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Bauern

Live-Ticker: 24 Stunden auf einem Zürcher Bauernhof

Wir tickern live aus dem Leben zwischen Kuhstall, Feldarbeit und Existenzängsten.
Titelfoto zur Verfügung gestellt vom Hof Hinterburg; alle anderen Fotos von der Autorin

Setzt du dich nicht bewusst mit Landwirtschaft auseinander, hörst du nicht allzu viel von Schweizer Bauern. Meist beschränkt es sich auf Berichte zum Milchpreis und Subventionen oder auf romantisierender Werbung für Milch oder Käse. Und hin und wieder zieht es die Bauern auch in die Urbanität der Schweizer Hauptstadt, um für ihre Anliegen auf die Strasse zu gehen. Die Landwirte sind dabei wirklich ökonomischen Zwängen ausgesetzt. Erst kürzlich forderten die EU und die USA, dass die hohen Importzölle für landwirtschaftliche Produkte fallen sollen und geplante Steuerprivilegien für Landwirte wurden doch nicht umgesetzt. Der Kampf ums Überleben eines Bauernhofes scheint ein Dauerthema zu sein.

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Adrian Haggenmacher hat sich trotz alledem dafür entschieden, mit seiner Freundin Nadja den Hof seiner Eltern Christina und Alfred zu übernehmen. Das bedeutet für ihn auch, jeden Tag um 06:30 Uhr auf den Beinen zu sein und nicht vor 18:30 Uhr Feierabend zu machen. Seine Eltern wohnen auch noch auf dem Hof und helfen mit, obwohl sie eigentlich schon längst im Ruhestand sind.

Der Hof von Adrian und Nadja in Meilen | Foto von Hof Hinterburg

Wir begleiten Adrian und Nadja 24 Stunden lang durch ihren Alltag, um herauszufinden, wie das Leben hinter dramatischen Schlagzeilen und romantisierender Werbung aussieht:

17:00 Uhr

Ein Rückblick auf die vergangenen Stunden: Was mich beeindruckt hat, ist die Flexibilität des Berufs. Adrian kann selbst entscheiden, wie sein Tag aussieht und muss umgekehrt schnell reagieren können, wenn um 06:30 Uhr ein Teil des Stalls unter Wasser steht. Keine Spur von mondänem Trott – jeder Tag bringt andere Herausforderungen. Einen Hof zu führen ist eine ökonomische und logistische Herausforderung und auch hier hält die Digitalisierung Einzug. Klar gibt es eine App für alles, auch für die automatische Melkmaschine – was sich aber wohl kaum ein Stadtbewohner überlegt. Der Hof Hinterburg ist einer von wenigen in der Schweiz, der sich schon so stark auf neue Technologien einlässt. Aber vermutlich müssen irgendwann alle diesen Weg beschreiten.
Es gibt immer etwas zu tun auf einem Hof. Stress, wie er in Büros manchmal herrscht, ist mir dabei nicht begegnet.

16:30 Uhr

Ab auf den Heimweg, Adrian geht zurück aufs Feld. Gestern Abend hatte ich ihn gefragt, wieso er trotz vieler Mühen Bauer ist. "In einem Büro kannst du höchstens Chef werden. Auf meinem Hof sehe ich, wie alles wächst und lebt. Ich meine damit nicht nur die Tiere. Hier kann ich träumen", sagt er.

Wir verabschieden uns und ich bedanke mich. Hoffentlich war es nicht allzu unangenehm, mich konstant an der Backe zu haben. "Nein, wir sind uns das gewohnt. Nadja und ich haben uns ja bei Bauer, ledig, sucht… kennengelernt."

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15:57 Uhr

Botond ist ein ungarisch sprechender Rumäne und ein fester Mitarbeiter auf dem Hof. Vor kurzem hat er sich beim Fussball verletzt, ist jetzt aber wieder topfit. Botonds Familie besitzt in Rumänien einen kleinen Hof. Oder weniger einen Hof, wie er meint, sondern eher ein paar Tiere. Botond hat einen Deutschkurs absolviert und sich dann bei einer Arbeitsvermittlung angemeldet. Diese vermittelt landwirtschaftliche Praktika weltweit. Adrian war auch schon mit ihnen in Kanada und Australien.

