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Schöne neue Welt

Dieser Arzt hat eine Selbstmordmaschine entwickelt

Wir haben mit dem Sterbehilfe-Aktivisten Dr. Philip Nitschke über seine umstrittene Erfindung und das Recht auf den Tod gesprochen.
Der Sarco | Bild mit freundlicher Genehmigung von Philip Nitschke

Dieser Artikel ist zuerst bei Tonic Niederlande erschienen. Folge Tonic bei Facebook.

"Dr. Tod" hat ein Faible für bunte Hemden. Überhaupt hat der ehemalige praktizierende Arzt – 2015 verbrannte er aus Protest seine Zulassung – und politische Aktivist ein freundliches Auftreten. Er heißt eigentlich Philip Nitschke und kämpft seit über 20 Jahren dafür, dass aktive Sterbehilfe weltweit legalisiert wird.

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1996 war Nitschke der erste Arzt, der einem schwerkranken Patienten legal und auf dessen Wunsch eine tödliche Injektion verabreichte. Damals hatte der australische Bundesstaat Northern Territory die aktive Sterbehilfe legalisiert, bevor das Gesetz wenig später von der Zentralregierung des Landes wieder unwirksam gemacht wurde. 2001 waren die Niederlande das erste Land der Welt, das aktive Sterbehilfe dauerhaft legalisierte, wenig später folgte Belgien und 2009 mit Luxemburg auch der letzte Beneluxstaat. Einen Großteil seiner Zeit verbringt Nitschke heute in den Niederlanden.

Nachdem das Gesetz in Australien wieder unwirksam gemacht worden war, gründete Nitschke 1997 die Nonprofit-Organisation Exit International, die sich seither weltweit für das Recht auf einen selbstbestimmten Tod einsetzt. Außerdem ist er Autor des Suizid-Handbuchs Die Friedliche Pille. Aber Nitschke ist nicht nur einer der bekanntesten, sondern auch einer der umstrittensten Befürworter der aktiven Sterbehilfe. 2014 warf ihm die australische Ärztekammer vor, einen depressiven 45-Jährigen und mutmaßlichen Mörder nicht zu einem Psychiater überwiesen zu haben – damit habe Nitschke den Suizid des Mannes in Kauf genommen. Inzwischen hat Nitschkes Aktivismus noch kontroversere Formen angenommen.


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In der Vergangenheit setzte er sich vor allem für die aktive Sterbehilfe bei Schwerst- oder Todkranken ein, doch heute vertritt er die Meinung, das Recht auf einen vorzeitigen Tod sollte nicht von gesundheitlichen Kriterien abhängen. Jeder zurechnungsfähige Mensch habe jederzeit das Recht, diese Entscheidung selbst zu treffen, meint Nitschke. Und als wolle er dies vehement unterstreichen, hat Nitschke über mehrere Jahre hinweg den Sarco entwickelt – eine 3D-druckbare Selbstmordmaschine. Seine Erfindung ermögliche Menschen einen "friedlichen" Tod, sagt der Aktivist.

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Dank seiner neuen Erfindung hat der "Sterbehilfe-Guru" in den vergangenen Wochen wieder eine Menge Aufmerksamkeit erfahren. Wir haben mit ihm über Sterbehilfe als Menschenrecht, seinen eigenen Tod und seine Erfindung gesprochen.

VICE: Wie finden Sie Ihren Spitznamen "Dr. Tod"?
Philip Nitschke: Man gewöhnt sich daran. Natürlich hätte ich lieber einen netteren Spitznamen, aber dafür müsste ich mich wahrscheinlich auch mit fröhlicheren Themen beschäftigen.

Ja, Sie sind ziemlich umstritten. Woher stammt Ihr Interesse an diesem sehr speziellen Thema?
Es ist im Grunde ein politisches Anliegen. Als ich an der Legalisierung der Sterbehilfe in Australien arbeitete, lernte ich immer mehr Menschen kennen, die sterben wollten, aber keinen medizinischen Grund dazu hatten. Zum Beispiel eine französische Wissenschaftlerin, die vorhatte, mit 80 zu sterben. Nicht etwa, weil sie krank war, sondern weil sie 80 ein schönes Alter zum Sterben fand. Ich war anfangs skeptisch, doch sie sagte mir, es sei nicht mein Recht, über sie zu urteilen. Und damit hatte sie Recht. Sie erklärte mir, dass sich ihre persönliche Entscheidung ja außerdem gar nicht an den Regeln orientiere, denen ich als Arzt folge. Mein Umdenken kam unter anderem ihretwegen. Die Erfahrung hat mir gezeigt, dass der Tod das Recht jedes zurechnungsfähigen Menschen sein sollte.

