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Kultur

Wie mich eine BiFi vom Judentum abgebracht hat

"Schweinegelatine, Schweinebraten, Schweinfurt—was haben denn die armen Viecher Deutschland angetan, dass hier alles aus Schwein ist?"

_Mit 14 Jahren verließ Shahak Shapira _gemeinsam mit seiner Mutter und seinem jüngerem Bruder_ Israel und landete in einer gottverlassenen NPD-Hochburg in Sachsen-Anhalt. 2015 wurde Shahak für 2,5 Minuten bekannt, nachdem er in der Berliner U-Bahn antisemitische Gesänge filmte und dafür von einer Horde junger Männer angegriffen wurde. Ein Mediengewitter war die Folge, PEGIDA solidarisierte sich, aus Israel kam die Empfehlung, in die Heimat zurückzukehren. Dann bot ihm ein skrupelloser Verlag an, für lächerlich viel Geld ein Buch zu schreiben. Er stimmte aus purer … ähm … "Leidenschaft" … zu. Nun schreibt er über seine Jugend als einziger Jude im tiefsten Sachsen-Anhalt und über seine Familie. Seine Botschaft: Jeder entscheidet selbst, ob er ein rassistisches Arschloch ist oder nicht._

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_Dies ist ein Auszug aus dem Kapitel "Zonen-Shahak (14) im Glück: Meine erste Salami" aus Shahaks Buch DAS WIRD MAN JA WOHL NOCH SCHREIBEN DÜRFEN!_

Nachdem wir aus Israel nach Deutschland gekommen waren, hatte ich keine Freunde und konnte auch keine machen. Abgesehen von den fehlenden sprachlichen Kenntnissen hatte ich wenig Gelegenheit, auf den Straßen Lauchas in den Sommerferien gleichaltrige Jugendliche zu treffen. Die verbrachten ihre bildungsferne Zeit an exotischeren Ecken des Planeten—zum Beispiel am Ballermann oder im Sauerland.

Die kulturellen Hotspots derjenigen Jugendlichen, deren Eltern sich keinen Urlaub leisten konnten, wie der Edeka-Parkplatz oder die alte Schiffsschleuse an der Unstrut, kannte ich noch nicht. Und in Zeiten ohne Facebook, Twitter, WhatsApp, sogar noch vor Myspace, war Pornografie das spektakulärste soziale Highlight des Internets (ist es immer noch!).

An einem der ersten Tage beschloss ich, die lokale Fauna und Flora auf einem Spaziergang zu erkunden—ich wusste ja noch nicht, wie klein Laucha ist. Mal raste eine tiefergelegte Schrottkarre in Fifty Shades of Hässlichkeit an mir vorbei, mal starrte mich ein tiefergelegter Rentner aus dem Fenster an. Tote Blätter der deutschen Eiche rollten wie Tumbleweed durch die Straßen. Stille. Es fühlte sich an wie eine High-Noon-Szene aus einem Wildwestfilm.

Plötzlich nahm ich in der Ferne zwei menschenähnliche Gestalten wahr. Die Kreaturen kamen näher. Ich hörte sie hell lachen, sah lange Haare und glatte Gesichtszüge. Endlich konnte ich den Teufel beim Namen nennen: Es waren zwei weibliche Teenager. Ich wollte schnell die Straßenseite wechseln, doch zu spät, die Mädchen hatten mich bemerkt und schlenderten mir neugierig entgegen. Wir kamen uns immer näher. Ich starrte auf den Boden wie ein schüchternes Kind, spürte aber immer noch ihre aufdringlichen Blicke.

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Heutzutage hat man für genau solche Situationen ein Smartphone, in dessen Display man jederzeit hineinstarren kann, um damit unzumutbaren Hürden wie etwa technisch nicht unterstützter zwischenmenschlicher Kommunikation auszuweichen. Doch das Leben ist wie Polen—da müssen wir durch. Ich lief schweigend an ihnen vorbei und gerade als ich dachte, der Spuk sei endlich vorbei, blickte mich eines der beiden Mädchen an und sagte irgendwas komisches Deutsches, das ich natürlich nicht verstand. Zurückblickend glaube ich, dass es "Guten Tag" war.