Botond hat zuerst bei Adrian ein Praktikum gemacht und anschliessend gefragt, ob er bleiben kann. "Weil es mir hier gefällt. Und zuhause gibt es zu viele Abreitslose mit einem Diplom", erklärt er. Vielleicht könne er sich vorstellen, mal einen eigenen Hof zu haben, in Siebenbürgen, wo er herkommt. Das Problem ist nur: Der Milchpreis ist auch in Rumänien im Keller.

15:31 Uhr

Endlich: Traktor fahren! Botond und ich ziehen Bahnen über ein Feld und büscheln das gemähte Gras. Die Kabine ist eng. Ich muss mich entscheiden: Entweder knallt mein Kopf oder mein Ellbogen gegen die Scheibe. Bei steilen Hügeln scheint Kentern unumgänglich. Aber Botond fährt den Traktor seelenruhig und erzählt ein bisschen über sein Leben.

15:05 Uhr

Auf einer Weide sind alle Mutterkühe mit ihren Kälbern. Adrian füttert sie mit trockenem Brot. Ich bleibe auf Distanz. "Ich erkenne an der Körpersprache, ob es einer Kuh gut geht. Sie haben auch verschiedene Persönlichkeiten. Eine ist zutraulicher, eine andere schüchtern."

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14:17 Uhr

Ein Rasenmäherroboter: Wow!

13:51 Uhr

Christina erzählt weiter, während sie den Hühnerstall ausmistet: "Als ich vor 40 Jahren geheiratet habe, sagte man, dass du 30 Prozent des Lohns für Essen ausgibst. Wieviel ist es heute noch? Nicht mal 10 Prozent? Da ist es doch klar, dass das auf Kosten von jemandem geht. Und nicht nur auf Kosten der Bauern, sondern auch auf Kosten der Tiere."

12:57 Uhr

Ich treffe Christina, die 66-jährige Mutter von Adrian. Sie ist gerade auf dem Weg zu den Hühnern, hält aber an und beginnt zu erzählen. Manchmal überlegt sie sich, wieviele Berufe verschwunden sind, weil sie durch die technische Innovation obsolet wurden. "Und dann schaue ich mir die Bauern an. Das Problem dabei ist, dass die Tiere zwar leistungsstärker werden, aber im Kern doch immer noch dieselben Bedürfnisse haben", sagt sie. Nein, sie hätte Adrian nicht dazu geraten, Bauer zu werden.

"Muss man sich das noch antun?", fragt sie. Sie bleibe nicht mehr lange auf dem Hof. Sie sei müde und merke, dass sie nicht mehr so fit ist. Sie erzählt, dass sie nur alle zwei Wochen einen freien Tag hatten und eine Woche Ferien pro Jahr. "Ihr jungen Leute funktioniert heute anders."

Christina möchte in die Stadt ziehen. Sie hat ihr ganzes Leben lang angepackt, jetzt will sie zehn Jahre für sich haben. Jahre, in denen sie spontan weg kann und sich nicht mit der Tierbetreuung arrangieren muss.

12:18 Uhr

Während wir die Sense schwingen, erzählt Adrian: "Ökologie ist natürlich wichtig und sinnvoll. Ich will ja auch, dass meine Kinder in einer Welt aufwachsen, die nicht total verseucht ist. An Waldrändern, kleinen und schattigen Flächen macht das Sinn. Da kann man zum Beispiel Wildblumen pflanzen. An den besten Flächen aber macht das keinen Sinn."

Ich habe einen Krampf im Arm.

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11:51 Uhr

Was mit der Maschine nicht geht, machen wir von Hand.

11:21 Uhr

Ich warte kurz auf dem Hof, während Adrian mit dem Traktor unterwegs ist. Nadja hat gerade eine Pony-Reitstunde fertig und muss los, um das Mittagessen vorzubereiten.

10:43 Uhr

Das Frühstück ist vorbei, wir räumen ab und sprechen noch kurz über Terrorismus. Zwischen Garage und Wohnbereich gibt es eine Schleuse. Wer gearbeitet hat, zieht sich dort drin um und duscht vielleicht sogar, bevor er ins Haus geht. Leute in Stallkleidern kommen nicht ins Haus.

