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LGBTQ

"Viele Menschen behaupten, es gäbe nur Männer und Frauen"

"Viele Menschen behaupten, es gäbe nur Männer und Frauen" – Sascha und Lou erzählen, wie ihr Umfeld seit ihren Outings mit ihnen umgehen.
Sascha steht neben Lou
Alle Fotos von Mina Monsef

Ich treffe Sascha und Lou in einem kleinen gemütlichen Zürcher Café, in der Nähe beim Bahnhof Wiedikon. Vor eineinhalb Jahren haben Sascha und Lou sich in der Milchjugend, einer Jugendorganisation für queere Jugendliche, kennengelernt. Sascha lebt in Zürich, studiert Psychologie und Gender-Studies, und ist 26 Jahre alt. Lou ist 22 Jahre alt, kommt aus Bern und hat vor kurzem das Literaturstudium abgeschlossen.

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Ich treffe die beiden, um mit ihnen darüber zu sprechen, wie sie als non-binäre Menschen in einer binären Welt zurechtkommen. Während dem Gespräch muss ich mich konzentrieren, keine Pronomen für sie zu verwenden. Aber es beruhigt mich, dass auch Sascha ab und zu eines rausrutscht, wenn Sascha über Lou spricht. Sascha schmunzelt dann nur, und korrigiert sich.

VICE: Teilt ihr selbst Menschen nach "Männern" und "Frauen" auf?
Sascha: Klar, wir sind ja auch in diesem binären System aufgewachsen. Diese Codes loszuwerden ist praktisch unmöglich.

Lou: Wenn ich zwei fremde Menschen an einem Tisch sehe, und ich jemanden als Mann und jemanden als Frau lese, sage ich auch manchmal "er" oder "sie". Ich gebe mir aber Mühe, das zu minimieren. Sascha: In solchen Situationen probiere ich zum Beispiel zu sagen: "Die Person mit der Khaki-Jacke." Und wenn ich jemanden nicht kenne und eine Mail versende, schreibe ich nicht "Liebe Frau Meier", sondern "Guten Tag Barbara Meier."

Sascha und Lou im Gespräch

Lou (rechts im Bild): "Als ich in die Pubertät kam, habe ich mich immer unwohler gefühlt"

VICE: Ordnen euch Menschen einem bestimmten Geschlecht zu, wenn sie euch kennenlernen?
Sascha: Ja, in der Regel denken die Leute, ich sei eine Frau. Ausser auf dem Frauen WC – da werde ich manchmal darauf aufmerksam gemacht, dass ich mich auf der falschen Toilette befinde. Doch sobald ich dann etwas sage, werde ich an meiner Stimme als Frau gelesen, und die Frauen drehen sich beschämt weg.

Lou: Ich werde immer als Frau gelesen.

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Wann ist der richtige Zeitpunkt, um neuen Bekannten zu sagen: Ich bin keine Frau, ich bin non-binär?
Sascha: Bei Leuten, bei denen ich davon ausgehe, dass ich den ganzen Abend mit ihnen verbringen werde, sage ich meistens gleich am Anfang, dass ich non-binär bin und keine Pronomen brauche. Wenn mich aber jemand im Zug anquatscht oder so, erwähne ich es oft nicht. Da will ich nicht diskutieren.

Lou: Je nachdem wie sicher ich mich fühle und wie viel Energie ich habe. Es ist sehr viel Arbeit, auch emotionale, es den Leuten immer zu erklären. Aber bei Menschen mit denen ich eine gewisse Beziehung eingehe, oute ich mich möglichst schnell. Oft weisen auch meine Freund*innen die Menschen für mich darauf hin.

Sascha: Das finde ich super! Es bedeutet mir sehr viel, wenn ich einen Raum betrete und die Leute vorher von jemandem gebrieft wurden.


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Lou: Es ist einfach unangenehm, wenn man selbst die Leute immer wieder darauf hinweisen muss. Als würde man nur rumnörgeln. Wenn das jemand anderes übernimmt, bekommt das Ganze eine andere Dynamik.

