Der Autor betrachtet das Bundesamt für Verfassungsschutz in Köln-Chorweiler
Alle Fotos: Grey Hutton

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Zivilcourage

Ich habe eine Woche lang den Verfassungsschutz beschattet

Einer muss es ja machen.

"Im Verborgenen Gutes tun."
– Wahlspruch des BfV

Verdammt, verdammt, verdammt, sie haben uns gesehen. Ich rolle mich schnell durch das nasse Laub nach links, hinter den Baum, aber es ist zu spät. Mit schnellen Schritten kommen zwei Männer in Uniform aus dem Tor des Bundesamtes für Verfassungsschutz auf mich zugelaufen.

Ich habe gerade noch Zeit, aufzustehen und das Fernglas zu verstecken, mit dem ich bis eben das Tor beobachtet habe. Das größere Problem ist aber sowieso, dass ich aussehe wie eine Mischung aus Kommandosoldat und Obdachlosem – komplett in Flecktarn, allerdings auch mit einem mit Laub und alten Zigarettenschachteln beklebtem Poncho. Ich kann nur hoffen, dass die beiden nicht sofort das Feuer eröffnen. "Was machen Sie denn da?", ruft einer von beiden, noch bevor sie uns erreicht haben. "Was machen Sie da?"

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Eine sehr gute Frage.

Die einfache Antwort, die ich ihm aber nicht sagen kann: Ich bin hier, um seinen Arbeitgeber, das Bundesamt für Verfassungsschutz, auszuspionieren. Weil es höchste Zeit ist, dass denen mal einer auf die Finger guckt.

Der Hauptgrund: Hans-Georg Maaßen, der bis Montag noch Präsident des Verfassungsschutzes war. Seine Versetzung ins Innenministerium war zwar schon beschlossene Sache, aber noch war er im Amt – und wäre es vielleicht noch ein paar Wochen geblieben, wenn er nur seine Klappe gehalten hätte.

Stattdessen hielt er eine Rede, in der er spekulierte, dass "linksradikale Kräfte in der SPD" seine Entlassung nutzen wollten, um die Regierung zu sprengen. Und zwang damit nicht nur seinen Chef Horst Seehofer, ihn jetzt doch direkt in den Ruhestand zu versetzen. Sondern uns allen die Frage auf: Was geht eigentlich im Kopf dieses Mannes vor sich? Und was bedeutet das für das Amt, das er geführt hat?

Um das herauszufinden, gab es nur einen möglichen Weg: den Verfassungsschutz selbst beschatten, um so einen Blick darauf zu erhaschen, was darin wirklich vorgeht. Die Wächter bewachen, während sie sich unbeobachtet fühlen.

DIE VORBEREITUNG – THEORETISCHER TEIL

Natürlich kann man nicht einfach losziehen und einen Haufen Spione und Spioninnen beschatten – akribische Vorbereitung ist gefragt! Als Erstes muss ich mich aufs Intimste mit meinem Ziel vertraut machen. Und wo geht man hin, wenn man gleichzeitig etwas lernen und dabei intim werden will? Richtig, in die Universitäts-Bibliothek.

Auf einem Schreibtisch liegen diverse Dokumente zum Verfassungsschutz.

Ich muss mir ein umfassendes Bild machen

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Ich suche mir also alle Arten von Material zusammen, um mehr über den Verfassungsschutz zu lernen – und zwar von Anfang an. So erfahre ich, dass das Amt bei seiner Gründung 1950 als eine der nazifreiesten Bundesbehörden überhaupt angefangen hat – zwar beschäftigte man 13 Prozent Mitarbeitende mit NS-Vergangenheit, lag damit damals aber deutlich unter dem Durchschnitt von circa einem Drittel Nazis in den anderen Behörden. Glückwunsch, I guess?

Und: Der erste Präsident des Bundesamts war ein ehemaliger Widerstandskämpfer (gut), der aber nach vier Jahren im Amt plötzlich in der DDR auftauchte (weniger gut), dort anderthalb Jahre blieb und sich dann außerordentlich wunderte, als er nach seiner Rückkehr in die BRD wegen Landesverrats ins Gefängnis gesteckt wurde. Wir lernen: Der Verfassungsschutz hat eine gewisse Tradition, was exzentrische Chefs angeht.