10:05 Uhr

Geht so ein Betriebsmodell langfristig gut? Adrian würde noch locker 30 Jahre arbeiten, aber: "Ich will nicht die ganze Zeit nur krampfen." Dass sie viel arbeiten, ist allen auf dem Hof klar. Aber körperlich kann man ab einem gewissen Alter nicht mehr alles bewältigen, da braucht es vielleicht einen Mitarbeiter mehr.

Adrian ist bereit, die Reissleine zu ziehen, wenn es nötig wird. Was das dann genau heissen wird, ist noch nicht klar. Momentan investiert er viel in den Betrieb, strukturiert um und diversifiziert. Vielleicht klappt es, vielleicht bringt die ganze Arbeit nichts.

09:53 Uhr

Im Moment sei der Hof nicht rentabel. Mit einem klassischen Betrieb kommt man anscheinend nicht über die Runden. Adrian und Nadja wollen stärker auf die Pferde setzen. Und sie haben noch eine andere Idee: Eine Patenschaft für ihre Milchkühe, mit der man Milch direkt ab Hof holen kann – und so einer Kuh das Leben rettet. Die schwachen Kühe werden sonst geschlachtet.

09:43 Uhr

Kurze Frühstückspause. Erst jetzt, da der Wasserschaden den ganzen Tag durcheinander geworfen hat. Corn Flakes, Brötchen, Milch, Gurken, Käse. "Eine brache Blumenwiese bringt durch Direktzahlungen mehr ein als ein Acker, mit dem dann Brot produziert werden kann. Das ist paradox und tut weh, denn wir wollen ja diese Arbeit", sagt Adrian.

Ein Wasserschaden bringt Adrian nicht aus der Ruhe

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09:05 Uhr

Adrian: "Zwei Kühe im Stall sind nur noch zu Pension hier. Sie geben keine Milch mehr, weil sie zu alt sind. Aber ich bringe es nicht übers Herz sie wegzubringen. Diese Kühe haben in ihrem Leben so viel Leistung gebracht, da haben sie sich ihren Ruhestand verdient."

08:36 Uhr

Adrian erklärt mir den Tagesplan: "Heute werden zwei Kühe zum Schlachten abgeholt. Ich kann sie nicht selbst zum Schlachthof fahren. Ich mache das so ungern, dass ich nervös werde und am Ende baue ich noch einen Unfall."

In diesem Transporter werden die Kühe zum Schlachthof gefahren

08:09 Uhr

Dank diesem Melkroboter können Adrian und Nadja sonntags ab und an frei machen.

07:59 Uhr

Adrian und Boton besprechen, wie die Lage im Stall ist.

07:38 Uhr

Im Stall stehen etwa 70 Milchkühe. Aber der Milchpreis sei so tief, dass innerhalb der nächsten zwei Jahre eine zusätzliche Einnahmequelle her muss. Adrian plant, mit einem Kollegen eine eigene Molkerei zu eröffnen. Bis es soweit ist, kostet ihn die Milchproduktion mehr als er einnimmt.

07:13 Uhr

Die Überschwemmung ist im Griff. Jetzt wird die Leistung aller Kühe am Computer im Stallbüro kontrolliert. Alles geht automatisch: Fütterung, Melken und Auslauf.

06:35 Uhr

Wir stehen schon wieder im Stall. Irgendetwas stimmt nicht. Aus dem zweiten Stock strömt Wasser herunter. Adrian ist schon am Telefon. Er findet heraus: Eine Leitung im Boiler ist futsch. Und kein Sensor hat Alarm geschlagen.

22:15 Uhr

Schlafenszeit! Morgen um 06:30 Uhr heisst es schon wieder: arbeiten.

22:07 Uhr

In der Schweiz werden die meisten Höfe von den Söhnen ("oder Töchtern!", würde Adrian einwenden) übernommen. So hat es auch Adrian gemacht. Das hätte er nie getan, wenn er im Hof kein Potential gesehen hätte. Aber es sei nicht einfach gewesen, dem Vater zu erklären, dass sich die Dinge jetzt ändern und Adrian Neues wagen möchte. Hochzeiten auf dem Hof, ein kleiner Laden mit Selbstbedienung, Pferdeboxen vermieten. Sein Vater Alfred hat wenig Verständnis dafür, denn bei ihm lief es auch ohne all diese Innovationen gut.