Habt ihr euch schon unbeliebt gemacht, weil ihr immer wieder darauf bestanden habt, dass ihr ohne Pronomen angesprochen werden wollt?
Lou: Nicht unbeliebt; aber es gab schon Leute, denen es unangenehm war, in meiner Gegenwart überhaupt etwas über mich zu sagen. Das ist natürlich auch nicht in meinem Sinne.

Sascha: Letztens war ich an einem Abendessen eingeladen, und eine Person hat immer wieder ein Pronomen für mich benutzt. Am späteren Abend sagte ich ihr, dass ich non-binär bin und keine Pronomen brauche. Sie meinte daraufhin: "Ja, ich weiss, das wurde mir gesagt." Ich glaube, sie hat es einfach nicht ganz verstanden und war sich nicht bewusst, dass sie Pronomen verwendet hat. Aber es gibt Leute, die es absichtlich tun, um zu provozieren. Da stört es mich dann.

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Sascha und Lou im Gespräch

Sascha (links im Bild): "Ich habe mich zuerst als Trans geoutet"

Wann und wie habt ihr eigentlich gemerkt, dass ihr non-binär seid?
Lou: Für mich war es in der Kindheit überhaupt kein Thema, da konnte ich noch spielerisch mit meinem Geschlecht umgehen. Aber als ich in die Pubertät kam, mein Geschlecht und meine Sexualität wichtiger wurden, habe ich mich immer unwohler gefühlt. Ich habe mich einfach nicht als Frau identifiziert. Mit etwa 17 Jahren habe ich mich gefragt, ob ich ein Transmann sei – das stimmte aber für mich auch nicht. Ich habe mich intensiv damit auseinandergesetzt was Trans sein bedeutet und immer mehr gemerkt, dass ich weder als Mann, noch als Frau gesehen werden möchte. Mit 19 Jahren habe ich begonnen mich zu outen.

Sascha: Ich habe in meiner Kindheit und Jugend schon wahrgenommen, dass ich mich mit irgendwas unwohl fühle. Ich habe zum Beispiel nie verstanden, weshalb ich Mädchensachen geschenkt bekam. Bei meinen beiden Schwestern habe ich das nicht hinterfragt, aber bei mir schon. Als ich älter wurde, habe ich versucht als Frau zu leben. Ich hatte aber Mühe damit. Es ist etwas skurril, aber ich habe mich damals sehr über geschlechtergerechte Sprache aufgeregt, weil ich mich dadurch vergeschlechtlicht gefühlt habe. Deswegen habe ich lange nur das generische Maskulin, also nur die männliche Endung für ein Substantiv, benutzt. Erst als ich mich mit feministischen Themen auseinandergesetzt habe, wurde es für mich wichtig, dass man über beide Geschlechter schreibt.

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Sascha schaut Lou an

Sascha studiert Psychologie und Gender-Studies an der Universität Basel

Und wann hast du dich als non-binär geoutet?
Sascha: Erst etwa mit 22 Jahren, davor habe ich mich für kurze Zeit als Transmann identifiziert.

Du hast dich zuerst als Transmann identifiziert, warum?
Sascha: Weil ich damals noch in einem binären System gedacht habe. Heute identifiziere ich mich nicht mehr als Transmann, sondern als non-binäre Transperson.

Was ist der Unterschied zwischen einem Transmann und einer non-binären Transperson?
Sascha: Ein Transmann identifiziert sich nicht mit dem weiblichen Geschlecht, das ihm der Geburt zugewiesen wurde. Eine non-binäre Transperson identifiziert sich mit gar keinem, oder mit mehreren Geschlechtern. Es gibt aber auch non-binäre Personen, die sich nicht als Trans labeln.

Und woran hast du das gemerkt, dass du kein Transmann, sondern eine non-binäre Transperson bist?
Sascha: Ich habe die Vorstellung als Transmann zu leben etwas setzen lassen und gemerkt, dass das so ganz für mich nicht stimmt.

