Wir haben AfD-Mitglieder gefragt, wann es ihnen zu rechts wird
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Parteitag in Hannover

Wir haben AfD-Mitglieder gefragt, wann es ihnen zu rechts wird

"Ich habe früher immer gesagt, dass ich mit Rechten nichts zu tun haben will. Dann habe ich gemerkt, dass ich deren Meinung teile."

"Wir Deutschen waren immer dann am stärksten, wenn wir uns einig waren", sagt Doris von Sayn-Wittgenstein, AfD-Landesvorsitzende in Schleswig-Holstein, beim Parteitag in Hannover am Wochenende. "Dieses Land hat den Deutschen zu gehören, wem denn sonst?", sagt André Poggenburg, AfD-Chef in Sachsen-Anhalt. In den Bundesvorstand wählten die Delegierten die beiden zwar nicht, doch ihre Aussagen beklatschten sie lautstark. Mit Björn Neumann durfte sogar ein ehemaliges NPD-Mitglied auf die Bühne des Parteitags und niemand forderte mehr offen, Björn Höcke aus der Partei auszuschließen. Dennoch hieß es immer wieder: Die AfD sei auf keinen Fall rechts und schon gar nicht rechtsradikal oder rechtsextrem.

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Aber wie rechts ist zu rechts für AfDler? Wir haben vom Landesvorsitzenden über Bundestagsabgeordnete bis hin zu einfachen Delegierten mit mehreren Parteimitgliedern gesprochen. Einer landete am Ende auch im Bundesvorstand. Sie alle gaben sich ahnungslos und wollten eigentlich lieber über linke Gewalt reden.

Christoph Steier

Ein Personenschützer beim Parteitag und der Bayer Steier (rechts)

Der ehemalige Vorsitzende der Jungen Alternative in Bayern will im nächsten Jahr für den bayerischen Landtag kandidieren. Vor der AfD war Steier bei der FDP.

VICE: Eben gab es einen Eklat, weil das ehemalige NPD-Mitglied Björn Neumann für den Bundesvorstand kandidiert hat. Sie haben dann gesagt, Sie wüssten gar nicht, warum die AfD immer wieder über die NPD diskutiere. Wie meinen Sie das?
Christoph Steier: Die NPD hat bei uns gar nichts zu suchen. Sie hat bei der Bundestagswahl gerade mal 0,4 Prozent der Stimmen erhalten. Wenn wir hier NPD-Sprechchöre übernehmen, bringt uns das wahltechnisch überhaupt nichts.

Wenn ich sagen würde "Deutschland den Deutschen" – was erwidern Sie?
Inhaltlich kann ich das teilen, aber ich verstehe nicht, warum man dann Aussagen nehmen muss, die schon verbrannte Erde hinterlassen haben. Und man muss doch mal überlegen: Warum erhalten all die Leute, die in den letzten Jahren zu uns gekommen sind, die gleichen Leistungen wie die, die bereits in das Sozialsystem eingezahlt haben? Da muss ich schon sagen: Deutschland zuerst.

Anm.d.Red.: Der Sachsen-Anhalter AfD-Chef André Poggenburg hatte die Aussage in einer AfD-Chatgruppe gepostet. Auf dem Parteitag legte er am Samstag nach: "Dieses Land hat den Deutschen zu gehören, wem denn sonst?"

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Andreas Kalbitz

Anders als Alice Weidel (rechts) spricht Andreas Kalbitz (links) beim Parteitag immer wieder mit Björn Höcke

Wie Björn Höcke, Alexander Gauland und André Poggenburg ist der Brandenburger Landesvorsitzende in der ganz rechten AfD-Bewegung "Der Flügel" organisiert. Vor der AfD war er bei der rechtsextremen "Jungen Landsmannschaft Ostdeutschland" und den Republikanern. "Jugendsünden", wie er mittlerweile sagt. Nach unserem Interview wird er in den Bundesvorstand gewählt.

VICE: In den Reden auf dem Parteitag wurde immer wieder gesagt, es gebe so etwas wie Flügel in der AfD nicht. Wie sehen Sie das?
Andreas Kalbitz: Es gibt natürlich Strömungen, wie in jeder anderen Partei auch. Ich fand es gut, dass vor diesem Parteitag mehrere Leute besprochen haben, wie man einen arbeitsfähigen Vorstand hinbekommt. Wir wollten den Zustand unter Petry überwinden, als es mehr darum ging, wer wem das Förmchen geklaut hat und dann hat der eine was über den anderen in der Zeitung gesagt.

