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I said what I said

Warum Haare ein politisches Statement sind

Ich trage meinen Afro mit Stolz. Weil ich mich von einem Schönheitsideal lossagen will, das ich nie erreichen werde.
Ein Kinderfoto der Autorin
Foto: Privat

Dieser Artikel ist Teil unserer Kolumne 'I said what I said'.

Über meine Haare wird ständig gesprochen, schon immer. Meistens musste ich als Kind brav meinen Kopf hinhalten, damit entfernte Bekannte oder völlig Fremde meine Haare anfassen konnten. Ungefragt natürlich. Bis heute glauben manche Menschen, es sei normal und okay, mir ungefragt in die Haare zu greifen und dann darüber zu urteilen. Einige verglichen meine Haare mit Schafwolle oder mit Stroh, andere waren überrascht, wie weich meine Haare tatsächlich sind. Als hätte ich eine Drahtbürste auf dem Kopf.

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In der Schulzeit haben sich meine Mitschüler und Mitschülerinnen über meine Haare lustig gemacht. Vogelnest und Strohballen haben sie gesagt. Ich wurde oft gefragt, ob ich in die Steckdose gegriffen hätte. In der Hauptschule haben mir ein paar Jungs tote Fliegen und Papier in die Haare geworfen. Auch Kaugummi musste meine Oma einmal entfernen. Das waren meine absoluten Tiefpunkte.


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Ich habe mich nicht getraut, neue Friseure auszuprobieren, die mit den Augen rollen würden und erklären, dass sie gar nicht wüssten, was sie mit meinen Haaren machen sollen. Entsprechend würde das Ergebnis auch wieder aussehen. Meine größte Angst war, wieder ausgelacht zu werden.

"Meine Oma, bei der ich aufwuchs, war mit der Pflege meiner Haare überfordert."

Ich kann mich daran erinnern, dass meine Haare immer eine Art Umstand waren. Meine Oma, bei der ich aufwuchs, war mit der Pflege meiner Haare überfordert. Es gab niemanden, den sie fragen konnte. Selbst die Friseure waren ja überfordert, YouTube-Tutorials gab es damals nicht. Also hat sie einfach durchprobiert, Trial and Error. Bis heute geht es Eltern von kleinen Krauselocken nicht anders. Verständlich, einige sehen sich plötzlich in der Situation mit einer Haarstruktur zu arbeiten, die ihnen nicht bekannt ist.

Ich erinnere mich wie jedes Kind mit krausen Haaren schmerzlich an die Waschtage. Shampoo in den Augen, das Ziehen beim Auskämmen und ganz viele Tränen. Obwohl sich meine Oma immer bemüht hat, habe ich dennoch gespürt, dass meine Haare ein Stressfaktor für sie waren. Ein Aufwand, etwas, das man lieber vermeiden möchte. Das Gefühl, dass meine Haare unordentlich sind, wurde ich nie los.

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Krauselocken brauchen extra viel Zuwendung und Aufmerksamkeit. Diese Prozedur war nicht nur für mich, sondern auch für meine Oma sehr anstrengend. Ich habe ihre Seufzer bis heute in den Ohren. Als Kind lag ich oft weinend in den Armen meiner Oma, ich wollte auch glatte lange Haare haben. Ich wollte nicht dauernd die Attraktion sein. Ich wollte nicht dauernd fremde Hände in meinen Haaren haben.

"Ich wollte glatte Haare haben, koste es, was es wolle"

Als ich ungefähr 12 war, erfuhr meine Oma von einer Bekannten, dass es ein Produkt gibt, das Afrohaar dauerhaft glättet. Relaxer – so etwas wie eine umgekehrte Dauerwelle. Anstatt die Haare auf Wickler zu drehen, damit sie lockig werden, kämmt man sie ganz glatt. Relaxer ist eine chemische Pampe, die bestialisch stinkt und nicht selten schlimme Verbrennungen und allergische Reaktionen der Kopfhaut auslöst. Die Strapazen fürs Haar kann man mit einer heftigen Blondierung vergleichen. Aber ich hatte einen Plan.

Ich wollte glatte Haare haben, koste es, was es wolle. Meine Haare sollten so wunderbar im Wind fliegen können wie die meiner Freundinnen. Als mir meine Oma das stinkende und brennende Höllenzeug auf den Kopf schmierte, war ich selig. Endlich im Wind flatternde, glatte Haare. Ich hatte endlich das, was ich "normale" Haare nennen würde. Denn es gab keine Menschen mit krausen Haaren in meinem Umfeld oder in den Jugendmagazinen, die ich las. Auch selten im Fernsehen oder in Filmen. Glatt bedeutete für mich also die Norm und davon wollte ich nicht abweichen.

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Meine Haare waren immer strohig und kaputt von der chemischen Behandlung. Aber sie waren einigermaßen glatt und weniger voluminös, also war ich zufrieden. Mit Relaxer und Glätteisen machte ich meine Locken jahrelang platt. Es hatte den gewünschten Effekt. Ich bekam viel weniger dämliche Fragen gestellt und verschwand ein wenig mehr in der Masse. Ich nahm es dafür auf mich, mir alle drei Tage mühsam mit dem Glätteisen die Haare zu glätten.

"Es ist eine Reise, wenn man aufhört, sich hinter seinen Haaren zu verstecken."

Als ich anfing zu studieren, traf ich ein Mädchen mit wahnsinnig langen voluminösen Afrohaaren. Ich war begeistert von ihrer natürlichen Schönheit, von dieser stolzen Löwenmähne. An diesem Tag beschloss ich, meine Haare nicht mehr zu relaxen und kein Glätteisen mehr zu verwenden. Ich musste lernen, meine Locken zu akzeptieren und aufhören, ein Weißes Schönheitsideal zu verfolgen, das ich niemals erreichen werde.