Passend dazu finde ich dann ein richtiges Goldstück: eine Besprechung von Hans-Georg Maaßens 1997 veröffentlichter Doktorarbeit, Die Rechtsstellung des Asylbewerbers im Völkerrecht. Während um mich herum Hunderte Studierende verzweifelt versuchen, ihren Hormon-Überschuss unter Kontrolle zu kriegen, vertiefe ich mich in die Lektüre.


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Maaßens These damals, fünf Jahre nach Rostock-Lichtenhagen und dem "Asylkompromiss", der das Asylrecht bereits deutlich verschärfte: Immer noch viel zu lasch, alles. Rechtlich gesehen gebe es "erhebliche noch unausgeschöpfte Spielräume" für eine restriktivere Flüchtlingspolitik.

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Interessanterweise scheint die Rezensentin, eine ehemalige Richterin des Bundesverfassungsgerichts, etwas genervt von einer Eigenschaft Maaßens, die die deutsche Öffentlichkeit später noch zur Genüge kennenlernen sollte: "Argumentative Gründlichkeit und Sorgfalt in der Präsentation und Auswertung von Quellen und Literatur investiert der Verfasser des öfteren recht selektiv", schreibt die ehrwürdige Richterin. Will heißen: Genauigkeit ist Maaßen nicht so wichtig, solange er sein Argument pushen kann. Oder, in Maaßens eigenen Worten von 2013: "Der Niederrheiner sieht vieles nicht so absolut wie andere. Er relativiert viel. Er lässt fünf ab und an auch mal gerade sein."

DIE VORBEREITUNG – PRAKTISCHER TEIL

Aber genug gebüffelt! Jetzt wird es Zeit, mir ganz praktisch die Fertigkeiten anzueignen, die ich für diesen Auftrag brauchen würde. Um zu lernen, wie ich echte Geheimdienst-Angestellte beschatte, ohne dass sie mich sofort bemerken und mit ihren vergifteten Regenschirmen stechen, brauche ich Hilfe von einem Profi.

Der Privatdetektiv zeigt sein GPS-Gerät

Christians GPS-Tracker für Fahrzeuge

"Das Wichtigste ist, nicht erkannt zu werden", erklärt mir Christian von der Kurtz Detektei Berlin. "Sehen könnse dich, aber erkennen dürfense dich nich." Christian ist ein Profi: Der 49-Jährige ist seit über zehn Jahren Privatdetektiv, davor war er Verdeckter Ermittler bei der Polizei. Er hat sich bereiterklärt, mir das Beschatten zu erklären – und zwar unter realen Bedingungen.

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Dazu soll ich ihn einfach auf einer laufenden Observation besuchen. Und so kommt es, dass ich an einem verregneten Morgen mit Christian in seinem schwarzen Audi an einer Straßenecke in Berlin-Schöneberg sitze und darauf wartete, dass ein Ex-Knasti auftaucht, der möglicherweise seine Freundin gefangen hält (vielleicht ist sie aber auch einfach nur zu ihm gezogen, und ihrer Familie gefällt das nicht, das weiß man nicht so genau).

Während wir warten, frage ich Christian, ob er es für leichtsinnig hält, dass ich professionelle Beschatter beschatten will. "Erstmal rechnen die natürlich nicht damit, dass jemand an denen dran ist", sagt er. "Aber ich glaube, durch diese Tätigkeit hat man einen anderen Blick für die Umwelt. Ich zum Beispiel scanne eigentlich immer die Leute in der Umgebung ab."

Deshalb sei es besonders wichtig, sich immer der Umgebung anzugleichen. "Auf dem Ku'damm bin ich Tourist, im Grunewald habe ich 'nen Hund dabei, um spazieren zu gehen", sagt Christian. "In die Umgebung passen, das ist das A und O." Mindestens genauso wichtig: die richtige Legende. "Du musst immer für dich selber wissen: Wer bist du gerade? Und was machst du gerade?"

Und dann geht es an praktische Hinweise: die richtige Entfernung für eine Beschattung zu Fuß zum Beispiel. "Man muss nah genug dran sein, um alles mitzubekommen, aber weit genug, dass man nicht verbrannt wird", erklärt Christian. "50 Meter, würde ich sagen, Pi mal Daumen. Wenn er um die Ecke geht, muss man halt ein bisschen beschleunigen." Mein Vorteil ist hier, dass unsere Verfassungsschützerinnen sich aktuell offenbar damit schwertun, es überhaupt zu erkennen, wenn irgendwo jemand gehetzt oder gejagt wird. Vielleicht gilt das sogar dann, wenn es ihnen selber passiert.

