Der bayerische Arzt, der noch immer Homosexuelle "heilen" will
Alle Fotos: Hakki Topcu

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LGBTQ

Der bayerische Arzt, der noch immer Homosexuelle "heilen" will

Gero Winkelmann denkt, er tue der Menschheit damit einen Gefallen.

Gero Winkelmann sagt am Telefon, er habe Angst, wieder mal als "irgendein Idiot in Bayern" dargestellt zu werden. Obwohl er medienscheu ist, klingt er zuversichtlich – froh, seine Meinung zu etwas zu sagen, das er "ein Tabuthema innerhalb der Ärzteschaft" nennt. Er sitze gerade in seinem Arbeitszimmer, sagt der studierte Allgemeinmediziner, einem Raum mit einem Schrank voller homöopathischer Mittel im Dachgeschosses seines Zuhauses in Unterhaching. Hier bietet er an, Homosexuelle mit diesen Mitteln zu "heilen" – das bedeutet für ihn, sie von ihrer sexuellen Orientierung abzubringen. Patienten habe er schon lange keine mehr gehabt, sagt er. Womöglich, weil sich herumgesprochen hat, dass seine Therapien unwissenschaftlich sind – und dass sie Menschen in Depressionen und sogar Suizid treiben können. Und weil sich spätestens mit der Einführung der "Ehe für Alle" selbst im letzten ländlichen Winkel Deutschlands herumgesprochen haben sollte, dass Homosexualität nichts ist, das therapiert werden muss.

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Winkelmann ist religiös und konservativ. Um sich mit Gleichgesinnten zusammenzuschließen, gründete er 2004 den Kreis Katholischer Ärzte München mit, der heute als Bund Katholischer Ärzte (BKÄ) laut eigener Aussage rund 400 Mitglieder zählen soll. Bekannt wurde der kirchlich nicht anerkannte Verein 2012, als Mitglieder am Katholikentag in Mannheim Flyer über die Homosexuellen-"Heilung" auslegten. Winkelmann will keine Details nennen, aber er sagt, seitdem bekäme er Hassmails, Drohungen und nächtliche Anrufe. Er wolle aber nicht "den Müll auch noch über die Presse verbreiten". Winkelmann gibt den Märtyrer, der angefeindet wird, obwohl er nur helfen wolle.


Auch bei VICE: Homosexuelle heilen – Hinter den Kulissen der sogenannten Reparativtherapie


Dieses Selbstverständnis beobachtet Markus Ulrich vom Lesben- und Schwulenverband Deutschland (LSVD) oft: "Es existiert kein Schuldbewusstsein bei Leuten, die solche Therapien anbieten. Sie rechtfertigen diese mit Wissenschaftsfreiheit, aber machen den Patienten Hoffnungen, die nicht einzuhalten sind." Ulrich spricht von sogenannten Konversionstherapien, zu denen auch Winkelmanns Angebot zählt. Auch wenn die Kirche sich offiziell nicht dazu äußert, sind die meisten Anbieter von Konversionstherapien christliche Vereine oder Privatpersonen, die sich als christlich bezeichnen. Im April veröffentlichte ein Journalist Seminarunterlagen des Vereins LEO in Sachsen-Anhalt, in denen steht, dass Homosexualität eine Störung sei, die geheilt werden könne. Das ist Unfug. 1992 strich die Weltgesundheitsorganisation (WHO) Homosexualität aus ihrem Krankheitskatalog und auch nach aktuellem Wissensstand kann man die sexuelle Orientierung nicht verändern oder aussuchen.