Es ging bei Petry aber auch darum, was man überhaupt sagen darf. Sie hat auch das Parteiausschlussverfahren gegen Björn Höcke vorangetrieben.
Das Verfahren war von Anfang an unglücklich. Es hatte nie eine Aussicht auf Erfolg, weder innerparteilich noch was das deutsche Parteiengesetz betrifft.

Sie wollten Höcke ja auch nie raushaben.
Dazu stehe ich und dazu habe ich auch immer gestanden.


Auch bei VICE: Der furchteinflößendste Schuldeneintreiber Großbritanniens


Sind Sie gerne in der AfD, weil Sie hier sagen können, Sie hätten "Jugendsünden" gehabt, während Björn Höcke von einer tausendjährigen deutschen Geschichte spricht?
Ja, ich bin gerne hier. Höcke befindet sich in einem Lernprozess. Bei ihm ist vieles oft nicht richtig. Falscher Ton, falsche Zeit, falsches Thema. Gerne auch alles zusammen. In den letzten Monaten hat er sich entwickelt.

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Seit der Dresdner Rede?
Er hat sich dafür auch entschuldigt.

Aber ja nicht für die Aussagen an sich, sondern bei der AfD dafür, dass er die Rede so gehalten hat.
Bei wem denn sonst? Er kann sich ja nicht bei der Welt entschuldigen.

Vielleicht bei der Stiftung hinter dem Denkmal oder dem Zentralrat der Juden?
Nein, das ziehen Sie falsch auf. Die Kritik kam aus der Partei. Er hat weder die Stiftung noch den Zentralrat angegriffen.

Aber das Denkmal und wofür es steht.
Ich weiß nicht, wie man Betonstelen angreifen kann. Die Diskussion ist etwas kleinlich.

Das heißt, der Ton von Björn Höcke hat sich verändert, aber sein Denken nicht?
Das müssen sie ihn selbst fragen. Ich stehe zu Björn Höcke, er ist ein wichtiger Teil der Partei, aber wir müssen nicht immer einer Meinung sein.

Berengar Elsner von Gronow

Diese Demonstranten (links) würden von Gronow wohl weiter rechts verorten als er sich selbst

Der AfD-Bundestagsabgeordnete ist Sprecher der "Alternativen Mitte" in Nordrhein-Westfalen. Deren Mitglieder sehen sich als liberal-konservativ und gemäßigt. Vor dem Parteitag sagte von Gronow: "Wir verkörpern die Mehrheit in der AfD."

VICE: Sehen Sie Extremisten innerhalb der AfD?
Berengar Elsner von Gronow: Ernsthafte Extremisten gibt es in unserer Partei gar nicht oder nur vereinzelt. Es handelt sich aber nicht um breite Teile der Partei. Das ist eine journalistische Überspitzung.

Aber sobald jemand sagt, er wolle kein Teil der Gesellschaft sein, jubelt der Saal.
Gut, das ist einigermaßen populistisch. Es gibt gewisse Knöpfe, auf die man beim AfD-Publikum drücken kann und es reagiert dann emotional darauf. Bei genauem Hinsehen wird das hier aber wahrscheinlich von vielen nicht inhaltlich geteilt. Auch nicht von mir. Natürlich bin ich ein Teil dieser Gesellschaft.

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Wie definieren Sie eigentlich Faschismus?
Faschismus ist ein historischer Begriff, der auf heute nicht so zu übertragen ist. Die aktuellen Formen der Auseinandersetzung unserer an sich aufgeklärten Gesellschaft sind unangemessen. Gucken Sie sich an, wer die Demokratie behindert und Gewalt ausübt: Es ist ein linksextremes Problem in Deutschland. Das kommt nie bis selten von Rechten oder Mitgliedern der AfD.

Volker Wauter, AfD Nordsachsen

Der ehemalige Fernfahrer trat 2016 der AfD bei und baute anschließend den Kreisverband Nordsachsen auf.

VICE: Doris von Sayn-Wittgenstein hat in ihrer Rede gesagt, sie wolle nicht Teil der Gesellschaft sein, wenn diese einen ausgrenzt. Wie finden Sie das?
Volker Wauter: Man sollte als gewählter Delegierter nicht seine eigene Meinung auf dem Parteitag kundtun. Die Leute hier vertreten ihre Kreisverbände, auch wenn das nicht einfach ist.