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Und noch was: "Wichtig ist: Am aufmerksamsten ist jeder, wenn er gerade sein Haus verlässt", sagt der Detektiv. "Man guckt immer: Ist alles in Ordnung, ist alles normal? Deshalb sollte man gerade an der Wohnungstür nie zu nah dran sein." In meinem Fall bedeutet das: Ich muss Abstand vom Gebäude haben, wenn ich die rauskommenden Verfassungsschützer nicht nervös machen will.

Nach einer knappen Stunde ist das Zielobjekt immer noch nicht aufgetaucht, aber mein Crashkurs beendet. Ich bedanke mich bei Christian. Ich bin bereit, und ich muss los – nach Köln.

DIE BESCHATTUNG

Der Autor bereitet die Observierung mit einer Karte vor, er sieht sehr cool dabei aus

Gute Vorbereitung ist der Schlüssel zum Erfolg

Früh am nächsten Morgen gehe ich den Plan noch einmal durch: Exzellent getarnt würde ich das VS-Hauptquartier in Köln-Chorweiler zunächst aus der Ferne beobachten und so herausfinden, was da eigentlich den ganzen Tag passiert. Danach würde ich die Tarnung wechseln und versuchen, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Verfassungsschutzes auf ihrem Weg in die Mittagspause zu beschatten und ihnen im Idealfall ins Restaurant zu folgen, wo ich dann am Nebentisch Platz nehmen und sie unauffällig belauschen würde.

Für den ersten Teil hatte ich mir extra einen professionellen Scharfschützen-Tarnanzug bestellt, der aber leider nicht rechtzeitig ankam. Ich musste also improvisieren, was aber im Grunde ein Glücksfall war, weil ich lokalspezifische Elemente (Laub, Kippenschachteln) in meine Tarnung integrieren und so noch kunstvoller mit der Umgebung verschmelzen konnte. Es dauerte eine Weile, aber dann war meine Tarnung perfekt:

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Der Autor steht in seinem Tarn-Anzug auf dem Bürgersteig.

Seht ihr mich überhaupt?

Wenig später bin ich in Position auf meinem Posten, von dem ich das Haupttor des Geländes perfekt im Blick hatte. In diesem beeindruckend scheußlichen Komplex sitzen Hunderte Sachbearbeiterinnen, Referenten und Abteilungsleiterinnen und bespitzeln Rechts- und Linksextreme, Islamisten, chinesische Hacker und kurdische Freiheitskämpferinnen. Die Frage ist nur: Machen sie das richtig?

Der Autor kauert an einem Hügel und beobachtet den Eingang zum Bundesamt für Verfassungsschutz

Tipp: Der exzellent getarnte Autor sitzt unten links im Bild

Eigentlich wollte ich jetzt beobachten, wer alles beim Verfassungsschutz ein- und ausgeht. Dummerweise dauert es keine fünf Minuten, bis zwei Wachmänner aus dem Tor kommen – und zwar direkt auf mich zu. Offensichtlich hatte sich der Verfassungsschutz mit außergewöhnlich leistungsstarker Aufklärungstechnik ausgestattet – für das menschliche Auge war ich unmöglich zu entdecken.

Flucht ist ausgeschlossen, ich bin zu exponiert. Es bleibt mir nichts anderes übrig, als auf die beiden zu warten. Dabei gehe ich nochmal meine "Legende" durch: Als Hobby-Ornithologe will ich die Schwarmbildung der Stare beobachten, die genau hier vorbeikommen mussten. Dass hier auch irgend so ein Bundesamt herumsteht, habe ich sozusagen gar nicht gemerkt. Der Plan ist wasserdicht und absolut glaubwürdig.

"Ich bin Journalist!", bricht es sofort aus mir heraus, als die beiden Männer vor mir stehen. "Ich bin Journalist und mache hier eine Geschichte über den Verfassungsschutz! Ich glaube, ich darf das!" Der Ältere der beiden, ein rundlicher, freundlicher Rheinländer, schaut mich etwas melancholisch an und schüttelt leicht den Kopf. Der Jüngere, ein durchtrainierter Typ mit Vollbart und Tattoos am Hals, starrt mich einfach nur an, als rechne er gerade aus, wie lange am Stück er mich tasern könnte, bevor mein Herz platzt.

