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Nazis

Schüler spielen "Die Welle" nach und es artet in Nazi-Verherrlichung aus

In einer österreichischen Schule gaben sich Teenager als Nazis aus und beschimpften Mitschüler als "Drecksjuden".
Foto: imago | UIG | bearbeitet

An einem Tag, an dem die Schüler und Schülerinnen unmotiviert sind und der Lehrer keine Lust auf Unterricht oder einen Kater hat, gibt es einen rettenden Ausruf: "Wer holt den Fernseher?" Oft läuft dann die Verfilmung des Romans Die Welle.

Die fiktive Geschichte basiert auf einem tatsächlich durchgeführten Experiment an einer US-Highschool. Im Jahr 1967 wollte der Geschichtslehrer Ron Jones seinen Schülern zeigen, wie leicht es ist, sich von der Idee der Nationalsozialisten beeinflussen zu lassen. Er wies seinen Schülern Rollen zu, die sich an Funktionäre des NS-Regimes anlehnten. Er brach das Experiment jedoch ab, als er sah, wie leicht sie sich beeinflussen ließen. Im Roman eskaliert das Experiment und endet mit dem Tod eines Schülers.

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Auch im österreichischen Zurndorf hatte eine Deutschlehrerin im März das Buch und die Verfilmung mit einer Mittelschulklasse besprochen. Die Deutschlehrerin sei laut Kurier davon ausgegangen, dass die 13- bis 14-Jährigen das Thema verstanden hätten. Doch einige von ihnen führten das Experiment in der Pause fort – weiter, als die Lehrerin beabsichtigt haben dürfte.

Schüler verwenden im Rollenspiel den Mattenraum als "Gaskammer"

In der Pause sollen einige Schüler – ob sowohl Jungen als auch Mädchen beteiligt waren, wollte die Staatsanwaltschaft auf Anfrage nicht erklären – in die Rolle von Juden im Dritten Reich geschlüpft sein. Andere sollen SS-Männer gespielt haben, sie geschubst, als "Drecksjuden" bezeichnet und in einen Lagerraum für Turngeräte gesperrt haben.

Darunter soll sich ein 15-Jähriger besonders engagiert haben. Lenni [der Schüler heißt eigentlich anders, Anm. d. Red.] soll laut Kurier einen eigenen Hitler-Gruß entwickelt und seine Mitschüler aufgefordert haben, ihn damit zu grüßen.

Tagelang sollen sich Schüler in der Pause als Nazis ausgegeben haben. Erst als sich die Schüler immer lauter anbrüllten, habe eine Lehrerin eingegriffen. Zur Strafe habe sie von den Teenagern eine handgeschriebene Erklärung gefordert. Ein Schüler erklärte darin, man habe sich auf den Kopf klatschen und mit erhobener Hand "Heil Lenni" sagen müssen. Wer sich weigerte, sei von Mitschülern in die sogenannte Gaskammer eingesperrt worden, ein umfunktionierter Lagerraum. Das alarmierte die stellvertretende Direktorin und sie rief die Polizei.

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Mutmaßlicher Anführer hätte sich mehr Aufklärung gewünscht

Das österreichische Landesamt für Verfassungsschutz ermittelte und sah nach einem Bericht keinen Anlass mehr für weitere Untersuchungen, weil niemand verletzt worden sei und der Mattenraum nicht versperrt ist. Dieser Einschätzung schloss sich die Staatsanwaltschaft Eisenstadt nicht an."Es bestehe der Verdacht der Wiederbetätigung", sagte der Staatsanwalt Johann Fuchs dem Spiegel. Die Staatsanwaltschaft könne nicht ausschließen, dass die Schüler das NS-Regime verherrlicht hätten. Deswegen ermittelt sie weiter gegen die schuldfähigen Schüler des Nazi-Rollenspiels.

Der mutmaßliche Anführer erklärte gegenüber der Staatsanwaltschaft laut Kurier, man habe bloß Die Welle nachgespielt. "Es war ein großer Blödsinn. Keiner hat das Ganze ernst genommen." Er habe mit dem Nationalsozialismus nichts zu tun und sich zur Aufklärung Dokumentationen angeschaut, wobei ihm regelrecht schlecht geworden sei. Von den Lehrern hätte er sich gewünscht, mehr über das Buch und die Verfilmung aufgeklärt zu werden.

Das Verfahren läuft noch, aber der Fall dürfte die Verantwortlichen in der Schule zum Handeln bewogen haben. Vielleicht sollten sie darüber nachdenken, mit den Schülern eine KZ-Gedenkstätte zu besuchen. Dort könnten sie etwas deutlicher als in einer Romanverfilmung sehen, dass die NS-Diktatur kein Schulpausen füllender Spaß war, sondern Millionen von Menschen systematisch umgebracht hat.

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