Wie ich später herausfinden sollte, war es im Ort üblich, jeden Menschen auf der Straße zu grüßen. Unsinn ist das! Wer jeden Wildfremden in dieser Form begrüßt, läuft Gefahr, einem schlechten Menschen einen guten Tag zu wünschen. Möchte man wirklich, dass der Axtmörder von nebenan einen guten Tag hat? Eine äußerst schlampige Begrüßung für deutsche Verhältnisse. Wo bleibt die Selektion? Wo bleibt die Recherche?

Ich entschied, mich von dem unverständlichen Gebrabbel des deutschen Mädchens nicht angesprochen zu fühlen, und lief entschlossen an den beiden vorbei. "Guten Tag!", rief sie noch mal, etwas lauter und selbstbewusster. Ich ignorierte sie weiter gekonnt und erhöhte mein Schritttempo. "GUTEN TAG!!!", schrie sie mir empört ein drittes Mal hinterher. Instinktiv drehte ich mich um und starrte sie an wie ein Reh vor den Scheinwerfern eines sich nähernden Autos. In meinem Kopf suchte ich nach einer Geste, die eine Botschaft wie "Ich spreche kein Wort Deutsch und habe keine Ahnung, was du von mir möchtest" vermitteln könnte. Einige stundenlange Sekunden vergingen, und schließlich reagierte ich so, wie jeder geistig stabile Mensch reagieren würde, um diese missliche Lage zu retten: Ich zuckte mit den Schultern, machte auf dem Absatz kehrt und rannte um mein Leben. Ein weiterer Sieg für die Integration.

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Und so verbrachte ich meine Tage alleine auf dem leeren Fußballplatz. Ich konnte nicht aufhören, über den sorgfältig gepflegten Rasen zu staunen. Anders als die Stadt drum herum war der knallgrüne und dicht gewachsene Rasen von keinem einzigen braunen Flecken befallen. Es war der hochwertigste Fußballplatz, auf dem ich je gespielt habe. Die besten Fußballplätze Israels konnten nicht mit dem dieses kleinen Kaffs im deutschen Niemandsland mithalten. Das liegt nicht nur an Israels tropischem Klima, sondern auch an der fanatischen Besessenheit der Deutschen für Fußball. Wie es sich für einen richtigen Neudeutschen gehört, hatte ich eine ordentliche Aktenmappe mit Fußballübungen vorbereitet: jede Seite eine umfassende Erklärung mit Text und Bild, jedes Blatt in einer Klarsichtfolie, nach Nummer und Schwierigkeitsgrad sortiert—als wäre alles von einem Beamten an der KfZ-­Zulassungsstelle angefertigt worden. Ich übte doppelte Übersteiger, jonglierte den Ball auf Kopf und Knie und feilte an meiner Schusstechnik.

An einem magischen Tag in September kam aber endlich wieder etwas Leben ins Dorf, und ich konnte meine Aktenmappe zu Hause lassen und zusammen mit anderen spielen. Nach einer Stunde Fußball machten wir Pause, und ich wurde zum ersten Mal in meinem Leben mit einer BiFi konfrontiert. Für diejenigen, die ihre Lebensmittel noch nie vor laufender RTL-II-­­Kamera gekauft haben und/oder den eigenen Körper nicht aufs Äußerste verabscheuen: BiFi ist eine dünne, lange Salamiwurst, fettig genug, um eine großzügig verteilte Akne ein ganzes Jahr aufrechtzuerhalten. Das Fleisch fasst sich so ölig an, dass die Wurst, zusätzlich zur orangenen Verpackung aus Plastik, von einer dünnen Frischhaltefolie umhüllt ist, damit man sich die Hände nicht schmutzig macht. Wie bei einem Ossi, der zum ersten Mal eine Banane bewundert, leuchten meine Augen beim Anblick der fettigen Wurst in meinen Händen (That's what she said).