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Zum Glück hat der Ältere das Sagen. "Ja, gut … achten Sie aber drauf, dass Sie keine Fotos von irgendwelchen Autos machen, ja?" Damit drehen sich beide um und stapfen zurück. Nicht mal meine Frage, ob Herr Maaßen heute im Haus sei, wollen sie noch beantworten. Wir sind glimpflich davongekommen – aber auch enttarnt. Es ist Zeit, die zweite Phase einzuläuten.

Der Autor sitzt in neuer Tarnung an einer Bushaltestelle

Wer ist das denn jetzt?

In einer nahegelegenen Bäckerei ziehe ich mich um, dann positioniere ich mich an der Bushaltestelle gegenüber vom Amt. Und fange an, akribisch jeden Ein- und Ausgang zu notieren. Dabei halte ich besonders Ausschau nach AfD-Stickern und einschlägigen Kennzeichen (Chemnitz, Bauzen, Eichsfeld). Hier ein kleiner Auszug aus dem Protokoll:

12:29 Mercedes-SUV, dunkelgrau, getönte Scheiben, fährt raus
12:30 Schwarzer LKW, Event-Catering, fährt vors Tor. Abschiedsparty für Maaßen?
12:31 Blauer VW-Kombi fährt rein
12:31 Schwarzer VW-Kombi fährt raus
12:33 Der Fahrer des Event-LKWs steigt aus, steht herum
12:33 Schwarzer Audi-Kombi fährt raus, etwas zu schnell
12:35 Silberner Nissan-SUV fährt raus
12.35 Der LKW-Fahrer ist in Hundescheiße getreten, versucht, seine Schuhe an Gras abzuwischen
12:36 Zwei Sicherheitsmänner mit einem Unterbodenspiegel kommen aus dem Tor, unterhalten sich mit dem LKW-Fahrer, kontrollieren den LKW
12:37 Ein Langnese-LKW kommt aus dem Tor. Was ist da drinnen los?
12:39 Silberner VW-Van, raus
12:40 Der Event-LKW darf reinfahren

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Das Ergebnis: Die Verfassungsschützerin an sich fährt am liebsten Kombi oder Geländewagen, meistens in Grau oder Dunkelgrau. Es biegen ungefähr genauso viele Verfassungsschützer nach rechts wie nach links ab. Und: Niemand ist zu Fuß unterwegs.

Was ein Problem ist. Nach einer Weile wird mir klar, dass das mit dem Beschatten nichts wird. Alle, die zur Mittagszeit aus dem Amt kommen, fahren in ihren Autos irgendwo anders hin. Kann auch daran liegen, dass es hier in der Gegend nur eine Bäckerei und eine Dönerbude gibt.

Gegen halb zwei setze ich mich sicherheitshalber trotzdem in die Bäckerei und übe das Bespitzeln, während ich darauf warte, dass ich unbedarfte Verfassungsschützer und -schützerinnen bei Kaffee und Bienenstich belauschen kann.

Der Autor sitzt im Kaffee und liest eine Zeitung – doch die Zeitung hat ein Loch!

Mit Merkels Hilfe perfekt getarnt

Es ist tragisch: Meine Tarnung ist perfekt, die Technik auch – das einzige, was fehlt, sind Leute zum Beschatten. Die einzigen, die in die Bäckerei kommen, sind Horden von Schulkindern – und denen will ich nicht in einem Trenchcoat hinterherlaufen.

Nachdem ich nochmal zu meinem Posten zurückgekehrt bin und dort auch nach einer weiteren halben Stunde immer noch niemand zum Beschatten herausgekommen ist, muss ich einsehen: Für heute ist die Observation beendet. Es ist Zeit, zur nächsten und letzten Phase übergehen.

DIE KONFRONTATION

Am nächsten Tag lese ich, dass ein AfD-Politiker ein "Strategiepapier" herausgegeben hat, in dem er seinen Parteifreunden erklärt, sie sollten in Zukunft nicht mehr "Farbige sind Tiere" sagen, damit sie nicht vom Verfassungsschutz beobachtet werden. Laut dem Geheimdienstexperten Florian Flade war es bisher vor allem Maaßen, der sich dagegen ausgesprochen hat, die AfD zu beobachten – auch wenn manche seiner Kollegen und Kolleginnen von den Landesämtern das anders gesehen haben.

