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So zerstörte ein deutscher Geheimdienst das Leben eines Bundeswehrsoldaten

Armin K. wurde von seinen Vorgesetzten "Potenzial nach oben" bescheinigt – bis man ihn plötzlich für einen Salafisten hielt.
Ein Soldat
Armin K., als er noch in der Kaserne schlafen konnte und nicht nach Hause pendeln musste | Foto: privat

"Herr K., haben Sie gar keine Idee, warum wir hier sind?", fragt einer der beiden Männer, die dem Soldaten in einem Besprechungszimmer der Eurokorps-Kaserne in Straßburg gegenübersitzen. "Eigentlich nicht", antwortet Armin K.* den Mitarbeitern des Militärischen Abschirmdienstes (MAD). "Vielleicht, weil ich eine Karriere beim Geheimdienst anstrebe und Sie mich rekrutieren wollen?", fragt der junge Soldat mit dem blonden Militärhaarschnitt. "Nein, Herr K., wir sind von der Abteilung Extremismus und Terrorismus und haben Ihnen ein paar Fragen zu stellen", entgegnet der Geheimdienstler. Er stehe unter dem Verdacht, Salafist zu sein. So erzählt Armin K. die Ereignisse dieses Tages im September 2012. Was folgte, zog den Feldwebel für elektronische Kampfführung in ein Loch, aus dem er bis heute nicht herauskommt. "Ich fühle mich so, als habe der Staat mir mein Leben geraubt", sagt er.

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Als Armin K. VICE die Geschichte erzählt, die vor fünfeinhalb Jahren begann, sagt er: "Ich verstehe es noch immer nicht." Der heute 27-Jährige klingt dabei nicht verbittert. Eher mitgenommen.

K. trat 2010 in die Bundeswehr ein und verpflichtete sich bis 2025. "Ich wollte etwas verändern und Gutes tun – für mein Land", sagt er. Er absolvierte seine Grundausbildung in Bad Frankenhausen, begann dann eine Ausbildung zum Fallschirmjäger in Merzig, musste die allerdings abbrechen, weil er sich beim Training die Lunge gerissen hatte. Er landete im Eurokorps-Hauptquartier in Straßburg. Das passte: Mit französischem Vater und deutscher Mutter war er zweisprachig in Saarbrücken aufgewachsen, er besitzt beide Staatsbürgerschaften. Weil er in der Schule auch noch Englisch gelernt hatte, wurde er neben seiner Feldwebel-Laufbahn als militärischer Sprachmittler des Bundessprachenamtes eingesetzt. Sein Plan: Offizier werden und Karriere beim Geheimdienst machen. Dafür sollte er ab Jahresbeginn 2013 als Feldwebel für elektronische Kampfführung mit seinen Sprachkenntnissen Operationen auf der ganzen Welt abhören. "Ich habe diesen Job geliebt. Es war kein Beruf, sondern eine Berufung", sagt er. Doch dann wurde seine Karriere abrupt gestoppt, verhindert durch eine Verkettung zahlreicher Fehler des MAD – der neben dem Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) und dem Bundesnachrichtendienst (BND) der dritte deutsche Nachrichtendienst auf Bundesebene ist. Und K.s Fall offenbart, wie schwer es ist, aufzuklären, wenn jemand in diesem mächtigen und geheimen Apparat einen Fehler macht.

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"Und dann fragten sie, ob ich Muslime kenne."

Fünf Stunden haben ihn die beiden MAD-Mitarbeiter damals verhört, erzählt Armin K.. "Die Agenten wollten wissen, wie meine Kindheit war, warum ich Soldat geworden bin und seit wann ich einen Bart tragen würde. Und dann fragten sie, ob ich Muslime kenne." Immer wieder haben die beiden Agenten die Fragen wiederholt, ohne ihm zu erklären, worauf sie hinaus wollen. Erst am nächsten Tag habe ihm ein Vorgesetzter offenbart, dass der MAD ihn verdächtigt, ein Salafist mit Kontakten zu islamistischen Terrorgruppen in Nordafrika zu sein.

