn alle permanent wissend schmunzeln, geht der Inhalt des so signalisierten Wissens verloren. Man weiß nicht, ob man zum Thema X der selben Meinung ist, weil wir ja nicht drüber reden werden—wir haben ja mit unserem Schmunzeln schon geklärt, dass wir drüber stehen. Diesen Unfug spielt dann eine ganze Generation samt dem etwas jüngeren Nachwuchses ihre Karrieregründerjahre über durch, bis das ganze schöne Vokabular, die ganzen schönen Theorien und Rituale mit der Wirklichkeit genau nix mehr zu tun haben.

Vielleicht hat man sich sogar ein, zwei identitätsstiftende Masken aufgehoben aus der eigenen „wilden Zeit“. Man singt die Internationale, wenn man betrunken ist. Man ist Veganer, Feminist, Antideutsch oder Anti-Impi und kann sich lustig miteinander streiten, ohne dass irgendwem irgendwelche echten Konsequenzen drohen. Noch schlimmer sind die, die nicht mal das mehr brauchen und einfach nur so drüberstehen.

Man könnte ja den reality check jederzeit nachholen, wenn grade mal der Hut brennt … kann man aber eben nicht. Denn diese zu checkende Wirklichkeit besteht aus Leuten. Und was diese Leute jetzt für gut  zehn, fünfzehn Jahre gemacht haben, war, siehe oben: Sich so zu verhalten, dass sie nirgends anecken. Ironisch halt. In sozialer Abstiegspanik unseren Jobs und unserem bisschen Spaß nachlaufen, unter dem Eindruck erstens einer sich verschlechternden Konjunktur, zweitens der angeblichen Ungültigkeit „alten Denkens“ (die damit begründet wurde, der Kapitalismus hätte ja nun 1989 gesiegt etc.) und drittens der unleugbaren Superheit der allerneuesten Spielzeuge (Internet! iPhone! Roomba! HBO!).

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55Laney69 via photopin cc

Das heißt: Zwischen ungefähr 1950 und ungefähr 1990 war es für Angehörige des Bildungsbürgertums relativ gefahrlos, sich politisch, kritisch, proletarisch zu geben. Im schlimmsten Fall war die Wohnung, die einen erwartete, halt ein bisschen kleiner als die der Eltern. Das hat sich aufgehört. Nicht nur, weil die Konjunktur eben wirklich schwächer wurde (warum noch mal?), sondern eben auch, weil wir—ja, wir, du Arsch da im Rasierspiegel!—das ironische Angepasstsein zu jener Norm gemacht haben, nach der sich inzwischen alle richten.

Und wenn es für die politische Kaste keinen Grund—keinen Druck—gibt, sich vernünftig erklären zu müssen, dann tut sie es auch nicht. Woraufhin sie verblödet. Woraufhin wiederum Sachen schiefgehen. Und echte Leute echte Probleme kriegen—Arbeitslosigkeit, Wohnungsnot, Ghettobildung, Zweiklassenmedizin. Probleme mit Konsequenzen. Und wer akut echte Probleme hat, der nimmt als Erklärungsmodell das, was rasch greifbar rumliegt. An welcher Stelle die Abwesenheit selbstbewusster, artikulationsfähiger Sub- und Gegenkulturen sich rächt. An die Stelle des einen Kerls pro Freundeskreis, der Das Kapital auch tatsächlich erklären konnte, oder der schon mal ein Berliner Squat cirka 1993 von innen gesehen hatte, ist der eine Kerl pro Freundeskreis mit einem Koran in der Tasche getreten. Oder noch entsetzlicher: Das eine überzeugte HC-Strache-Groupie, das es in jeder Abteilung jedes Großbetriebs inzwischen zu geben scheint …

Auf der einen Seite also: Die Bobos, festgekrallt im Wohlgefühl, drüberzustehen, und panisch drauf bedacht, dass ihr „lebensgefühliges“ Handeln keine echten Konsequenzen für sie haben möge—ob manche von uns noch wissen, in welcher Welt wir leben, oder nicht, ist eigentlich egal. Auf der anderen Seite: Leute, denen eventuell echte Konsequenzen drohen, und von denen so überhaupt nicht der heldenhafte, verführerische Ruch der gesellschaftlichen Avantgarde ausgeht, den man mal zu wittern lernte: Die sind ja nicht mal cool genug, drüberzustehen, beispielsweise diese Tschuschen! Was soll ich damit? Bringt ja nichts!

Das (zweifelhafte) Gute an der momentanen Situation ist, dass der Moment recht kurz bevorsteht, wo auch wir Bobos wieder echte Konsequenzen zu spüren kriegen werden, denen wir nicht durch ironisches Wohlverhalten ausweichen können. Sowohl der Zustand der Republik zwischen Verblödung und Autoritarisierung, als auch der Ausschluss immer größerer Gruppen von gesellschaftlicher Teilhabe (ist gleich Nahrung, Kleidung, Wohnung, Rechtssicherheit) deuten darauf hin. Zu hoffen ist, dass sich bis dahin noch ein paar von uns daran erinnern, dass diese unsere Ironie tatsächlich einmal kritisch gemeint war. Die so Bobo-typische Organisationsform des Co-Working-Space, die ebenso typische „Spazier-Demo mit Fluchtachterl“, das noch viel typischere kritische Nachdenken über pop-ästhetische Fragen—alles das und noch mehr ließe sich auch zu Nützlichem einsetzen. Wenn bloß genügend von uns der Arsch auf Grundeis geht