Diese Einstellung ist sehr umstritten. Was ist das stärkste Gegenargument, mit dem Sie sich auseinandersetzen müssen?
Das gängigste Gegenargument lautet, dass es so etwas wie einen rationalen Suizid nicht gebe. Der Todeswunsch an sich sei schon per Definition das Resultat einer psychischen Krankheit. Ich lehne diese Vorstellung ab. Der Todeswunsch eines Menschen ist nicht per se etwas, das behandelt werden muss.

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Andere entgegnen, dass das Leben ein Geschenk sei, für das man dankbar sein sollte. Ich halte dagegen: Wenn das Leben wirklich ein Geschenk ist, sollte es auch erlaubt sein, es wegzugeben. Ist es ansonsten nicht vielmehr eine Last als ein Geschenk?

Stehen Sie nicht selbst in einer gewissen Verantwortung? Immerhin erleichtern Sie es Menschen, Selbstmord zu begehen.
Das finde ich nicht fair. Ich bin überzeugt davon, dass die Entscheidung für den Tod ein Recht ist. Wenn Sie mir jetzt sagen würden, dass Sie rausgehen, um sich umzubringen, sollte ich Sie dann aufhalten? Ich denke nicht. Ich glaube daran, dass Sie als selbstbestimmtes Wesen diese Entscheidung für sich selbst treffen dürfen. Das macht mich zwar ganz sicher nicht glücklich, aber es ist Ihre Entscheidung. In solchen Fällen biete ich lediglich die Option auf einen friedlichen Tod.

Aber denken Sie nicht, dass Sie damit die Schwelle für Menschen senken, die ansonsten einen alternativen Weg eingeschlagen hätten, zum Beispiel Psychotherapie?
Das können Sie nicht wissen. Würden dann nicht Menschen mit einem Todeswunsch auch häufiger vor Züge springen oder sich erhängen? Menschen, die wirklich sterben wollen, wählen sonst vielleicht einen gewaltsameren Tod. In Großbritannien [oder Deutschland] ist Erhängen mit Abstand die häufigste Suizidmethode. Dabei ist das eine furchtbare Art zu sterben. Ich sage nur, dass man die Möglichkeit haben sollte, friedlich zu sterben – entweder unterstützt durch Medikamente oder den Sarco.

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Vielleicht gibt es Menschen, die den Sarco oder bestimmte Medikamente missbrauchen, aber gleichzeitig werden auch sehr viele Menschen davon profitieren. Es ist zum Beispiel eine Art Sicherheitsnetz für ältere Menschen, wenn sie sehr krank werden. Die Gewissheit, dass sie im Fall der Fälle friedlich sterben können, steigert letztendlich ihre Lebensqualität. Sie wissen, dass sie keine Verzweiflungstaten begehen müssen.

Sie glauben, dass der Tod ein Menschenrecht ist. Warum gibt es dann die Altersgrenze von 50 Jahren, um ihr Buch Die Friedliche Pille zu erwerben?
Über die Altersgrenze ist schon viel gesprochen worden. Ich persönlich bin der Meinung, dass jemand erwachsen und zurechnungsfähig sein muss, um diese Entscheidung zu treffen. In den USA wurde 2011 viel Kritik laut: Man warf mir vor, ich würde mich freuen, wenn junge Menschen Suizid begehen. Deswegen haben wir eine gewisse Lebenserfahrung und die recht beliebige Altersgrenze von 50 Jahren zur Voraussetzung gemacht. Das war die einzige Art, auf die wir beweisen konnten, dass wir nicht zum Selbstmord junger Menschen beitragen wollen. Meine philosophischen Ansichten ändert das allerdings nicht.

Der Sarco umgeht die Vorstufen der Sterbehilfe mit einem Arzt als Weichensteller. Ist das nicht nötig, um eine gewisse Sorgfalt zu gewährleisten? Das ist fast so, als ob ich in eine Apotheke laufen und dort einfach ohne Rezept jedes Medikament kaufen könnte.
Sie hängen immer noch im medizinischen Bereich fest. Meiner Meinung nach ist beim Sarco kein Arzt nötig. Es gibt allerdings immer noch Bedingungen, die Menschen dafür erfüllen müssen. Sie müssen zum Beispiel zurechnungsfähig sein, das wird durch einen Online-Fragebogen ermittelt. In der Zukunft wird künstliche Intelligenz das schneller und akkurater bestimmen können als jeder Arzt.