Ich bin bereits wieder in Berlin, weil der Verfassungsschutz hier einen Stand auf einer Jobmesse der Technischen Universität aufgestellt hat. Die perfekte Gelegenheit, um die Verfassungsschützenden in freier Wildbahn zu beobachten und auszufragen. Auch für diese Umgebung musste natürlich die richtige Tarnung her – also verkleide ich mich als Studierender.

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Der Autor in einem schnittigen Twee-Jackett auf der Straße

Wieder einmal perfekt mit der Umgebung verschmolzen

Na gut, ich gebe zu: nicht als ganz typischer Studierender. Ziel dieser Tarnung war es, so auszusehen wie der Typ aus dem PoWi-Seminar mit dem Stauffenberg-Profilbild. Der, der nicht in die Burschenschaft aufgenommen wurde, weil er kein Bier verträgt.

So ausgerüstet betrete ich den Lichthof der TU. Ich hatte halb damit gerechnet, dass die Studierenden angesichts der neuesten Nachrichten den Stand des Verfassungsschutzes ignorieren oder vielleicht sogar dagegen protestieren würden. Stattdessen finde ich reges Interesse vor: Als ich ankomme, spricht eine Frau am Stand gerade mit einer jungen Frau mit Kopftuch und ihrem Begleiter. Nach ein paar Minuten sind sie fertig, und ich beschließe, erstmal ein bisschen "human intelligence" von den beiden zu sammeln.

Ich folge ihnen unauffällig, bis wir außer Sicht der Verfassungsschützerinnen im Treppenhaus sind, und spreche sie an. Worüber sie eben geredet haben? "Ich habe gefragt, ob ich mit dem Kopftuch da arbeiten kann", erklärt mir die 18-jährige Hatice, angehende Wirtschaftsingenieurin. "Aber die meinten, das wäre nicht ideal, weil man frei und unbeeinflusst sein soll." Besonders schlimm schien sie das nicht zu finden, obwohl sie eigentlich gerne beim VS arbeiten würde. "Ich würde gerne etwas für mein Land tun", sagt sie. "Egal ob Rechtsextreme oder Salafisten, man muss die beobachten, die gegen das Land arbeiten", erklärt sie mir, während ihr 19-jähriger Verlobter neben ihr eifrig nickt. Ich hege langsam den Verdacht, dass ich gerade auf zwei Lockvögel der PR-Abteilung des Verfassungsschutzes hereingefallen bin. Welche 18-Jährige spricht denn so? Misstrauisch blicke in den beiden hinterher, aber ich habe keine Zeit, sie zu verfolgen – ich muss jetzt selbst in Aktion treten.

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Der Autor unterhält sich mit einem der Verfassungsschützer am Stand

Am Stand ist schon wieder reger Betrieb. Während ich warte, dass ich drankomme, blättere ich ein bisschen im Info-Material. Eine Broschüre zitiert einen Verfassungsschützer namens Mirko S., der zugibt, "immer noch betroffen" vom Versagen des Dienstes im Fall NSU zu sein. "Dass ich mich jetzt aber voll und ganz dafür einsetzen kann, dass derartige Fehleinschätzungen sich nicht wiederholen, ist für mich der beste Beweis, dass ich in einer lernfähigen Behörde arbeite."

Und dann bin ich dran. Der junge Mann an dem Stand lächelt mich an, er trägt ein Sakko, aber keine Krawatte. Meine Legende heute: Ich bin 26 und Politikstudent, und ich interessiere mich für eine Karriere beim VS. "SechsundZWANZIG?", sagt der Mann und schaut mich kurz zweifelnd an. Gott sei Dank bin ich Profi: Ich lasse mir nicht anmerken, wie tief er mich gekränkt hat, dieser Lackaffe mit seiner glatten Haut. Er erzählt mir mittlerweile ein bisschen davon, was die Cyber-Abwehr des VS macht: chinesische Hacker jagen, deutsche Firmen vor chinesischen Hackern warnen, zu Parteien fahren und den Abgeordneten erklären, dass sie nicht auf komische Links in E-Mails klicken sollen.