Die konkreten Verdächtigungen listet sein Vorgesetzter in einem Schreiben an das Verteidigungsministerium, das VICE vorliegt. Darin heißt es, dass gegen K. wegen Verdachts "auf Tätigkeit im extremistischen Umfeld ermittelt werde". Demnach sei sein Fahrzeug mehrfach vor einem bekannten Islamistentreff im Saarland gesehen worden, man habe ihn auch mit islamistischer Kleidung eine Moschee besuchen sehen. Zudem habe man seine Handydaten überprüft, die Verbindungen zu islamistischen Kreisen in Nordafrika aufwiesen.

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Armin K. wurde als militärischer Sprachmittler bei internationalen Missionen eingesetzt || Foto: privat

K. bestritt die Vorwürfe gegenüber seinen Vorgesetzten. "Ich habe ihnen gesagt, dass ich noch nie in einer Moschee war und nichts mit der islamischen Kultur zu tun habe", erzählt er. Um das Missverständnis aufzuklären, reichte er auf Bitte der MAD-Agenten freiwillig seine Konto- und Handydaten ein wie eine Stellungnahme des Verteidigungsministeriums bestätigt, die VICE vorliegt.

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Damals hatte K. bereits die Sicherheitsüberprüfung der Stufe 2 durchlaufen, die ihm schon seit einem Jahr Zugang zu geheimen Dokumenten gewährte. Er plante unter anderem das Personal des Eurokorps: Wann geht wer zu Auslandseinsätzen in Afghanistan. Auf Nachfrage von VICE bestätigt der MAD, dass K. diese erweiterte Sicherheitsüberprüfung bestanden hatte.

Auch sein Vorgesetzter erklärt dem Verteidigungsministerium in dem Schreiben, dass K. auf ihn zu keinem Zeitpunkt den Eindruck vermittelt habe, er sei Konvertit oder sympathisiere mit dem Islam. Er erklärt, dass "eine hohe Wahrscheinlichkeit" bestehe, dass der Hauptgefreite K. nicht die eigentlich gesuchte Zielperson sei. In Dienstzeugnissen und Beurteilungen aus den Jahren 2010 bis 2013, die VICE vorliegen, bescheinigen K.s Vorgesetzte ihm "Weitsicht, Zuverlässigkeit und Selbstbewusstsein" und sehen in ihm "Potenzial nach oben".

K. wird in die psychiatrische Klinik nach Koblenz geschickt

Bevor der MAD ermittelte, sagt K., habe er sich geschätzt gefühlt. Er war zwischenzeitlich ehrenamtliches Mitglied des Personalrates des deutschen Teils des Eurokorps; seine Kameraden hatten ihn dreimal zur Vertrauensperson gewählt. Doch in den Monaten, die auf das Verhör folgten, sagt K., habe er das Gefühl gehabt, das Verhalten seiner Vorgesetzten und Kameraden verändere sich. "Ein Geheimdienst ist ja eigentlich eine verlässliche Institution und das will in der Bundeswehr keiner hinterfragen, also haben meine Vorgesetzten eher den falschen Tatsachen geglaubt, statt mir", sagt er. "Es war schrecklich, weil ich ja wusste, dass das alles nicht stimmt. Aber niemand wollte mir glauben."

Zudem habe er sich beobachtet und verfolgt gefühlt. "Ich dachte, sie observieren mich den ganzen Tag", sagt er. Er habe schlecht geschlafen, irgendwann entschied er sich, die Nächte in Saarbrücken zu verbringen und täglich insgesamt 300 Kilometer zu pendeln. "Ich habe mich in der Kaserne nicht mehr sicher gefühlt", erzählt er. "Das ist grotesk, weil das eigentlich unser sicherer Rückzugsort ist." Die Angstzustände und die Isolation haben ihn aus der Bahn geworfen. "Ich hatte anderthalb Jahre sogar abends gelernt, mein Privatleben eingeschränkt und täglich dafür gekämpft, um weiter bei der Bundeswehr aufzusteigen – und auf einmal war das alles weg."

