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Drogen

Die Messenger-App, die Politiker, Manager und Drogendealer lieben

Die Liste der Wickr-Investoren liest sich wie das Who is Who der Technik- und Sicherheitsbranche.
Screenshots von Auto-Reply-Nachrichten zu Drogen bei Wickr
Foto: Jan Halaska | Alarmy Stock Photo

Um Drogen zu kaufen, sei Wickr praktisch, sagt Nathan*. "Darknet-Märkte sind manchmal schwierig zu navigieren, langsam und voller Phishing-Links. Hier bekommst du einfach einen Benutzernamen, schickst ein paar Nachrichten raus und das war's."

Rund ein Dutzend Mal hat Nathan über die Messenger-App Wickr schon online Drogen gekauft. Er sagt, er halte den Sofortnachrichtendienst für "ziemlich sicher".

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Wickr ist im Grunde eine Art sehr sicheres WhatsApp. Die Messenger-App des gleichnamigen Software-Unternehmens aus San Francisco lässt sich kostenlos für Apple- und Android-Geräte runterladen, eine Desktop-Version gibt es auch. Allerdings können Nutzer bei Wickr selbst entscheiden, wie lange Nachrichten lesbar bleiben, bevor sie gelöscht werden. Die übertragenen Daten werden Ende zu Ende verschlüsselt, Metadaten werden kaschiert.


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Wickr Inc. gibt es seit 2012, das Unternehmen will hochsichere Kommunikation zwischen "Teams und Unternehmen" ermöglichen. In Zeiten von Hackerangriffen und dem freizügigen Umgang vieler Websites und Apps mit persönlichen Daten ist die Nachfrage groß. Entsprechend wenig Probleme hatte Wickr, Investoren zu finden. Bis September 2017 pumpten Geldgeber umgerechnet knapp 59 Millionen Euro in die Firma – und die Liste der Investoren ist nicht ganz unspannend:

Jim Breyer, der erste Facebook-Investor überhaupt, führte 2014 mit umgerechnet 24 Millionen Euro das Feld an. Andere Financiers sind Gilman Louie, Gründer von In-Q-Tel, einem Risikokapital-Geber, den die CIA finanziert; Thor Halvorssen, Gründer und Vorsitzender der Human Rights Foundation; Richard Clarke, ein früherer amerikanischer Antiterrorismus-Experte, und Erik Prince, Gründer des umstrittenen privaten Sicherheitsunternehmens Blackwater USA, heute Academi.

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Neben Konzernen wie Uber greifen auch immer mehr Politiker auf den Kryptomessenger zurück. Nach dem Hacking-Skandal, der die vergangene US-Präsidentschaftswahl überschattet hatte – WikiLeaks veröffentlichte Tausende E-Mails und Dokumente der Demokraten –, wechselten Politiker 2017 in Scharen zu dem Messaging-Dienst. Australiens Premierminister Malcolm Turnbull verwendet die App schon mindestens seit 2015.

Ein Viertel aller britischen Drogenkonsumenten bestellt seinen Stoff im Darknet

Neben Politikern und den Größen aus der Tech- und Sicherheitsbranche begeistern sich jetzt auch zunehmend Drogendealer und deren Kunden für den Krypto-Messenger.

"Es ist eine Chat-App, die nicht extra für illegale Aktivitäten entworfen wurde", sagt der Drogen-Käufer Nathan. “Ich habe das Gefühl, dass sie weniger überwacht wird. Falls doch: Ich kaufe eh nur Mengen, die für Ermittler nicht besonders spannend sein dürften."

Wenn man an illegale Drogen kommen wollte, galten Marktplätze im Darknet bis vor einigen Monaten noch als die einzige Alternative zum tatsächlichen Gang zum Dealer. Nachdem aber immer mehr dieser Seiten – Silk Road, AlphaBay, Hansa, Shiney Flakes – geschlossen und ihre Betreiber verhaftet wurden, bestehende Marktplätze wie Dream als unsicher und unzuverlässig gelten, sind viele User auf den Kryptomessenger ausgewichen.

Vor allem in Großbritannien ist Wickr besonders beliebt, dort bestellen laut Global Drug Survey 2017 bereits ein Viertel aller Konsumenten ihre Drogen im Darknet. In Darknet-Subreddits wie dem mittlerweile geschlossenen DNMUK, in dem sich britische User und Dealer ausgetauscht haben, bezog sich ein Großteil der "Verkäufer-Reviews" der letzten Monate auf Geschäfte, die über den Messenger abgewickelt wurden.