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Winkelmann ignoriert die Weltgesundheitsorganisation

Auch Winkelmann meidet den Begriff "Krankheit", wenn er über Homosexualität spricht: "Nennen wir es eine belastende, ungesunde Situation, sonst geht gleich wieder ein riesen Shitstorm los", sagt er. Eine wissenschaftliche Studie über die Heilung von Homosexuellen kann er nicht nennen. Er sagt dazu: "Solche Statistiken sind ja gar nicht erwünscht." Auch wenn die WHO und so ziemlich alle Ärzte anderer Meinung sind als er: Winkelmann will sich nicht als Scharlatan bezeichnen lassen. Seine Stimme wird laut, als er in den Hörer ruft: "Wir sprechen hier von leidenden Menschen, die sich nicht gegen den momentanen Zeitgeist durchsetzen können." Die Leidenden, das seien die Leute, die sich therapieren lassen wollen. Und das müsse auch die WHO einsehen und Homosexualität wieder als Krankheit einordnen: "Die WHO wurde gleichgeschaltet und der Arzt, der im guten Willen helfen will, wird unterdrückt."

Mit seinem Angebot zielt Winkelmann auf Menschen mit einer ichdystonen Sexualorientierung. Die WHO listet sie seit 1992, dem Jahr, in dem sie Homosexualität aus ihrem Krankheitskatalog strich. Eine ichdystone Sexualorientierung beschreibt den Wunsch einer Person, eine andere sexuelle Orientierung als die eigene zu haben – und eben nicht, dass sich jemand seine Sexualität nur einbildet. Ein Grund dafür kann zum Beispiel Druck aus dem Umfeld sein. In der Behandlung geht es aber anders als bei Konversionstherapien nicht darum, die tatsächliche sexuelle Orientierung zu ändern, sondern psychiatrische Folgeerkrankungen zu verhindern. Anders gesagt: Man hilft der Person, mit ihrer Sexualität klarzukommen. Auch wenn es hier also um etwas anderes geht als bei Konversionstherapien, nutzen manche selbsternannte Homosexuellen-"Heilende" den Diagnoseschlüssel der ichdystonen Sexualorientierung, um ihre Praktiken bei den Krankenkassen abzurechnen. Das bestätigt Markus Ulrich vom LSVD: "Die Kassenärztliche Vereinigung weiß nicht, wie die Therapien ablaufen." Offizielle Zahlen darüber gibt es keine.

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Konversionstherapien können zu Suizidgedanken führen

Bastian Melcher weiß aus eigener Erfahrung, wie es ist, mehrere Lebensjahre an vermeintliche Heilende wie Winkelmann zu vergeuden. Der 29-jährige Protestant aus Bremen konnte sich aus religiösen Gründen nicht mit seiner Homosexualität abfinden: "Es war als Jugendlicher sowieso schon schwer, anders zu sein. Irgendwann kam aber der Punkt, an dem ich dachte: Moment, darf ich überhaupt schwul sein oder hat Gott etwas dagegen?" Nachdem auch sein Pastor gesagt habe, dass Homosexualität falsch sei, begann er mit 15 einen langen Prozess, in dem er versuchte, heterosexuell zu werden.

Zuerst ging er zu "Aufbruch Leben", einer Selbsthilfegruppe, in der wie bei den Anonymen Alkoholikern alles besprochen wird, was nicht zum bibeltreuen Leben passe, erzählt er. Danach habe man zusammen für Besserung gebetet. Als er sich trotz dieser Gruppentherapie noch immer zu Männern hingezogen fühlte, ging Melcher zu einem Arzt. Kein Homöopath wie Winkelmann, aber trotzdem davon überzeugt, Homosexualität heilen zu können. Die "Behandlung" habe daraus bestanden, sagt Melcher, dass der Arzt dafür betete, die Dämonen mögen den Körper des Jungen verlassen. "In der ganzen Zeit hatte ich nie ein Erfolgserlebnis und natürlich gab ich mir selbst dafür die Schuld", erzählt er. "Ich war verzweifelt, hatte Selbstmordgedanken." Nach fast sieben Jahren, in denen er versuchte, seine Homosexualität loszuwerden, akzeptierte Bastian Melcher sich selbst. Heute tritt er als Dragqueen auf.

