Fußballweltmeisterschaft

Der DFB soll WM-Fußballerinnen Interviews glattgebügelt haben

Was Kapitänin Alexandra Popp und Torhüterin Almuth Schult wirklich sagen wollen, will ihr Verband anscheinend weder hören noch lesen.
Fußball-Nationalspielerinnen Almuth Schult und Alexandra Popp beim DFB
Fotos: Schult: Jan Huebner | imago images || Popp: Norbert Schmidt | imago images

Die aktuell laufende Fußball-Weltmeisterschaft hat nicht nur schöne Tore hervorgebracht – sondern auch bemerkenswerte Worte. US-Kapitänin Megan Rapinoe wurde tausendfach mit ihrer Anti-Trump-Aussage zitiert: "Ich gehe nicht ins fucking Weiße Haus." Die Brasilianerin Marta, eine der besten Spielerinnen aller Zeiten, bekam für ihren Appell an den Nachwuchs großen Zuspruch: "Weint am Anfang, damit ihr am Ende lachen könnt." Der Deutsche Fußball-Bund (DFB) aber scheint kontroverse Töne lieber unterbinden zu wollen – das legt zumindest ein Bericht nahe.

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Die deutsche Kapitänin Alexandra Popp gab dem DFB-Sponsor Volkswagen vor der WM ein Interview. Der Verband soll dieses Interview anschließend bei der Autorisierung "entkernt" haben. Das berichtet zumindest das Medienmagazin Journalist.

"Popp sprach davon, dass die gesellschaftliche Entwicklung im Fußball, #metoo zum Trotz, stagniere und man sich zuletzt ein bisschen vergessen fühlte", heißt es in dem Text. Das wäre harte Kritik am DFB. In der freigegebenen Fassung lesen sich die Worte der Kapitänin dagegen wie aus einem PR-Ratgeber. Dort erklärt Popp beispielsweise: "Wir sind in der Pflicht, den Frauenfußball nicht nur zur WM ins Gespräch zu bringen, sondern das auch nachhaltig zu schaffen."


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Geschrieben wurde dieser Text von Thilo Komma-Pöllath. Der Autor war Volkswagen über eine Corporate Publishing Agentur vermittelt worden. Er ist derselbe Komma-Pöllath, der nun auch den Journalist-Artikel verfasst hat. Auf telefonische Nachfrage hin bekräftigt er seine Darstellung: "Es geht nicht, dass ich mit Popp eine halbe Stunde darüber rede, wie der Frauenfußball heute wahrgenommen wird, und dann alle wichtigen Aussagen nicht freigegeben werden." Auch bei einem PR-Text gebe es schließlich einen journalistische Kodex, an den er sich halten würde.

Der DFB dagegen antwortet per Mail: "Das besagte Interview wurde gemeinsam mit der Spielerin autorisiert. Angefragt wurde es über unseren Partner Volkswagen, zu dessen redaktioneller Verwendung. [Volkswagen] war sowohl mit der Abwicklung als auch dem Ergebnis absolut zufrieden." VW bestätigt diese Darstellung.

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In Deutschland ist es oftmals üblich, Zitate vor Veröffentlichung freigeben zu lassen, um Fehler zu vermeiden. Manchmal wird dies aber dazu genutzt, alle kontroversen Dinge wieder zu streichen. In den USA und in England etwa sind Autorisierungen nicht so weit verbreitet. Und generell wäre es seltsam, wenn ein Verband seinen Spielerinnen oder Spielern wohlfeile Sätze in den Mund legen würde, statt sie sagen zu lassen, was sie denken. Das würde auch im Gegensatz zu dem Image stehen, das ein anderer DFB-Sponsor, die Commerzbank, den Spielerinnen vor dem Turnier mit einem viel beachteten Werbespot zu verpassen versucht hat. Dort karikieren Alexandra Popp und Kolleginnen selbstbewusst Klischees und verkünden: "Wir brauchen keine Eier. Wir haben Pferdeschwänze." Ein Clip wie ein lässiger Donnerschlag.

"Eier, wir brauchen Eier", ist ein legendärer Spruch der Torwart-Ikone Oliver Kahn. Der frühere Nationalkeeper hat auch schon mal erklärt: "Die Holländer sind vorne vom Feinsten bestückt."

Sowieso sind Aussagen von Menschen, die ihr Geld mit Ball und in kurzen Hosen verdienen, ob Frauen oder Männer, oft vor allem aus humoristischer Perspektive interessant. Umso wichtiger sind Sportler und Sportlerinnen, die sich zu politischen oder gesellschaftlichen Fragen äußern. Die bereits erwähnte US-Spielerin Rapinoe ist während des Turniers in den USA zu einer wichtigen Stimme gegen autoritäre und chauvinistische Tendenzen aufgestiegen. Damit so etwas passieren kann, muss man(n) die Frauen aber auch reden lassen. Im DFB-Präsidium sitzen übrigens 16 Männer und eine Frau.

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In dem auf Journalist erschienenen Text wird noch ein zweiter Fall erwähnt, in dem der DFB mutmaßlich versucht haben soll, genehme Interview-Aussagen von einer seiner Spielerinnen zu bekommen. Torhüterin Almuth Schult kritisierte vor der WM in der FAZ eine geringe Wertschätzung – ein klarer Hieb gegen den Verband. Zunächst sollte das Interview in einer stark abgeschwächten Form erscheinen, was der zuständige Sportredakteur Daniel Meuren aber ablehnte. Schließlich stand Schult dann zu all ihren Aussagen und das kontroverse Interview erschien. Meuren selbst sagt aber, dass er nicht weiß, wer der Spielerin zunächst geraten haben könnte, ihre Aussagen zu entschärfen. Seine Zusammenarbeit mit dem DFB während der WM bezeichnet er als "unproblematisch".

Der Fall des eventuell übergriffigen DFB weist auf ein generelles Problem im Profifußball hin. Viele Spielerinnen und Spieler werden von PR-Beratern für Interviews geschult. Das führt dazu, dass sie weniger missverständliche Aussagen darüber tätigen, wie die Holländer vorne bestückt sind, aber eben auch dazu, dass sie überhaupt nichts mehr sagen, was an Menschen mit echten Gefühlen erinnert. Mario Götze gab kurz nach seinem Siegtor im WM-Finale 2014 in Brasilien der ARD ein Interview, in dem er sich so oft bei der Mannschaft bedankte, dass der Reporter schier verzweifelte. Mann, Junge, du hast gerade ein WM-Finale entschieden, jetzt freu dich doch mal, schien der Journalist da brüllen zu wollen. Götze antwortete mit einem erneuten Dank an die Mannschaft. PR vs. Realität: 1:0.

Das sportlich schwache Abschneiden der deutschen Nationalmannschaft könnte aber auch in Sachen kritische Meinungen eine Wende zum Positiven einleiten. Früher gehörte Deutschland zur Weltspitze, bei der WM aber war schon im Viertelfinale Endstation, auch die Olympischen Spiele 2020 haben die Spielerinnen so verpasst. Die USA dagegen spielen wie in einer eigenen Liga – mit der unbequemsten Spielerin der Meisterschaft, Co-Kapitänin Rapinoe. Vielleicht reift da auch in Deutschland die Erkenntnis, dass die meisten Menschen mehr aus sich herausholen, wenn sie frei sind zu sagen, was sie denken.

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