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Falscher Umweltschutz: Warum mich die Forderung nach höheren Flugpreisen ankotzt

Wenn ein Flug halb soviel kostet wie eine Bahnfahrt, liegt der Fehler bei der Bahn. Ich kenne niemanden in meinem Alter, der oder die sich regelmäßige Zugfahrten leisten kann.
Foto: imago | Westend61

Würde ich dieses Wochenende von Berlin aus zum Oktoberfest fahren wollen – Freitag hin, Sonntag zurück – dann würde mich das günstigste Bahnticket 269 Euro kosten. Für den gleichen Preis könnte ich auch fliegen. Zweimal.

"Unsere Mobilität muss teurer werden", verkündet das Handelsblatt. "Der 29,99-Euro-Irrsinn", schreibt Süddeutsche Zeitung. Und die FAZ fordert: "Macht Flüge teurer!" Und erstmal klingt das sinnvoll: Fliegen belastet die Umwelt. Also müssen Flüge teurer werden. Um die Umwelt zu retten.

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Ich hätte auch gerne, dass die Umwelt gerettet wird. Aber ich werde das Gefühl nicht los, dass es in dieser Diskussion eigentlich um etwas anderes geht.

Wer teurere Flüge fordert, will sich selbst ein gutes Gewissen herbeischreiben – auf Kosten anderer

Ich glaube, jenen, die nach teureren Flugtickets rufen, geht es nicht darum, möglichst effektiv dem Klimawandel entgegenzutreten. Sondern darum, sich selbst ein gutes Gewissen herbeizuschreiben – auf Kosten anderer.

"Flüge teurer machen" ist nämlich etwas anderes als "Flüge verbieten". Ein teurer Flug kann trotzdem gebucht werden. Nur eben nicht mehr von jedem.

Die Manager mit Lufthansa Senator Status wird ein teureres Ticket nicht vom Flughafen fernhalten. Den Erasmus-Studenten mit Fernbeziehung und die Alleinerziehende Mutter, die mit ihren Kindern Urlaub auf Mallorca machen möchte, schon.


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Natürlich gibt es gute Gründe, aus denen das Fliegen teurer werden könnte: Wenn die Ryanair-Piloten beispielsweise mit ihrem Streik kommenden Freitag erfolgreich sind, wäre das ein guter Grund. Dass Erasmus-Studierende und Alleinerziehende für uns alle die Umwelt retten sollen, ist dagegen kein guter Grund.

Wenn wir den CO2-Ausstoß für Flüge verringern wollen, reicht es nämlich nicht, ein paar Menschen mit wenig Geld den Urlaub zu vermiesen. Die Frage müsste nicht lauten: Warum sind Flüge so billig? Sondern: Warum sind Flüge so billig – im Vergleich zur Bahn?

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Wir alle finanzieren die Bahn mit, aber ich kenne kaum jemanden in meinem Alter, der sie auch nutzt – zu teuer

Ich fahre gerne Bahn. Man kann auf der Fahrt lesen, ohne dass einem schlecht wird, muss sich nicht stundenlang mit irgendwelchen Sicherheitskontrollen herumärgern, kann sein eigenes Wasser mitbringen und muss keine 70 Cent in eine Raststätten-Kloschranke schmeißen. In meinen letzten Urlaub bin ich trotzdem geflogen. Dabei hätte ich Rumänien auch gut mit der Bahn erreichen können. Aber das hätte das Doppelte gekostet.

Warum eigentlich?

Die Deutsche Bahn ist zu hundert Prozent in Staatshand. Finanziert wird sie von uns. Von dem Geld, das der Staat durch Steuern einnimmt. Wir alle, die in Deutschland Geld verdienen oder ausgeben, finanzieren die Deutsche Bahn also mit. Aber ich kenne kaum jemanden in meinem Alter, der oder die sie auch nutzt. Zu teuer.

Die Deutsche Bahn ist eine Aktiengesellschaft. Sie hat das Ziel, Gewinne zu erwirtschaften. Im Jahr 2017 hat der Konzern – vor Abzug von Steuern und Zinsen – 2,15 Milliarden Euro erwirtschaftet. Trotzdem ist die Deutsche Bahn hochverschuldet. Zum Beispiel wegen Stuttgart 21: Über die Frage, wer die 3,7 Milliarden Euro Mehrkosten für den Bahnhof, den die Bahn so gerne haben wollte, denn nun bezahlen soll, streiten sich gerade Bahn, Bund und Länder.

Ich habe den Bahnhof in Stuttgart nicht gewollt. Ich will mir einfach nur meinen Urlaub leisten können.

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Mitte September hat der für die Bahn zuständige Parlamentarische Staatssekretär Enak Ferlemann die Bahn aufgefordert, ihr Rabattsystem zu überprüfen. Er sei überrascht gewesen, so zitiert der MDR den CDU-Politiker, wie viele Rabatte angeboten würden.

Ich bin nicht überrascht, dass Ferlemann von der Existenz von Rabatten nichts wusste – Bundestagsabgeordnete bekommen automatisch eine Bahncard 100 für die erste Klasse.

Während also Politiker sich gerade überlegen, wie man das Reisen mit dem Zug noch teurer machen könnte, fordern Journalisten regelmäßig, man möge doch die Kosten für die Flugtickets erhöhen.

Teure Tickets versprechen einfache Erfolge – auf den Schultern von denen, die sich nicht wehren können

Das ist bequem. Für die Menschen, die Geld haben. Den Zugverkehr günstiger oder sogar kostenlos zu machen, das würde nämlich Geld kosten. Und das hieße, man müsste überlegen, wo dieses Geld herkommen könnte: Durch eine Vermögenssteuer? Weniger Prestige-Großbauprojekte? Besteuerung von Digital-Großkonzernen wie Google und Facebook?

Einfacher scheint es da, die Kosten den Menschen aufzuladen, die sich bekanntermaßen sowieso nicht richtig wehren können: den Pendlern, die keine Wahl haben, ob sie täglich lange Strecken in der Bahn zurücklegen, und jenen, die sich dann überlegen müssen, ob sie sich noch eine Reise leisten können. Wenn Studierende, Alleinerziehende und viele Rentnerinnen das Fliegen nicht bezahlen können, dann ist zwar die Umwelt noch nicht gerettet. Aber dafür kann man einen einfachen Erfolg vorweisen: ein paar verkaufte Flugtickets weniger.

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Es ist diese Logik, die uns in der Politik – und im Umweltschutz – jeden Tag begegnet. Im Zweifel für den Weg des geringsten Widerstandes.

Aber dieser Weg bringt uns nicht weit genug. Weil er sich eben nicht an alle richtet.

Wenn Inlandsflüge das Klima ruinieren, dann müssten wir sie verbieten. Nicht für die Armen, sondern insgesamt. Wenn die Vielfliegerei die Umwelt kaputt macht, dann müssten wir die Zahl der Flugkilometer, die ein Mensch pro Jahr zurücklegen darf, beschränken. Für jeden.

Klingt überzogen? OK. Dann reden wir doch erst einmal über den kostenlosen Bahnverkehr.

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