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Sie befürworten ein Szenario, in dem auch depressive Menschen den Sarco benutzen können. Ist es Depressiven überhaupt möglich, eine derartige Entscheidung zu treffen?
Auch Depressive werden sich auf ihre geistige Zurechnungsfähigkeit testen lassen müssen. Viele Depressive verfügen immer noch über die entsprechende geistige Kapazität, um sich darüber bewusst zu sein, dass der Tod für immer ist. Depressionen sind kein Ausschlusskriterium, was den Sarco angeht. Wenn jemand aber dermaßen depressiv oder körperlich krank ist, dass er nicht mehr weiß, was er tut, besteht er den Test auch nicht und der Sarco kommt für ihn nicht infrage. Da gibt es vielleicht eine Grauzone, aber die ist auch nicht größer als bei den aktuellen Methoden der Psychiater.

Können Sie erklären, wie der Sarco funktioniert?
Der Sarg kann mit einem 3D-Drucker gedruckt werden und verwendet Flüssigstickstoff. Der ist legal erhältlich. Nachdem Sie in der Maschine platzgenommen haben, wird der Stickstoff eingeleitet. Nach etwa eineinhalb Minuten fühlen Sie sich desorientiert – etwa vergleichbar mit ein paar Drinks zu viel – und ein paar Minuten später verlieren Sie das Bewusstsein. Nach etwa fünf Minuten sind Sie tot. Der Sarg lässt sich ausschließlich von innen kontrollieren. Es ist also unmöglich, jemanden damit umzubringen. Außerdem kann man entweder eine abgedunkelte oder eine transparente Scheibe wählen. Das Gerät lässt sich also irgendwohin mitnehmen, wenn man eine bestimmte Aussicht bevorzugt.

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Ich hoffe, dass die Baupläne Anfang 2018 erhältlich sein werden. Der erste Sarco wird sehr wahrscheinlich in der Schweiz gebaut. Jemand dort hat bereits Interesse an der Maschine bekundet. Niederländische Anwälte haben uns gesagt, dass die Verwendung des Sarco nicht illegal ist. In den Niederlanden ist es nämlich nicht illegal, sich selbst das Leben zu nehmen. Ich stelle die Baupläne und Anleitungen lediglich im Internet bereit, aber gebe keine persönlichen Anweisungen. Die Maschine lässt sich ohne Hilfe betreiben, der Nutzer hat die volle Kontrolle.

Wenn der Sarco portabel ist: Welche Aussicht würden Sie für sich selbst wählen?
Ich würde zurück in den nördlichen Teil Australiens gehen und meinen Sarco in die Wüste stellen, bei Sonnenuntergang. Das klingt schön. Wenn ich allerdings darüber nachdenke, wird es wahrscheinlich schwierig – das wäre ein sehr weiter Transportweg für den Stickstoff. Stickstoff hält sich nicht besonders gut.

Gibt es einen Panikknopf, falls man bereits im Sarco liegt und dann doch seine Meinung ändert?
Ja, es gibt ein Notfenster, das sich sofort öffnet, wenn man dagegen tippt. Dadurch fließt sofort Sauerstoff in die Maschine. Zusätzlich kann man, bis man das Bewusstsein verliert, den Stoppknopf drücken.

Was denkt Ihre Familie über Ihre Ansichten?
Meine Mutter war eine große Unterstützerin meiner Ideen. Sie verbrachte die letzten Jahre ihres Lebens in einem Pflegeheim, weil sie nicht länger in ihrem eigenen Zuhause wohnen konnte. Sie hat es dort gehasst und wollte sterben. Aber sie war nicht krank und dementsprechend nicht für Sterbehilfe zugelassen. Ich konnte ihr auch nicht helfen, weil jeder sofort gewusst hätte, dass ich dahinterstecke. Selbst die Wahl zu haben, wäre ein unglaublicher Trost für sie gewesen.

Haben Sie schon Morddrohungen von Gegnern erhalten?
In den vergangenen zwanzig Jahren habe ich zum Glück nur ein paar erhalten. Vor Kurzem wurde ich zum ersten Mal richtig bedroht. Ich weiß nicht, ob es ein religiöser Fundamentalist war oder jemand, der illegale Selbsttötungsdrogen verkauft. In meinem Buch erwähne ich mehrere Betrugsseiten, die Pillen für 700 Euro das Stück verkaufen. Es könnte also auch einer von denen sein. Was öffentliche Veranstaltungen angeht, legen wir sehr viel Wert auf Sicherheitsvorkehrungen.

Notrufnummern für Suizidgefährdete bieten Hilfe für Personen, die an Selbstmord denken – oder sich Sorgen um einen nahestehenden Menschen machen. Die Nummer der Telefonseelsorge in Deutschland ist: 0800 111 0 111. Hier gibt es auch einen Chat.

Selbsthilfegruppen für Hinterbliebene, wie die AGUS-Gruppe bieten Angehörigen die Möglichkeit, sich auszutauschen. Sie zeigen den Trauernden, dass sie nicht alleine sind.

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