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Leider endet nicht jede dieser Geschichten so glücklich. Ein Team um den Neurowissenschaftler Philippe Mortier analysierte 2018 Daten von insgesamt 13.000 Studierenden aus acht Ländern, die die WHO drei jahre davor zu ihrer mentalen Gesundheit befragt hatte. Die Wissenschaftler fanden heraus, dass suizidale Gedanken und Verhaltensweisen unter LGBTQ-Menschen stärker verbreitet sind als unter Heterosexuellen. "Das kann man durchaus mit der Stigmatisierung von Homossexualität in der Gesellschaft erklären. Patienten einer Konversionstherapie sind noch anfälliger als der Durchschnitt", sagt Markus Ulrich vom LSVD.

Gero Winkelmann sagt dagegen, er fühle sich durch solche Fälle bestärkt, die Menschen mit ihrem "bösen Schicksal" nicht alleine zu lassen. Für ihn seien das Symptome dafür, dass die Menschen ungesund sind, sagt er und versucht damit zu rechtfertigen, dass er den Patienten mit unwissenschaftlichen Therapien und Thesen schadet. Ein weiteres Symptom, das ihn in seinem Vorhaben bestärkt, seien Geschlechtskrankheiten bei Homosexuellen sowie das, was er "Gay Proktitis" nennt. Die Enddarmentzündung kommt unter Ärzten normalerweise ohne den Zusatz "Gay" aus. Sie sei nunmal auf Analverkehr zurückzuführen, sagt Winkelmann. Dabei übersieht er scheinbar, dass das nur in manchen Fällen zutrifft und davon abgesehen nicht nur homosexuelle Männer Analsex haben können, sondern jeder Mensch.

Winkelmann sucht Homosexualität im Bindegewebe

Die genaue Art seiner homöopathischen Therapie hänge von den "Ursachen" der Homosexualität ab, sagt Winkelmann, dessen Mutter schon als Heilpraktikerin arbeitete: "Kommt zum Beispiel ein 18-Jähriger zu mir, hat der eine Reifungsstörung und ist gar nicht homosexuell. Das ist also keiner, der nach männlichem Frischfleisch süchtig ist." Den würde er zum Psychologen schicken. Winkelmann stolziert so leichtfüßig über die Betonklötze, mit denen er sich sein Weltbild gepflastert hat, als sei ihm gar nicht bewusst, wie verletzend solche Aussagen für viele Leute sind. Er scheint sie nur über den Rand eines imaginären Klemmbretts zu betrachten, darauf eine Checkliste vermeintlicher Homosexualitäts-Auslöser.

Ebenso auf Winkelmanns Liste vermeintlicher Ursachen: Hormone. "Manche Männer haben ein zusätzliches X-Chromosom, das sogenannte Klinefelter-Syndrom. Die haben sexuelle Fantasien", sagt Winkelmann, der immer nur von homosexuellen Männern spricht und noch nie Lesben behandelt hat. "Frauen melden sich nicht bei mir", sagt er. Tatsächlich gibt es keinen Beleg dafür, dass Klinefelter die sexuelle Orientierung beeinflusst. Eine weitere "Ursache" für Homosexualität in Winkelmanns Welt: Schwule Männer könnten in der Kindheit sexuell missbraucht worden sein, sagt Winkelmann und bedient damit ein homofeindliches Klischee, das nur dem Zweck dient, Homosexualität als etwas Krankhaftes darzustellen – ähnlich diese These: Homosexualität werde epigenetisch übertragen. Auch dafür gibt es keine Beweise. Winkelmann schlussfolgert trotzdem: "Homosexualität kann die Folge einer Krankheit der Ahnen sein, die sich über viele Generationen epigenetisch überträgt." Das würde zum Beispiel bedeuten, dass Homosexualität aus dem Tripper des eigenen Uropas resultieren könnte.

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So obskur wie dieser Ursachenkatalog ist auch Winkelmanns Therapie. Wenn er eine epigenetische Vererbung der Homosexualität diagnostiziert habe, verabreiche er in der ersten Sitzung hochpotenziertes Schwefel, um das Bindegewebe zu entgiften. Selbst bei tatsächlichen Krankheiten ist die Wirkung dieser homöopathischen Prozedur nicht wissenschaftlich bewiesen.