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Anfang März 2013, sechs Monate nachdem der MAD ihn über die Ermittlungen informierte, habe K. all das nicht mehr ausgehalten. "Ich war am Ende", sagt er. "Ich konnte mit dem ganzen Druck nicht mehr leben und habe dem Stabsarzt meine Geschichte erzählt." Der habe K. in die psychiatrische Klinik nach Koblenz geschickt. "Nach einem kurzen Gespräch haben sie mich für sechs Monate krankgeschrieben." Auf dem Krankenschein der Bundeswehr, der VICE vorliegt, wird ihm eine Depression diagnostiziert. Monatlich sollte er sich in der Kaserne melden. Beim ersten Termin, im April, stand dann ein Mitarbeiter des MAD in der Kaserne und wollte mit ihm reden.

"Ich muss Ihnen leider mitteilen, dass mir und meinen Kollegen ein Fehler unterlaufen ist."

"Herr K., mir ist aus kameradschaftlichem Munde zu Ohren gekommen, dass es Ihnen momentan gesundheitlich nicht so gut geht und dass das scheinbar mit dem Gespräch mit meinen Kollegen zu tun hat", zitiert K. den Agenten des MAD, der ihm damals in einem Besprechungsraum gegenübersaß. Er selbst habe nur genickt. Über sieben Monate war es damals schon her, dass er als Salafist verdächtigt wurde. Dann soll der MAD-Mitarbeiter gesagt haben: "Ich muss Ihnen leider mitteilen, dass mir und meinen Kollegen ein Fehler unterlaufen ist. Wir haben jemanden gesucht und haben Sie mit dieser Person verwechselt. Aber Sie wissen ja: Fehler sind menschlich und wir sind auch nur Menschen!"

Wenn K. die Worte des MAD-Mitarbeiters wiedergibt, hört man, wie er mit zusammengebissenen Zähnen spricht. "Ich habe nur gesagt: 'Nein, Sie sind der Geheimdienst! Wissen Sie eigentlich, dass ich wegen Ihres Fehlers nicht mehr schlafen kann und psychologisch betreut werden musste?'", erinnert sich K.. Doch das sei noch nicht mal das Schlimmste gewesen. Denn schon drei Monate zuvor – also vier Monate nach dem Verhör – habe der MAD gewusst, dass K. unschuldig ist. Das wurde ihm nun mitgeteilt. "Statt erleichtert zu sein, war ich einfach nur wütend", sagt er heute.

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Ein Sprecher des MAD bestätigt gegenüber VICE, dass man schon im Januar über das Ergebnis informiert worden sei und man Kenntnis über K.s gesundheitlichen Zustand gehabt habe. Der MAD habe demnach zwischen Februar und März über K.s Dienststelle versucht "unverzüglich" ein Abschlussgespräch mit ihm zu führen. "Dies gelang wegen Krankheits- und Urlaubszeiten von Herrn K. erst anlässlich seiner Wiedervorstellung beim Truppenarzt am 18. April 2013", schreibt der MAD-Sprecher per Mail. Dass ausgerechnet der Geheimdienst ihn nicht erreichen konnte, klingt für K. schleierhaft: "Ich war erst ab März krankgeschrieben und sie hatten meine Telefonnummer und kannten meine Adresse", erzählt er. Der MAD habe sich damals, so der Sprecher, gegen eine direkte Kontaktaufnahme entschieden. "Rückblickend erscheint eine solche Kontaktaufnahme in Kenntnis des Seelenzustandes von Herrn K. letztlich als unangemessen", so der Sprecher. Es ist nicht das einzige Vorgehen des MAD, das Zweifel an dessen Kompetenz aufwirft. Wie konnte ein Geheimdienst überhaupt eine Person verwechseln? Dazu könne er keine Auskunft erteilen, so der MAD-Sprecher. Die Informationen stammten aus nachrichtendienstlichem Aufkommen, dessen Quellen aus besonderem Schutzinteresse nicht genannt werden könnten. Seither ist das Kapitel Armin K. für den MAD abgeschlossen – der Fall sei "umfassend" geprüft worden, heißt es gegenüber VICE.

