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Aufgedeckt

Reinigungskräfte benutzten an einer Berliner Schule denselben Lappen für Toiletten und Klassenzimmer

Ein Fernsehbeitrag zeigte, unter welchen Bedingungen Niedriglöhner an Schulen arbeiten.
Foto: imago | photothek

Günter Wallraff mag etwas älter und kahler sein als noch vor 30 Jahren, als er sich leidenschaftlich seinen großen Investigativ-Geschichten hingab – den Job als Aufdecker hat er aber noch lange nicht abgeschrieben. Früher nahm er mit teils zweifelhaften Methoden unterschiedliche Identitäten, Hautfarben und Ethnien an – für einen Film, in dem er 2009 als "verkleideter" Schwarzer Rassismus entlarven wollte, wurde er von Afrodeutschen kritisiert. Heute geht er für RTL mit seinem Team Wallraff in Freizeitparks und Fastfood-Läden auf Undercover-Mission. Um die Arbeitsbedingungen von Niedriglöhnern zu checken, heuerte Team Wallraff-Reporterin Mira Ivan dafür nun als Reinigungskraft bei einer Berliner Dienstleistungsfirma an. Der Beitrag 'Ganz unten' in der Arbeitswelt wurde am Montag bei RTL ausgestrahlt – und deckte tatsächlich fragwürdige Vorgehensweisen des Unternehmens auf.

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An ihrem ersten Tag als Reinigungskraft sollte Mira Ivan in einer Grundschule in Berlin-Pankow putzen, ein Mitarbeiter des Unternehmens 3B führte sie in den Job ein. Der Lappen, den er aus dem Eimer zieht, ist schon vor der Reinigung schwarz vor Dreck. Als Mira Ivan fragt, ob sie Putz- oder Desinfektionsmittel benutzen soll, sagt der Kollege ihr, dass Wasser reiche. Anschließend reinigen die beiden die Waschbecken und Klos in der Jungen-Toilette – und benutzen dafür jeweils denselben Lappen und dasselbe schmutzige Eimerwasser. Ihren neuen Allzweck-Lappen muss die Reporterin dann auch in der Mädchen-Toiletten einsetzen. Und in den Klassenzimmern, die sich das Reinigungsteam als Nächstes vornimmt.


Auch bei VICE: Die Motivation, jeden Tag zur Schule zu gehen


An ihrem zweiten Tag mit einem anderen Kollegen kommt dann zwar ein zweiter Lappen zum Einsatz, aber Reinigungsmittel hält auch der neue Mitarbeiter für überflüssig. Die Reporterin bekommt eine Aufgabe: In vier Stunden soll sie 18 Klassenräume, 2 Lehrerzimmer, 3 Flure, 2 Treppenhäuser, den Eingangsbereich und die Toiletten auf jeder Etage – insgesamt 18 Toiletten, 14 Urinale und 14 Waschbecken – reinigen. Eine stramme Zeitvorgabe. Ob das der Grund dafür ist, dass bei der Einweisung die Hygiene zu kurz kommt? Immerhin sagte die Firma zu, Überstunden zu vergüten, falls sie die Schule nicht in der vorgegebenen Zeit reinigt. Als die Reporterin fast anderthalb Stunden mehr braucht als geplant, erfährt sie allerdings: Die Überstunde wird nicht bezahlt.

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Die Firma entschuldigt sich mit dem "individuellen Fehlverhalten" der Mitarbeiter

Die Firma 3B ist nach der Ausstrahlung des Beitrags vielen Menschen Erklärungen schuldig: den Arbeitskräften, die keinen gerechten Lohn erhalten und den verärgerten Eltern, deren Kinder möglicherweise auf Tischen mit Fäkalbakterien ihrer Mitschüler lernen. Auf Anfrage von RTL erklärte das Unternehmen seine Reinigungsphilosophie so: "Unsere Mitarbeiter werden in das […] 4-Farbsystem eingewiesen und darin geschult. In Sanitäranlagen werden separates Wasser, separate Reinigungstücher sowie ein geeigneter Sanitärreiniger benutzt."

Dass dieses System mindestens in einer der Pankower Grundschulen, die die Firma reinigt (3B ist für die Reinigung der meisten Grundschulen des Bezirks zuständig), nicht eingehalten wird, zeigte die Recherche von Team Wallraff.

Als die Berliner Morgenpost die Firma nach der Ausstrahlung konfrontierte, wies ein Sprecher die Fehler immerhin nicht zurück, machte aber ein "individuelles Fehlverhalten" der betreffenden Mitarbeiter verantwortlich: "Wir bedauern den Vorfall sehr. Niemand in unserem Unternehmen hat Verständnis dafür, Kindern schlecht gereinigte Toilettenanlagen zuzumuten." Am Mittwoch habe es eine Extra-Schulung für die zuständigen Arbeitskräfte und eine Desinfizierung des Schulgebäudes gegeben. Der Sprecher kündigte außerdem an, in Zukunft strengere Kontrollen durchzuführen. Wie sich das auf die Arbeitsbedingungen der Mitarbeiter auswirken wird, ist bisher nicht klar.

Der Bezirk Berlin-Pankow, der für die Reinigung der Schulen verantwortlich ist, ist von der Erklärung nicht überzeugt. Wie die Morgenpost berichtet, wurde die Firma 3B vom Bezirksamt vorgeladen. Der Vertrag zwischen 3B und der Grundschule aus dem Beitrag laufe demnächst aus, das Amt prüfe eine Neuvergabe – damit die Pankower Kinder künftig nicht mehr auf den Bänken pennen, über die zuvor jemand den Lappen aus dem Schulklo gezogen hat.

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