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Der St. Giles Trust ist eine Organisation, die versucht, diesen verletzlichen Mädchen eine Plattform zu bieten, indem sie ihnen Zugang zu Menschen gibt, die sie verstehen—Frauen und Männer, die die gleichen Sachen durchgemacht haben und die selber in Gangs waren. Ein Drittel der Menschen, die für St. Giles arbeiten, ist selber mal straffällig gewesen. Außerdem betreibt die Organisation noch das SOS Project—Londons größtes Gang-Interventionsprogramm.Ich habe mich mit den beiden langjährigen SOS-Mitarbeiterinnen Antonia Ejoh-Steer und Toni Harriot über die Mädchen in Londons Gangs unterhalten. Toni ist außerdem die Gründerin des Expect Respect Projects—eine Anlaufstelle für gefährdete Teenagerinnen und junge Frauen, von denen die meisten dem Risiko sexueller Ausbeutung und Ganggewalt ausgesetzt sind.VICE: Wie schafft ihr es, diese jungen Mädchen zu erreichen?Noisey: Die Polizei VS Grime—Wie die Form 696 die Szene von London beeinflusst
Toni: Wir gehen in Schulen, zu Jugendtreffs und Programmen für jugendliche Straftäter und veranstalten Workshops. Mit St. Giles arbeite ich schon lange im Bereich Mädchen in Gangs, Workshops nur für Frauen gibt es in diesem Ausmaß aber erst seit anderthalb Jahren. Die Probleme der Jungs überschatten tendenziell das, was mit den Mädchen passiert. Wenn in einer Gegend vier Jungs abgestochen werden und ein Mädchen vergewaltigt, was meinst du, wo die ganzen Ressourcen hingehen?
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Antonia: Mädchen haben eine ziemlich wichtige Position in Gangs, weil sie große Verantwortung tragen. Sie sind es oft, die die Waffen bei sich haben, da sie seltener von der Polizei angehalten und durchsucht werden. Manchmal bewahren sie auch die Drogen auf. Sie sind also nicht unbedingt auf der Straße zu sehen, aber sie spielen eine wichtige Rolle … Wir haben auch schon Mädchen getroffen, die den Männern gleichgestellt sind.Toni: Innerhalb der Gang gibt es verschieden Arten von Mädchen. Es gibt Typen, die sich ein sogenanntes „Good Girl" suchen. So eine hat vielleicht einen Job, keine Vorstrafen und bewahrt das Geld und die Drogen auf—vielleicht macht sie auch mal Transporte. Ihre Wohnung wird als „Safe House" benutzt. Wenn in deiner eigenen Wohnung ständig Leute ein- und ausgehen, dann ist das nicht gerade ein „Safe House"—da willst du deine Drogen nicht verstecken. Sie suchen sich also die Mädchen danach aus, wie sie für die Gang nützlich sein könnten.
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Antonia: Reine Mädchenunterkünfte wären nötig, aber die gibt es nicht mehr …Toni: Es ist ein großer Fehler, anfällige Frauen in eine Unterkunft mit Typen zu stecken, die eine ähnliche Vorgeschichte haben wie diejenigen, die sie in der Vergangenheit ausgenutzt haben. Am Ende steckst du sie damit nur in eine schlimmere Situation. Was soll denn dort mit ihnen auch anderes passieren, wenn sie nicht ausreichend Unterstützung erfahren?Viele der vorhandenen Maßnahmen scheitern daran, eine offene Unterhaltung anzustoßen—vor allem unter den Frauen: Müttern und ihren Töchtern. Mit ER versuchen wir, uns auf diese Beziehungen zu konzentrieren und sie zu stärken. Wenn du als Mädchen nämlich kein gutes Verhältnis zu deiner Mutter hast, wirst du dir deine Bezugsperson woanders suchen, schlechte Entscheidungen treffen und dich abschotten.
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Toni: Genau, und als Elternteil musst du dir auch etwas Mühe geben, deine Kinder kennenzulernen, um derartige Dialoge mit ihnen haben zu können.Es ist auch wichtig, sie über die sozialen Netzwerke aufzuklären. Junge Menschen leben in ihrer eigenen Welt und verstehen oft nicht, dass es fast unmöglich ist, Bilder oder Dinge, die man vor einer Kamera gemacht hat, wieder zu entfernen, sobald sie einmal im Umlauf sind.Das ist eine relativ neue Art der Ausbeutung …
Toni: Ja, und viele Eltern haben davon einfach keine Ahnung. Es ist eine ganz andere Welt da draußen—Mädchen können nicht nur von einem Tyen, sondern von vielen ausgebeutet werden. Manchmal ist es sehr schwer, herauszufinden, was eigentlich passiert, bevor es zu spät ist.Wir sagen unseren Mädchen am Ende, dass sie stark sein müssen, auch mal nein zu sagen. Als Gruppe Mädchen müsst ihr zusammenhalten und stark sein. Den jungen Typen sagen wir aber auch: „Wer will denn der neunte von zehn Typen sein, die alle mit dem gleichen Mädchen schlafen? Was für ein Leben …. was für eine Mentalität ist das?"Und es sind nicht nur Jungs, die die Mädchen ausnutzen, oder?
Toni: Wir hatten schon Fälle, in denen Mädchen andere Mädchen in einen Hinterhalt geführt und sie zu Orten gebracht haben, an denen sie ausgenutzt und vergewaltigt wurden. Das läuft dann etwa so ab, dass einer der wichtigeren Typen fragt: „Hast du nicht ein paar Mädchen für mich?" Sie zieht dann los und sagt zu einer: „Hey, es gibt da eine coole Party, die Musik ist super und es gibt eine Menge zu trinken." Wenn sie dann ankommen, sind da 20 Männer in einem Raum und das Mädchen, das sie hergebracht hat, sagt schnell „Bye" und lässt das Mädchen in dem Raum mit den Männern zurück.Wie geht ihr diese ganzen Probleme an?
Toni: Ich glaube, dass die Mädchen einfach stärker werden müssen. Sie müssen das Gefühl bekommen, dass sie nicht die Liebe eines Mannes brauchen, um sich selbst gut zu fühlen … Das Problem ist dabei auch, dass die Medien diesen Eindruck vermitteln, dass man seine Sexualität einsetzen muss, sich auf bestimmte Art und Weise kleiden und verhalten, einem bestimmten Körpertyp entsprechen muss, um akzeptiert und erfolgreich zu sein. Das ist aber nicht die Realität. Die meisten jungen Mädchen, mit denen wir arbeiten, wissen noch nicht mal, wohin sie für Vorbilder schauen sollen, weil sie nie gelernt haben, irgendwelche Ziele im Leben zu haben.Die Situation hier ist ziemlich hoffnungslos: Die Jungs bringen sich gegenseitig um und die Mädchen werden von diesen jungen Männern missbraucht und runtergemacht. Als jemand, der selber Kinder hat, und auch als Mensch versuche ich, so gut ich kann, zu verhindern, dass so etwas den jungen Menschen um mich herum passiert. Ich versuche, ihre Einstellungen zu ändern und ihnen ein paar Ziele zu geben. Es muss nicht sein, dass sie mit Mitte 20 vier Kinder von vier verschiedenen Vätern haben, der Mann sitzt im Knast, der Freund ist tot … Wir leben in einer Gesellschaft, in der das eigentlich nicht passieren sollte, aber wir tun es unseren jungen Kindern an und die sich gegenseitig. Als Gesellschaft müssen wir mehr Verantwortung zeigen.