Zwischen den Sitzungen seien rund sechs Wochen Zeit, um die "Selbstheilungskräfte" entfalten zu können, sagt Winkelmann. Nach Schwefel verabreiche er Nosoden, verdünnte Erreger von Krankheiten wie Krebs oder Tuberkulose. Er wähle sie individuell aus nach den jeweiligen Vorlieben und "Absonderlichkeiten", wie er es nennt. Insgesamt wende er fünf Mittel an. Theoretisch. Denn keiner der sechs Patienten, die Winkelmann wegen Homosexualität behandelte, sei öfter als zweimal in seine Praxis gekommen. "Derzeit kommt niemand zu mir, nur zwei Männer aus Mexiko und Argentinien berate ich telefonisch", sagt er. Sein Brotjob sei sowieso der Bereitschaftsdienst, in dem er andere Ärzte vertritt.

Pseudotherapien sollten verboten werden

Konversionstherapien sind innerhalb der EU momentan nur in Malta und Teilen Spaniens verboten. Im März stimmte eine Mehrheit von 435 zu 109 EU-Parlamentarier dafür, EU-Mitgliedsstaaten zu einem ähnlichen Verbot anzuhalten. Die Fraktion der Grünen im Bundestag stellte 2014 und 2017 Anfragen an die Bundesregierung, in denen sie forderte, die Praxis zumindest für Minderjährige in Deutschland zu verbieten. Die Bundesregierung verurteilte die Therapien zwar mehrfach, verwies aber auf bestehende Reglementierungen der Landesärztekammern und Approbationsbehörden. Die besagen, dass Ärzte nach ihrem Gewissen und unter Achtung der Menschenwürde ihren Beruf ausüben sollen. Zumindest innerhalb seines eigenen Weltbilds hält auch Winkelmann sich daran.

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"Erwachsene haben ein Selbstbestimmungsrecht, sie dürfen Sachen machen, die ihnen schaden", sagt Markus Ulrich vom Lesben- und Schwulenverband. Dennoch: "Minderjährige können von ihren Eltern zu Konversionstherapien gedrängt werden." Deshalb fordere auch sein Verband ein Verbot der Pseudotherapien. Dass es das in Deutschland nicht längst gibt, liegt laut Ulrich am fehlenden politischen Willen: "Die mit Abstand stärkste Partei in Deutschland hat das C im Namen und steht teilweise hinter diesen religiösen Organisationen. Außerdem ist der Handlungsdruck zu gering, da es keine Zahlen über Betroffene gibt." Gero Winkelmann dagegen lehnt ein Verbot ab: "Das ist ja eine perverse Sache, jemandem seriöse Hilfe zu verbieten."

Winkelmann hält seine Theorien für fortschrittlich

Gero Winkelmann sagt, er sei nicht homophob. Er habe schließlich auch einen schwulen Cousin und kenne einen Homosexuellen im Bereitschaftsdienst: "Das sind sehr nette Leute, mit denen man gut Kirschen essen kann." Gleichzeitig vergleicht er Homosexualität mit Karies oder abstehenden Ohren, als wäre sie etwas Lästiges, das man lieber loswird. Und abgesehen davon, wie unpassend solche Vergleiche sind, fällt es schwer, ihm sein rein medizinisches Anliegen abzukaufen. Besonders dann, wenn er sagt, man solle sich "für das Gute und nicht das Schlechte entscheiden", und darauf verweist, dass auch schon in der Bibel stehe, Homosexualität sei eine Sünde. Wer so zur Dogmatik greift, tut das womöglich, weil ihm sonst nichts mehr bleibt.

Und so bezeichnet es Winkelmann lieber als Mobbing, wenn Leute seinen Verband verlassen und Ärzte sich von ihm distanzieren, anstatt darüber nachzudenken, woran all das liegt. Er sagt, die Gesellschaft sei noch nicht soweit, seine Arbeit wertzuschätzen, der Zeitgeist spreche dagegen. Dabei scheint er sich nicht zu fragen, ob einfach er noch nicht so weit ist, Homosexualität als normal zu akzeptieren.

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