Aber von Sayn-Wittgenstein hat Standing Ovations für ihre Aussagen bekommen, das ist doch keine Einzelmeinung.
Die Partei macht es aus, dass sie unterschiedliche Meinungen hat und diese auch diskutiert. So kommen wir auf ein Ziel.

Wo wird es dann extrem für Sie?
Wenn man uns in die rechte Ecke stellt, Nazis nennt. Aber in Nordsachsen höre ich das ganz selten. Da ist das anders in Berlin.

In Nordsachsen ticken die Leute anders, da gibt es kaum Linke?
Genau. Dafür kann ich mit meinem Auto und dem AfD-Aufdruck nicht nach Leipzig-Connewitz fahren. Da kann ich es selbst zu Hause anbrennen.

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Der sächsische Bundestagsabgeordnete Jens Maier hat schon Verständnis für die NPD und ihre Wähler geäußert. Wie sehen Sie das?
Ich habe früher immer gesagt, dass ich mit Rechten nichts zu tun haben will. Ich kannte die AfD nur aus den Medien. Aber dann habe ich mich informiert, war beim Kreisverband und als Gast beim Landesparteitag. Dort habe ich mich intensiv mit Jens Maier und anderen Vertretern unterhalten und gemerkt, dass ich deren Meinung teile.

Eine anonyme Delegierte

Beatrix von Storch bei ihrer Bewerbungsrede, unsere Gesprächspartnerin ist nicht im Bild

"Ich möchte, dass Deutschland so erhalten bleibt, wie ich es kennengelernt habe", sagt die Frau, die vor mehr als 20 Jahren aus einem westafrikanischen Land nach Deutschland kam. Heute besitzt sie einen deutschen Pass und ein AfD-Parteibuch. Weil sie ihren Kinder versprochen hat, nicht öffentlich in Erscheinung zu treten, hat sie uns gebeten, sie zu anonymisieren.

VICE: Björn Höcke spricht von der tausendjährigen Geschichte Deutschlands. Erinnert Sie das nicht an nationalsozialistische Reden?
Ich sehe daran nichts Falsches. Dieses AfD-Bashing hat mich erst zur AfD gebracht.

Sie haben ein Herz für den Underdog?
Nein. Aber ich bin Deutsche mit allem, was dazugehört, auch der Staatsangehörigkeit. Ich stehe zu den Menschen und ihrer Geschichte. Mein Gott, der Nationalsozialismus hat nur zwölf Jahre angedauert.

Ist die AfD also für Sie die Partei der Deutschen?
Ich fühle mich wohl mit unserem Programm und sehe mich als Schwarze hier nicht diskriminiert. Ich bekenne mich zu den deutschen Werten. Aber die Deutschen sind so in ihrem Gutmenschentum gefangen, dass sie sich selbst aufgeben.

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Was wäre für Sie ein Beispiel dafür?
Die doppelte Staatsangehörigkeit. Entweder man bekennt sich komplett zu einem Staat – oder nicht.

Andreas Handt

Steht die AfD Kopf? Innerhalb der Partei sieht das wohl niemand so, auch nicht Handt (rechts)

Kaum jemand meldet sich beim Parteitag so oft zu Wort wie der Delegierte aus Nordrhein-Westfalen. Am Ende fehlen ihm nur wenige Stimmen, um selbst in den Bundesvorstand gewählt zu werden.

VICE: Gerade hat sich die rechtsextreme Partei Pro Deutschland aufgelöst und ihren Mitgliedern geraten, in die AfD einzutreten. Sie steht allerdings auch auf der Unvereinbarkeitsliste der AfD. Finden Sie das richtig?
Andreas Handt: Ja, genau wie bei der NPD. Wir haben keine Schnittmengen. Bei uns in Nordrhein-Westfalen kommen Sie übrigens auch sehr schwer von den Grünen zur AfD. Wir glauben fest daran, dass die Grünen in NRW in Teilen nichts mit der verfassungsrechtlichen Grundordnung zu tun haben.