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Ein Ziegel Kokain mit der Prägung "TOP PRODUCTO COLOMBIANO"

Ein Ziegel Kokain mit der Prägung "TOP PRODUCTO COLOMBIANO" | Das Foto befand sich in einem Imgur-Ordner, den ein Dealer in seiner Auto-Reply verlinkt hatte

Auch wenn das Programm bereits 2015 in einschlägigen Foren auftaucht, ist die großflächige Verwendung von Wickr durch Darknet-Dealer und -Käufer neu. In Großbritannien scheint vor allem eine Darknet-Größe maßgeblich an der Verbreitung des Programms beteiligt gewesen zu sein.

Im Frühling 2017 begann Xanax-Händler HulkedBenzoBoss (HBB), über die App sogenannte "Direct Deals" und Kundenbetreuung anzubieten. Bis zu seinem Verschwinden wenige Monate später – seiner Verhaftung, wie sich herausstellen sollte – galt HBB als so etwas wie der Goldstandard britischer Darknet-Dealer. Mit erschwinglichen Preisen, erstklassigen Produkten und pünktlichen Lieferungen bauten er und seine Partner ein mehrere Millionen Euro schweres Drogenimperium auf und versorgten das Land mit extrem süchtig machendem Xanax. Viele seiner Konkurrenten zogen schließlich nach.

"Es spart Zeit", sagt Johnnie*, der Wickr schon ein paar Mal für den Drogenkauf benutzt hat. "Wenn du Bitcoins zu deinem Wallet bei Dream schickst, dauert es immer eine Weile, bis sie dort ankommen – manchmal Tage. Und das ist frustrierend. Mit der App kannst du direkt zum Verkäufer und musst nicht warten."

Auch Menschen, die der technische Jargon der Tor-Märkte abgeschreckt hatte, interessierten sich plötzlich für die userfreundliche Variante des Online-Drogenhandels. Nichtsdestotrotz waren die meisten Nutzer erfahrene Darknet-Veteranen, die zunehmend genervt von dessen Unvorhersehbarkeit waren.

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Subreddits wie DNMUK taten ihr Übriges. Immer mehr User wollten die Wickr-Kontakte der Dealer wissen – und überhaupt: wie alles funktioniert.

"Das wird die Zukunft des Online-Dealens", sagt Nathan.

Dealer Bob* sagt, dass das Geschäft auf Wickr "viel mehr Arbeit ist. Leute wollen ständig über irgendwelchen Scheiß chatten, der nichts mit Drogen zu tun hat. Bestellungen stapeln sich. Manche Verkäufer haben deswegen angefangen, einen Mindestbestellwert festzulegen."

Natürlich haben Geschäfte über Wickr noch andere Schattenseiten – vor allem für Käufer. Zwar können sich User in entsprechenden Subreddits über mögliche Substanzwarnungen informieren oder über ihre Erfahrungen mit Dealern austauschen, einen wirklichen Ersatz für das zentralisierte Rating-System der Darknet-Märkte bietet Reddit aber nicht. Exit-Scams, bei denen die Dealer mit dem Geld ihrer Kunden verschwinden, gibt es zwar hin und wieder auch bei herkömmlichen Darknet-Märkten, auf Wickr sind sie aber Alltag. Immer wieder geben sich User als bekannte Dealer aus und verschwinden dann mit den gezahlten Bitcoins.

Bislang sind es noch größtenteils Darknet-User, die zu Wickr wechseln, aber es ist nur eine Frage der Zeit, bis Dealer auch vollends das reguläre Internet infiltrieren. Schon jetzt liefert der richtige Suchbegriff in bestimmten sozialen Netzwerken Tausende einschlägige Angebote.

"Das wird die Zukunft des Online-Dealens", sagt Nathan. In Kombination mit Reddit könnte man davon ausgehen, dass die Verkäufer- und Produktbewertungen korrekt seien." Es ist, als würdest du einen Kumpel fragen, ob er dir fürs Wochenende aushelfen kann. Nicht, als würdest du etwas höchst Illegales im Internet treiben."

Und was kann Wickr dagegen tun? Wenn es einen Plan gibt, dann scheinen die Software-Entwickler ihn nicht teilen zu wollen. Bislang hat das Unternehmen Anfragen von VICE nicht geantwortet. Da das komplette Geschäftsmodell auf der Privatsphäre der User basiert, ist es eben für alle sicher – völlig egal ob Premierminister oder Kleinstadtdealer.

*Name geändert.

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