Mich davon loszusagen war, oder ist, ein Prozess, es passiert nicht einfach spontan über Nacht.

Es gibt kaum spezialisierte Friseure für Afrohaar in Bayern auf dem Land, wo ich aufgewachsen bin, aber auch nicht in Wien, wo ich jetzt lebe. Daher musste ich selbst meine eigene Spezialistin für meine Haarpflege werden. Im Internet fand ich amerikanische Blogs, Websites, YouTube-Channels und Instagram-Profile von Frauen, die diesen Schritt bereits gewagt hatten. Dort ist das, was ich mit Anfang 20 durchmachte, eine Bewegung: zurück zu natürlichen Haaren. Im Internet wird das Natural Hair Journey genannt.

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Man kann lernen, seinen Haartyp zu bestimmen, es gibt Tutorials, die zeigen, wie man seine eigene Naturkosmetik herstellen kann und natürlich Stylingtipps. Und ja, es ist wirklich eine Reise, wenn man aufhört, sich hinter seinen Haaren zu verstecken.

"Es wird ständig suggeriert, dass Afrohaar unordentliches Haar, unprofessionelles Haar ist."

Ich musste meine Haare ganz neu kennenlernen. Ich hatte sie fast 10 Jahre lang verändert. Den Big Chop, also alle chemisch behandelten Enden abzuschneiden, habe ich jahrelang vor mir hergeschoben. Ich hab sogar eine Zeit lang eine mildere Form von Relaxer benutzt. Ja, ich hatte einen Rückfall. Aber es hat mich wirklich sehr viel Überwindung gekostet, meine echten Haare in der Öffentlichkeit zu tragen.

Ich hatte Angst, dass meine Haare zu "unordentlich" sein werden. Was mache ich, wenn mein Chef mich mit dieser Frisur nicht arbeiten lässt? Werden mich die Menschen noch ernst nehmen? Vergangenen März habe ich mich getraut. Mein Freund hat mir meine langen Locken mit der Maschine auf 20 Millimeter gekürzt. Und damit begann erst die richtige Reise.

Der Fokus der Fragen zu meinen Haaren hat sich damit total verschoben. Bisher wurde ich gefragt, ob ich überhaupt krauses Haar habe und wie lockig meine Haare denn genau sind. Jetzt, mit meinen natürlichen Haaren, merke ich, wie oft das Wort "glatt" in Zusammenhang mit meiner Frisur fällt. "Kannst du deine Haare überhaupt glätten?", "Hast du deine Haare schon mal geglättet?", "Du solltest deine Haare mal glätten!" – höre ich ständig. Selbst bei meinem letzten Friseurbesuch wollte die Stylistin mir unbedingt Produkte andrehen, die meine Haare glatt machen sollen. Ich hatte sie nicht darum gebeten.

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Es wird ständig suggeriert, dass Afrohaar unordentliches Haar, unprofessionelles Haar ist. Wenn wir uns Black/People of Color in den Medien ansehen, dann sehen wir dort auch selten jemanden mit Afrohaar. Und wenn, dann sind es meist klischeehafte Ghetto-Frauen, die einen Afro tragen. Das beste Beispiel dafür ist die Mutter aus dem Film "Precious". Sie schlägt und missbraucht ihre Tochter, ist arbeitslos und abhängig. Um ihren Verfall bestmöglich darzustellen, hat man ihr einen kurzen Afro verpasst. Auch in der Serie Orange is the New Black tragen die Schwarzen natürliches Haar – kriminelle Insassinnen eines Frauengefängnisses.

"Meine Haare trotzen der Erdanziehung"

Einen Afro zu tragen, ist ein Statement, in einer Welt, in der Krauselocken als unprofessionell angesehen werden. Und das nicht nur in Ländern, in denen die Haare verhältnismäßig selten zu sehen sind. In den USA oder in Südafrika ist es an einigen Arbeitsplätzen und Schulen sogar verboten, mit einem Afro zu erscheinen. Aktivistinnen wie Angela Davis, die Sängerin Nina Simone und die Black Panther Party erklärten den Afro zu einem Werkzeug des Widerstands. Es ist ein kleiner Akt der Auflehnung, wenn man beschließt, sich von den assimilierten Schnittlauchlocken zu distanzieren.

Ich habe nicht gewusst, wie mein Umfeld auf meine kurzen Haare reagieren würde. Und es war mir ehrlich gesagt auch egal. Es war einfach wunderbar für mich, meine eigenen Haare so zu präsentieren, wie sie sind. Mittlerweile liebe ich meine Haare und ihre Struktur. Meine Haare trotzen der Erdanziehung, allein das ist wie Magie für mich.

Auf der anderen Seite findet der Mainstream gefallen an der Schwarzen Kultur und den Frisuren. Als die Kardashians angefangen haben, Cornrows und Boxbraids zu tragen, wurden diese kurzfristig einfach zu "Kardashian Braids" umgetauft und als der neueste Hit im Netz verkauft. Versteht mich nicht falsch, wer seine Haare so tragen möchte, soll das tun. Aber erlaubt mir eine paar Fragen: Wieso ist es Ghetto, wenn ich Braids trage, aber hip wenn es Kim tut? Warum stylt man Kendall Jenner einen Afro für ein Shooting, wenn andere für diese Frisur ihren Job verlieren? Warum kann man die Lorbeeren nicht denen geben, die es erfunden haben?

Abschließend bleibt mir nur zu sagen, dass ich auch endlich finanziell von meinem Look profitieren möchte. Einmal Haare anfassen kostet ab jetzt zehn Euro.

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