Wie passt das damit zusammen, dass Sie heute in Ihrer Bewerbungsrede gesagt haben: "Wir müssen dazu kommen, dass wir Sachargumente nicht danach bewerten, wer sie vorträgt"? Meint das auch das ehemalige NPD-Mitglied Björn Neumann, der kurz vor Ihnen gesprochen hat und den viele Delegierte für seine Vergangenheit attackiert haben – sogar Alexander Gauland?
Neumann dürfte eigentlich nicht in der Partei sein. Aber ich selbst betrachte immer zunächst das Sachargument. Das heißt nicht, dass ich mit der NPD fraternisiere. Mir ist aber auch nicht entgangen, dass ein NPD-Verbotsverfahren zweimal vor dem Verfassungsgericht gescheitert ist. Warum sollte ich mich über dieses Gericht stellen?

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Andere Parteien haben kein Problem damit zu sagen, mit solchen Leuten wollen wir nichts zu tun haben.
Herr Naumann ist heute kein Repräsentant der NPD mehr und er fühlte sich dort offensichtlich nicht wohl. Das kann ich sehr gut verstehen.

Wie ist das mit Andreas Kalbitz, der war früher bei der Jungen Landsmannschaft Ostdeutschland und den Republikanern?
Wir haben vor vier Jahren eine Partei gegründet. Viele Leute hatten vorher noch nie etwas mit anderen Parteien zu tun. Man muss als Partei immer weiter an sich arbeiten.

Matthias Büttner

Ein TV-Techniker am zweiten Parteitag, Büttner (rechts) macht kurz Pause

Der Landtagsabgeordnete aus Sachsen-Anhalt warnt vor einer "Überflutung unseres Landes mit muslimischen Fremden" und sitzt im parlamentarischen Untersuchungsausschuss zu den Beraterverträgen der Landesregierung. Aktuell ermittelt die Staatsanwaltschaft Erfurt gegen ihn, er soll seine ehemalige Referentin vergewaltigt haben. Büttner bestreitet das.

VICE: Herr Büttner, wie sehen Sie Ihre Partei nach der dramatischen Wahl zwischen Pazderski und von Sayn-Wittgenstein; ist die AfD geeint?
Matthias Büttner: Wir sind eine Partei. Für mich gehört jeder, der aktuell AfD-Mitglied ist, dazu.

Welche Äußerungen gehen für Sie gar nicht?
Alles, was mit unserem Grundgesetz vereinbar ist, geht klar.

Ihr Fraktionskollege im Landtag von Sachsen-Anhalt, Hans-Thomas Tillschneider, hat ein Büro im Haus der Identitären Bewegung in Halle und hat bereits zum Sturz des Systems aufgerufen. Wird da nicht eine Grenze überschritten?
Ich finde es viel schlimmer, wenn ein Haus besetzt wird, wie etwa das HaSi in Halle.

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Anm. d. R.: Das HaSi ist ein linkes Zentrum, das sein Besetzungsverhältnis schnell in einen Nutzungsvertrag mit den kommunalen Eigentümern umgewandelt hat. Die AfD hat das zu einem Politikum gemacht.

Und was ist mit Tillschneider und den Identitären?
Ich habe keinerlei Kontakt zu Identitären. Ich kann Ihnen aber als Landtagsabgeordneter sagen, dass wir die verschiedenen Strömungen innerhalb der Fraktion diskutieren, und am Ende gehen alle immer denselben Weg.

Anm. d. R.: Aus der Landtagsfraktion der AfD Sachsen-Anhalt sind bereits 3 von ursprünglich 25 Abgeordneten ausgetreten.

Wie würden Sie denn reagieren, wenn Herr Tillschneider seine Forderung nach einem Sturz des Systems wiederholt?
Ich kenne die Äußerung nicht, aber ich habe in Magdeburg auch Großdemonstrationen moderiert. Wir sagen dort immer vorher, dass wir jegliche Gewalt ablehnen, und schmeißen auch Leute raus, die verbotene oder für uns unschöne Transparente zeigen wollen.

Was wäre so ein Transparent?
Ein Plakat für die Partei Die Rechte. Solche Leute haben bei uns nichts zu suchen.

Wo ist denn der inhaltliche Unterschied zwischen der AfD und Die Rechte?
Das kann ich ihnen nicht sagen.

Anm. d. R.: Die Rechte will die deutsche Identität und "tausendjährige Geschichte" wahren, zurück zur D-Mark und fordert eine Abkehr von der "Kollektivschuld". Auch sie beruft sich auf das Grundgesetz.

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