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Illustration: Shahak Shapira

Dann beiße ich zu. Und ich find's geil. Hey, ich bin erst 14, und es ist das erste Mal, dass ich eine Salami gesehen habe (That's what she said! High Five? Komm schon, High Five auf den Bildschirm! Das ist ein interaktiver Text). In Israel sind Leckereien wie Salami oder Bacon wegen der Religion verboten. Bei mir ist Religion wegen Bacon verboten. Ich kann doch nicht an einen Gott glauben, der Bacon verbietet!

Cheeseburger sind für Juden ebenfalls tabu, Fleisch und Milch dürfen nicht miteinander verzehrt werden. Steht so in der Thora. Obwohl man sich keine Ernährungstipps aus einem steinalten Science­-Fiction­-Buch holen sollte, liefert die Bibel eine mehr oder weniger plausible Begründung zu diesem Verbot: Die Bibel hält es nämlich für grausam, ein Kalb "in der Milch" seiner Mutter zu essen. Erstgeborene Babys morden, ganze Völker massakrieren, Frauen vergewaltigen—da kann man schon mal ein Auge zudrücken. Aber essen Sie EINMAL einen mickrigen Cheeseburger, sind Sie bei Jehova so was von unten durch.

Heute schlachten wir so viele Tiere, wie wahrscheinlich ist es da, dass man ausgerechnet das Kalb gebraten bekommt, dessen Mutter die Milch für den Cheddar oben drauf lieferte? Ist doch eh alles Analogkäse.

So wurden BiFi und Haribo zu meinen begehrtesten kulinarischen Erlebnissen jener Zeit. Die bunten Kameraden aus Bonn gab es in Israel nämlich auch nicht, schließlich enthalten Gummibärchen ebenfalls Schwein. Schweinegelatine, Schweinebraten, Schweinfurt—was haben denn die armen Viecher Deutschland angetan, dass hier alles aus Schwein ist?

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Und Gott sprach zu seinem Sohn, Abraham …

"A­-Dawg! Aaaaaa to da B to da R to da Ahaaaam! Ich bin's, J­-Hova. Alles klar, Digga?"

"Jo, was los?"

"Pass auf, wir müssen hier noch ein paar Grundregeln definieren. Nur so paar Kleinigkeiten."

"Hmm, OK. Soll ich was zum Schreiben holen?"

"Neenee, mach ich später mit Moses, der hat eine schöne Handschrift. Also pass auf: …"

(10 Minuten später)

"… Du sollst nicht morden. Du sollst nicht stehlen."

"Alles klar. Mach ich nicht."

"Ach so, ja, eine Sache noch: Siehst du die Dinger da, die ich auf die Wiese hingestellt habe? Die mit den vier Beinen?"

"Die Steaks?"

"Nein, nicht die Kühe. Die da, die pinken. Ja, genau—die bitte NICHT essen."

"Aber die sehen doch so lecker aus … "

"Alter, ich hab dir hier so kleine Vögel zum Fressen hingestellt, die haben Flügel, aber können nicht mal wegfliegen. Die legen dir sogar so kleine Eier, die du braten kannst, bevor du sie schlachtest. Lass die Schweine einfach in Ruhe, OK?"

"Ja OK, is geil, so Chicken Wings und so, aber was willst du mit den … "

"ICH BIN DEIN GOTT UND DU WIRST MIR GEHORCHEN!"

"OK, OK, ist ja gut. Ganz schön empfindlich heute. Mein Gott … also niemanden morden, nix stehlen und die fetten Viecher da nicht fressen?"

"Genau. Und sie sind nicht fett, sie haben nur schwere Knochen. So. Jetzt hol mal deinen Sohn her. Und bring ein scharfes Messer mit …"

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