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"So richtig verarbeitet habe ich die ganze Sache nie."

Für K. war auch nach seiner Entlastung der Fall nicht zu Ende. Insgesamt 18 Monate sei er bei der Bundeswehr krankgeschrieben worden, sagt er. "Es war ein extremer Vertrauensbruch und oft fehlte mir meine Identifikation mit meinem einstigen Traumjob." Seine Depression ließ nicht nach – wegen Dienstunfähigkeit verließ er die Bundeswehr im Oktober 2014. "Aber ich wollte weiter helfen", sagt er heute. Weil er – einmal "dienstunfähig" – nicht mehr bei der Polizei in Deutschland arbeiten durfte, wurde er Polizist in Frankreich. Dort jagte er 2015 ausgerechnet die Terroristen, zu denen er laut des MAD-Verdachts gehört haben sollte. "Das hatte einen faden Beigeschmack als ich auch auf den Straßen war, als die Terroristen des Bataclan auf der Flucht waren." Aber auch bei der französischen Polizei sei er nicht glücklich geworden und habe nach nur einem Jahr wieder aufgehört. "Das hat einfach nicht gepasst, unter anderem finanziell", sagt er. Anschließend hat er kurz als ziviler Militärpolizist auf der Ramstein Air Base der US-Truppen in Rheinland-Pfalz gearbeitet. Auch dort habe er sich nicht wohlgefühlt. Mittlerweile arbeitet K. als freischaffender Übersetzer. "Wirklich glücklich macht mich das alles nicht", sagt er. Das liege auch an den vielen offenen Kriegsschauplätzen, die er noch in seinem Leben hat.

"Sie haben mich bei der Bundeswehr über ein Jahr krankgeschrieben, ohne mich zu therapieren", wirft er seinem ehemaligen Arbeitgeber vor. "So richtig verarbeitet habe ich die ganze Sache nie." Auch weil er immer noch für eine Entschädigung kämpft. Sein Antrag auf Anerkennung der sogenannten Wehrdienstbeschädigung wurde abgelehnt. Die Begründung: Die Ermittlungen des MAD hätten ihn auch in seinem zivilen Leben treffen können und hätten somit nichts mit seiner Tätigkeit bei der Bundeswehr zu tun, heißt es in einem Schreiben des saarländischen Landesamt für Soziales, das VICE vorliegt.

"Der Soldat muss eine vernünftige Entschädigung bekommen, damit auch anerkannt ist, dass ihm da wirklich Unrecht widerfahren ist", forderte die Bundestagsabgeordnete Christine Buchholz letzte Woche im WDR-Magazin Monitor. Sie sitzt für die Linke im Verteidigungsausschuss und hat K. nach Berlin eingeladen, um sich für ihn einzusetzen. "Als Allererstes muss dieser Fall aber erstmal aufgeklärt werden", sagt sie. Zudem forderte sie eine bessere Kontrolle der Geheimdienste. Auch Armin K. sagt, er hoffe, dass er endlich Gerechtigkeit bekomme, um in ein neues Leben zu starten. Und das tut er immer noch wie ein Soldat, der an Regeln und Loyalität glaubt: "Bei dem Gelöbnis nach meiner Grundausbildung habe ich der Bundesrepublik meine Treue geschworen, aber diese Treue muss doch in beide Richtungen gehen", sagt er. "Loyalität ist keine Einbahnstraße."

*Name Geändert.

Update, 9. November 2021, 14:58 Uhr: Wir haben den Namen von Armin K. geändert, um seine Identität zu schützen.

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