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Hetze im Netz

So stark hat sich der antisemitische Hass im Netz entwickelt

Rechte und Muslime hetzen laut einer Studie des Verfassungsschutzes zu gleichen Teilen gegen Juden.
Collage bestehend aus: Flagge: imago | Winfried Rothermel, Screenshot: YouTube

Man muss nicht lange suchen, bis man bei YouTube die ersten antisemitischen Kommentare unter einem Galileo-Beitrag über einen israelischen Diamantenschleifer findet. Und so geht es ungehindert weiter, in Tausenden Kommentarspalten des Internets. Das Ausmaß des Judenhasses im Netz zeigt jetzt auch eine neue Studie des Hessischen Verfassungsschutzes.

Dafür musste die Leiterin der wissenschaftlichen Analysestelle "Antisemitismus und Fremdenfeindlichkeit" des Verfassungsschutzes, Ann-Christin Wegener, gar nicht in kruden Foren suchen. Auf den Facebook-Seiten von Bild und Focus Online sowie den YouTube-Seiten von Spiegel TV und Galileo analysierte sie 38 Beiträge und insgesamt 7.000 Kommentare aus den Jahren 2010 bis 2017. Auch wenn sie sich dabei auf besonders reichweitenstarke Seiten konzentrierte, kann die Studie natürlich nicht alle Aspekte von Judenhass abdecken. Es ging eher darum, einen Eindruck davon zu gewinnen, wie sich Hass gegen Juden im Netz verbreitet, schreibt sie in der Studie. Bei allen untersuchten Beiträgen ging es um mindestens eines der Themen Juden und Judentum, Israel, Nahostkonflikt und Antisemitismus.

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Etwa 600 der Kommentare stufte Wegener als antisemitisch ein. Wenn sie auf die Profile der jeweiligen Nutzer zugreifen konnte – was fast immer der Fall gewesen sei –, untersuchte sie ihre Likes und Posts, um sie politisch und religiös einzuordnen.

Unter Berichten über Juden hetzten zu gleichen Teilen Rechte und Muslime. Die rechten Kommentatoren stammten verhältnismäßig selten direkt aus dem rechtsextremen Lager, sondern aus dem größeren rechtspopulistischen Spektrum – zumindest ergab das Wegners Analyse der jeweiligen Likes und Kommentare. Unter Beiträgen zum Judentum schrieb ein Viertel der Kommentatoren Beschimpfungen oder Pauschalaussagen wie "ich hasse Juden" – Gründe und Argumente seien dafür meist nicht geliefert worden. Ein weiteres Viertel der untersuchten Kommentare habe Klischees bedient, wie sie schon die Nazis im Holocaust verwendeten. Judenfeindliche oder antisemitische Kommentare von Linken oder Linksextremen habe es zwar gegeben, sie seien aber bei allen untersuchten Beiträgen die Ausnahme geblieben, schreibt Wegener.

Insgesamt hinterließen Rechte seit 2014 weniger antisemitische Kommentare, die Zahl der judenfeindlichen Hasspostings bei Muslimen stieg hingegen an. Das könnte laut den Studienmachern damit zu tun haben, dass sich Rechte in den vergangenen Jahren ein neues Feindbild suchten: Flüchtlinge. Dass Geflüchtete aus arabischen Ländern wiederum den gestiegenen Judenhass von Muslimen erklären könnten, bezweifelt Wegener. Den meisten Flüchtlingen würden dazu meist schlicht die Sprachkenntnisse fehlen. Gründe für den Anstieg identifiziert Wegener nicht. In ihrer Studie gehe es vor allem darum zu zeigen, dass es ein Problem gibt.

In ihrem Fazit schreibt Wegener, dass Antisemitismus unter Muslimen in Deutschland ein Problem sei, mit dem sich unsere Gesellschaft, Politik und Sicherheitsbehörden in Zukunft mehr befassen müssen. Dabei dürfte man aber auch den weiterhin existierenden Judenhass unter Rechtspopulisten und Rechtsradikalen nicht aus den Augen verlieren. Das wahre Ausmaß des Judenhasses im Netz könnte indessen noch viel größer sein: Denn Hasskommentare, die von Seitenbetreibern gelöscht wurden, können auch wissenschaftliche Studien nicht erfassen.

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