Aber ich habe auch noch eine Frage: Ist das ein Problem, eine "national-konservative Einstellung" beim Amt? Nicht dass ich bei der AfD sei, aber ich fände einiges, was die machten, ganz gut. Ist das schlimm? Der Mann zögert kurz. "Also, eine Gesinnungsprüfung gibt es bei uns nicht", sagt er. "Aber bei der Sicherheitsüberprüfung wird natürlich geschaut, dass man kein Extremist ist." Natürlich, natürlich, sage ich, Extremismus sei mir auch zuwider – "jeglicher Couleur!", das betone ich besonders.

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Die Krawatte im Gauland-Stil, darüber das Schlüsselband des BfV.

Hat meine Krawatte ihn nervös gemacht?

Aber er kann mich beruhigen: "Da ist ja Staatsdienst, da haben sie viele Leute, die eher konservativ sind." Er selbst sieht allerdings so aus, als würde er sich eher für Hack-Angriffe als für Nationalkonservatismus interessieren. In der Cyber-Abwehr, wo er arbeite, gäbe es sowieso eher junge Leute, erklärt er mir.

Auch über Maaßen will er nicht wirklich reden, obwohl er ihn schon einige Male getroffen hat. Und wie der so sei? "Ein Spitzenbeamter halt – ehrgeizig, zielstrebig. Der wusste immer genau, was er wollte", sagt er. Und sympathisch? "Also, so oft habe ich ihn dann auch nicht gesehen", weicht er aus. Maaßens Abgang sei zwar "politisch" und "komisch gelaufen", aber auch keine existenzielle Katastrophe für das Amt. "Da arbeiten ja 3.000 Menschen, die Arbeit geht jetzt einfach weiter", sagt er mir.

Nach knapp 10 Minuten sind wir fertig, er schenkt mir noch ein Schlüsselband, empfiehlt mir, regelmäßig die Webseite für Jobs zu checken – und wendet sich dem nächsten Interessenten zu. Erfolg: Aufgeflogen bin ich nicht. Er aber auch nicht.

Danach beobachte ich den Stand noch eine Weile, an dem immer noch reger Betrieb herrscht. Diese TU-Studierenden sind mir ein bisschen unheimlich: Motiviert und mit wachem Blick tingeln sie zwischen den Ständen von der BVG, von Axel Springer und eben vom Verfassungsschutz hin und her, informieren sich gründlich und planen zuversichtlich ihre Zukunft. Was läuft mit dieser Jugend schief?

Ich will noch einmal herausfinden, ob die Kids das Ganze nicht auch irgendwie kritisch sehen. Wieder verfolge ich unauffällig zwei junge Frauen, bis wir weit genug weg vom Trubel sind, sodass ich sie in einen Gang ziehen und ausquetschen kann. Auch diese beiden haben einen türkischen Migrationshintergrund und finden die Arbeit beim Verfassungsschutz super spannend – "auch weil das so ein sicherer Job ist", erzählt mir die eine strahlend.

Dass dieser Dienst es 13 Jahre lang nicht mal bemerkt haben will, dass eine Neonazi-Zelle systematisch auch türkischstämmige Menschen ermordet, macht ihnen keine allzu großen Sorgen mehr. "Ich finde es schon schwierig, dass da Leute waren, die das vielleicht verschleiert haben", sagt Pinar. "Aber der Mann am Stand hat uns jetzt erzählt, dass da sehr viele junge Leute reinkommen und das Klima sich ändert. Ich glaube, die NSU-Problematik hängt auch damit zusammen, dass die Leute beim Verfassungsschutz so alt sind", sagt sie.

Und dann muss sie plötzlich kichern. "Die gehen jetzt aber Gott sei Dank bald in Rente, und dann regelt sich das von alleine!"

Während Pinar und ihre Freundin weiterziehen, um sich den Stand der Dürr AG (Maschinen- und Anlagenbau) oder vielleicht den von Vodafone anzuschauen, bleibe ich nachdenklich zurück. Vielleicht haben sie ja Recht: Maaßen ist seit Montag in Rente. Vielleicht zieht dann wirklich eine neue Kultur ein.

Nur: Der Neue, sein Stellvertreter Thomas Haldenwang, gilt als Vertrauter von Maaßen. Andererseits hat er bereits signalisiert, dass er Rechtsextremismus sehr ernst nehmen will. Ich werde ihn im Auge behalten. Unentdeckt, aber wachsam.

Im Tarnanzug an der Bushaltestelle

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