Sascha und Lou im Gespräch

Lou (rechts im Bild): "Ich wünsche mir, dass es geschlechtsneutrale WC's und Garderoben gibt"

Lou: Ich hatte lange das Gefühl, dass ich den Begriff "Trans" nicht für mich verwenden darf. Ich dachte, dazu müsste ich eine Transition machen, also meinen Körper durch Hormone und Operationen an mein Geschlecht angleichen. Aber unterdessen habe ich dieselbe Definition von Trans wie Sascha.

Welche Formen der Diskriminierung habt ihr schon erlebt?
Sascha: Viele Menschen behaupten einfach, es gäbe nur Männer und Frauen. Diesem Vorwurf begegne ich recht oft. Es gibt aber natürlich ganz viele Menschen, die nicht eindeutig Männer oder Frauen sind – auch auf einer biologischen Ebene.

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Lou: Und es gibt viele die meinen, ich könne ja tun, was ich möchte – und sie verwenden vielleicht sogar keine Pronomen für mich – aber schlussendlich stecke in der Biologie, so wie sie sie verstehen, die absolute Wahrheit.

Und wie geht ihr mit solchen Sprüchen um?
Sascha: Ich denke, wir können uns gut verteidigen. Wir sind privilegiert, weil wir gebildet sind und uns einer gewissen Rhetorik bedienen können. Damit können wir auf die Vorwürfe der Leute reagieren. Ich beobachte aber immer wieder, dass Transmenschen und non-binäre Personen von Leuten diskriminiert werden, gerade weil sie sich nicht so gut verteidigen können. Sie können nicht genau benennen, was "non-binär" bedeutet, verrennen sich dadurch in Behauptungen und werden als heuchlerisch abgetan.

Wird denn von non-binären Menschen erwartet, dass sie sich selbst perfekt erklären können?
Sascha: Ja, dieser Anspruch wird sehr stark an uns gestellt.

Lou: Und es ist extrem schwierig dem gerecht zu werden! Einerseits wird von uns gefordert, dass wir verständlich und vereinfacht über unser Geschlecht sprechen können, und andererseits machen wir uns genau dann angreifbar.

Lou schaut Sascha an

Lou hat Literarisches Schreiben studiert und arbeitet heute als freischaffender Autorin

Sascha: Und wenn man sich weigert, dieser Forderung gerecht zu werden, lässt man Menschen mit offenen Fragen zurück. Das führt wiederum dazu, dass sie wütend werden und einen deswegen angreifen.

Wünscht ihr euch, dass ihr euch nicht immer erklären müsst?
Lou: Ja, klar.

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Sascha: In meiner utopischen Vorstellung würde eine Person genau Bescheid wissen, wie sie mit mir umzugehen hat, wenn ich ihr sage, dass ich non-binär bin. Ich fände es schön, wenn ich nicht mit jeder dahergelaufenen Person über meine Geschlechtsidentität sprechen müsste.

Wie kann die Gesellschaft es euch einfacher machen?
Sascha: Ich finde wichtig, dass Transpersonen im medizinischen Bereich besser unterstützt werden. Es gibt leider noch immer viele transfeindliche Ärzt*innen.

Lou: Ich wünsche mir, dass binäre und non-binäre Transmenschen mitgedacht werden, wenn Räume konzipiert werden, also dass es zum Beispiel geschlechtsneutrale WC's und Garderoben gibt. Mir als Autor*in ist es ausserdem ein wichtiges Anliegen, dass man Transpersonen in Geschichten und Erzählungen mitdenkt. Ich benutze in meinen Texten keine Pronomen, wenn ich über non-binäre Menschen schreibe. Aber letztendlich müssen die Leute dafür eben auch noch viel mehr über non-binäre Menschen wissen.

Sascha und Lou lachen sich an

Sascha und Lou haben sich in der Milchjugend in Zürich kennengelernt

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