Diese Puppe ist eine Spionin

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Diese Puppe ist eine Spionin

Die Bundesnetzagentur stufte sie als Abhöranlage ein. Eltern müssen "Cayla" nun ihren Kindern wegnehmen und zerstören. Ein Interview mit dem Jura-Studenten, der das Verbot ins Rollen brachte.

Die Spionin hat blonde Haare, blaue Augen und die Lieblingsfarbe Pink. Ihre Enttarnung wird literweise Mädchentränen fließen lassen. In der vergangenen Woche kam raus, dass die Puppe, der Mädchen in ganz Deutschland Geheimnisse über ihr Lieblingspferd und Tim aus der 2b anvertraut haben, tatsächlich eine Abhöranlage ist. Die Bundesnetzagentur rief alle Eltern auf, die ihren Kindern die Puppe "My Friend Cayla" gekauft haben, diese zu zerstören oder zumindest auszuweiden und den "Vernichtungsnachweis" an die Agentur zu schicken. Denn Cayla – "die schlaue interaktive Fashion-Puppe" – wurde jetzt als eine "versteckte, sendefähige Anlage" eingestuft. Laut Paragraf 90 des Telekommunikationsgesetzes sind diese verboten. Und wenn ein kleines Mädchen versucht, ihre BBF zu verstecken, verstößt sie gegen das Gesetz.

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Cayla ist eine Puppe mit Lautsprecher und Mikrofon. Wenn ihre Kette leuchtet, bedeutet das, dass sie gerade die Stimmen und Geräusche aus dem Kinderzimmer per Bluetooth auf eine Smartphone-App überträgt. Die App leitet das Ganze wiederum an eine US-Firma namens Nuance Communications weiter, die das Gesagte verschriftlicht (und ihre Dienste übrigens auch dem Militär und Geheimdiensten anbietet). Mit dem fertigen Text sucht die App nach einer Antwort auf Kinderfragen.

"Cayla, was hast du heute getan?" - "Mein ultimatives Ziel ist es, Kinder glücklich zu machen."

"Was ist 11 plus 7?" - "18, hihi!"

Der 25-jährige Jurastudent Stefan Hessel von der Uni Saarland hat Cayla als Spionin überführt. Er schrieb das Gutachten, das zu ihrem Verbot führte.

VICE: Wie kamst du darauf, dass Cayla eine Abhöranlage ist?
Stefan Hessel: Ich wollte für einen Vortrag über Abhörung Spionagegeräte bestellen und habe recherchiert, was ich kaufen kann, ohne mich strafbar zu machen. Wanzen und Überwachungskameras sind zum Beispiel legal, weil jeder erkennen kann, dass es sich um eine Abhöranlage handelt. Bei getarnten Anlagen ist die Gesetzeslage komplizierter, zum Beispiel bei Aschenbechern und Vasen mit eingebauten Aufnahmegeräten. Ein Kugelschreiber, in dem eine Kamera eingebaut ist, wäre zum Beispiel OK – aber nur, solange er die Informationen auf einer Speicherkarte festhält. Würde der Kugelschreiber die Aufnahmen drahtlos direkt ins Netz senden, wäre er illegal. Und Cayla funktioniert nach einem ähnlichen Prinzip. Ihre Kette leuchtet zwar, wenn sie Daten überträgt – aber es wissen ja nur Eingeweihte, was das bedeutet.

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Aber wäre mein Smartphone damit nicht auch illegal? Ich könnte damit theoretisch auch heimlich aufzeichnen und das Gesagte direkt ins Netz stellen.
Heimliches Abhören ist immer strafbar. Aber du darfst das Smartphone besitzen. Er gilt nicht als getarnte Abhöranlage. Es ist ja bekannt, dass Smartphones aufzeichnen und filmen können. Bei einer Puppe ist das anders.

Cayla fällt in die Kategorie "Smart Toy". War sie tatsächlich so schlau?
Auf einer Skala von 1 bis 10 war sie vielleicht eine 3. Die Spracherkennung war relativ schlecht. Als ich Cayla fragte, wie viel Uhr es war, hat sie mir einen Artikel über die US-Automarke Dodge vorgelesen. Am meisten hörte ich von ihr: "Ich verstehe dich nicht." Und wenn mal eine Antwort kam, las sie häufig einfach Wikipedia-Artikel vor. Wenn man sie fragte, wer Joachim Gauck ist, erzählte sie von seiner Vergangenheit als Bundesbeauftragter für die Stasi-Unterlagen. Ich bin mir nicht sicher, ob Kinder das verstehen würden.

Cayla ist sozusagen eine dümmere Siri.
Genau. Aber man kann Tic Tac Toe mit ihr spielen.

Wer hat gewonnen?
Mal so, mal so. Sie war nicht schlecht. Aber jedes Spiel hat ewig gedauert. Sie hat alles kommentiert: "Das war ein toller Zug!" Oder: "Ich setzte meinen Stein jetzt dahin."

Wie viel Zeit hast du mit Cayla verbracht, bevor du sie überführt hast?
Ich habe mich vielleicht eine Woche lang intensiv mit ihr beschäftigt. Sie wohnte zu der Zeit in meinem Büro für studentische Mitarbeiter. Aber jetzt müssen wir Cayla den Kollegen in Österreich übergeben. Sie dürfen sie behalten, weil Österreich kein Gesetz hat, das solche Abhöranlagen wie sie verbietet.

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Hast du ein schlechtes Gewissen gegenüber all den kleinen Mädchen, die wegen dir ihre Puppe verlieren?
Das ist auf der einen Seite natürlich traurig. Andererseits weiß ich durch die viele Zeit, die ich mit Cayla verbracht habe, dass man Kindern durch die Puppe auch böse Streiche spielen kann. Wenn man durch Bluetooth auf sie zugreift und sie als Lautsprecher benutzt, kann man alle möglichen Sachen über die Puppe abspielen.

Also Fäkalwörter, Sexgeräusche und Horrorgeschichten?
Cayla kann eine ganz gewöhnliche Lautsprecheranlage sein. Für Musik und alles, was einem so einfällt.

Welche Strafe droht einem Mädchen, das versucht, ihre Puppe zu verstecken?
Laut Paragraph 148 des Telekommunikationsgesetzes gibt es für ein Verstoß bis zu zwei Jahre Freiheitsstrafe. Aber solange das Kind minderjährig ist, kann es sich ohnehin nicht strafbar machen. Es würde dann die Erziehungsberechtigten treffen. Allerdings hat die Bundesnetzagentur angekündigt, dass sie nicht gegen die Eltern vorgehen wird. Normalerweise müssen Käufer ihre verbotene Sendeanlage bei einer Abfallwirtschaftsstation abgeben. Dort wird bestätigt, dass sie das Gerät nicht mehr besitzen, durch ein sogenanntes Vernichtungsnachweisformular.

Von dem Medienecho, das dein Gutachten ausgelöst hat, können viele Juristen nur träumen. Dabei hast du nicht einmal das erste Staatsexamen.
Mich hat es auch gewundert, dass bisher weder Daten- noch Verbraucherschützer darauf aufmerksam geworden sind. Besonders in der Informatik und im IT-Recht hat man als junger Mensch oft einen Vorteil. Viele ältere Juristen haben ja nicht einmal ein Smartphone.

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