21:46 Uhr

Adrian setzt sich wieder an den Tisch. Er erzählt mir, wie er Bauer geworden ist: "Ich bin erst zur Landwirtschaft gekommen, als es darum ging, eine Lehre zu wählen. Ich merkte, dass es mir eigentlich Spass macht." Nach der Lehre ist er zum Arbeiten nach Kanada und Australien gegangen. Er sagt: "Dort habe ich gelernt, dass es auch anders geht, als wir es in der Schweiz kennen. Ich habe mich geöffnet und gemerkt: An anderen Orten funktionieren die Dinge anders." Dann zeigt er mir sein Smartphone, auf dem unzählige Apps sind. Sie alle sind mit einem Gerät auf dem Hof verbunden. Zum Leidwesen von Nadja hat er noch nicht herausgefunden, wie er die Benachrichtigungen ausschaltet – und wohl auch nicht, wie er das Smartphone auf lautlos stellt. Nadja werde in der Nacht jeweils vom Vibrieren geweckt.

Wohl mit ein Grund, wieso sie die Augen verdreht, als er mir die Apps zeigt. "Er ist ein Bürogummi. Immer am Computer oder Handy", kommentiert sie.

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21:35 Uhr

Für Nadja ist das Abendessen schon zu Ende. Sie kümmert sich auf dem Hof um die Pferde, das Haus und ihre Tochter. Frei haben Nadja und Adrian nur, wenn die Mitarbeiter am Wochenende Dienst haben. Sonst arbeiten sie sogar sonntags. Ich möchte wissen, ob Nadja es vermisst, Ferien zu haben. "Ich war erst zweimal in Spanien und sonst noch nie in den Ferien", ist ihre Antwort. Sie hängt die Wäsche auf.

21:12 Uhr

Das Abendessen wird unterbrochen, weil der Übergangstraktor geliefert wird. Wie lange der andere, in einen Unfall involvierte Traktor noch bei der Polizei stehen wird, wissen sie nicht.

20:58 Uhr

Zum Abendessen gibt es Käse, Brot, Milch, Kartoffeln und Aufschnitt.

20:22 Uhr

So werden die Gummistiefel nach der Arbeit getrocknet und vor der Arbeit gewärmt:

20:14 Uhr

Ich frage, wie man denn heute noch Bauer sein kann, damit es zum Leben reicht. Er meint: "Reiche Reiterinnen von der Goldküste möchten ein Pferd in der Region. Damit kann man etwas verdienen. Wir haben jetzt ein paar Pferde."

20:05 Uhr

Vater Alfred hält für eine Unterhaltung an. Polo-Hemd, Baseball-Cap, kurze grüne Hosen und Crocs. Auch er kommt schnell auf die Schwierigkeiten des Bauer-Seins zu sprechen: "Milch, Getreide, Tiere: Der Preis in Europa – oder sogar weltweit – ist im Moment miserabel. Bei diesen Preisen legen wir drauf."

19:24 Uhr

Bei den Heuballen arbeitet Botond. Er klebt die Ballen zu, die während dem Transport aufgerissen sind. Er stellt sich zurückhaltend vor, wie alle bisher.

18:55 Uhr

Im Heu rennen die Hofkinder herum. Die Erwachsenen sind wohl noch lange mit der Arbeit beschäftigt. Am Wochenende hat einer der Mitarbeiter einen Unfall mit einer Maschine gebaut. Die steht jetzt bei der Polizei und die Arbeitsprozesse dauern bedeutend länger.

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18:36 Uhr

Auf dem Hof treffe ich Christina, Adrians Mutter. Sie kommt gerade von den Ziegen. Ich frage sie nach den Kleintieren in ihrem eigenen Zoo. Sie meint, es sei nicht wirklich ein Zoo, "aber man muss heutzutage etwas machen. Ich wäre froh gewesen, wenn Adrian nicht Bauer geworden wäre. Es ist schwierig einen rentablen Hof zu führen." Wir sind schon mitten in einem der schwierigen Themen für Bauern in der Schweiz.

18:17 Uhr

Ein kleiner Spaziergang vom Bahnhof aus und ich treffe Adrian bei der Arbeit. Er verarbeitet und verstaut gerade Heuballen.

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