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Die Trennung deiner Eltern ist scheiße, egal wie alt du bist

Niemand sollte von seinem Kind erwarten, dass es sich in so einer Situation "erwachsen" verhält. Die Eltern tun es nämlich meistens auch nicht.
Un Bolshakov | Flickr | CC BY-2.0

Manchmal gibt es Momente, in denen wird einem schlagartig bewusst, dass man erwachsen ist. Manchmal wird einem diese Tatsache aber auch nur unterstellt. In meinem Fall war das, als ich von der endgültigen Trennung meiner Eltern erfahren habe. "Du schaffst das schon, du bist ja jetzt erwachsen." Das waren die tröstenden Worte meines Vaters damals, als er mir von seiner neuen Freundin erzählt hatte.

Deswegen betone ich hier auch, dass die Trennung endgültig war. Weil eine einfache Trennung, die gab es schon ungefähr zwölf Mal—das ist zumindest die Zahl, an die ich mich erinnern kann. Und da war auch keine andere Frau im Spiel. Neun Mal habe ich die lautstarken Streitereien durch die Zimmertür hören können, drei Mal wurde ich mit zu Wohnungsbesichtigungen genommen.

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Immer schien es endgültig, bis sie plötzlich wieder als glückliches Elternpaar auftraten. Ich wäre also zwölf Mal fast ein Trennungskind geworden, saß zwölf Mal für eine gewisse Zeit zwischen zwei Stühlen. Aber seitdem ich vor drei Jahren von Zuhause ausgezogen bin und mittlerweile auch ohne die Hilfe meiner Eltern einigermaßen mit meinem Leben zurechtkomme, habe ich von den ganzen Entwicklungen kaum etwas mitbekommen. Ich bin kein Trennungskind mehr, sondern eher ein Trennungserwachsener. Dummerweise ist das fast noch schlimmer zu ertragen.

Plötzlich wird nämlich von dir erwartet, dass du Verständnis zeigst. Materialistisch gesehen betrifft es dich ja auch nicht mehr. Du musst nicht mit ausziehen und irgendwo neu einziehen, denn du wohnst ja bereits nicht mehr dort. Deswegen bekommst du die Streitigkeiten nur noch über Umwege mit und erfährst auch herzlich wenig über die Gefühle deiner Eltern, wenn du sie nicht zu Gesicht bekommst.

Wie sich Kinder fühlen, wenn Eltern das Elternsein bereuen

Dazu kommt noch dieser innere Zwang, jetzt viel Verantwortung zu übernehmen, den Eltern etwas zurückzugeben. Schließlich läuft das eigene Leben einigermaßen gut, während die Eltern gerade Zuhause ihre gesamte Lebenswelt überdenken müssen.

Die Familientherapeutin Katharina Henz fasst das unter dem Begriff "Parentifizierung" zusammen: "Wenn ein Elternteil sehr schwach wirkt, dann fühlen sich die Kinder plötzlich sehr verantwortlich. Die Kinder übernehmen dann plötzlich die Elternfunktion." Im Gegensatz zu anderen Fällen, in denen das Kind dann als Mediator oder Therapeut der Eltern fungiert, bin ich aber in dieser Hinsicht immer noch ein Kind für meine Eltern. Mir wurde monatelang nichts erzählt, bis schließlich eine SMS meiner Mutter mich darüber aufklärte, dass es ein paar wichtige Sachen zu bereden gibt.

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Ich habe meine Mutter oft genug am Telefon aufgefordert, mir die Wahrheit zu sagen. Hat sie nicht.

Das war nachdem ich sie oft genug am Telefon aufgefordert hatte, mir jetzt bitte die Wahrheit zu sagen. Hat sie nicht. Für sie war das ein Mechanismus, um mich zu schützen. Für mich war das ein fataler Denkfehler, der die realen Gegebenheiten nur unnötig herausgezögert hat. Der Aufprall war deshalb nur umso härter. Jeder kann sich vorstellen, wie wütend und enttäuscht man ist, wenn jeder Bescheid weiß, außer man selbst. Katharina Henz formulierte das auch ganz treffend als "Sturz aus dem Paradies—egal in welchem Alter das Kind sich befindet".

Die Midlife-Crisis, die schöner umschrieben auch "Tal des Lebens" oder "zweite Pubertät" genannt wird, hat also nun auch meine Eltern erreicht. Wenn Paare in die Praxis der Familientherapeutin Katharina Henz kommen, wissen sie das meist noch nicht.

Foto: bp6316 | Flickr | CC BY-2.0

Die Lebenskrise des mittleren Alters wird meistens durch einschneidende Erlebnisse ausgelöst, erklärt Katharina Henz: "Beispielsweise wenn die Eltern sterben oder pflegebedürftig werden, dann schlittern erwachsene Menschen in so eine Art Midlife-Crisis mit der Idee, dass es so nicht weitergehen kann. Da fängt man nochmal an, das Leben zu hinterfragen." Es gibt natürlich auch andere Gründe für diese Art der Lebenskrisen, wie beispielsweise den Verlust des Arbeitsplatzes.

Bei meinen Eltern hat wahrscheinlich der Tod meines Großvaters mütterlicherseits die endgültige Endzeit eingeläutet. Während meine Mutter trauerte und immerzu meinte, dass sie jetzt auch mal keine Rücksicht nehmen möchte, blieb mein Vater verständnislos. Bis sich die Verständnislosigkeit in ein Schweigen verwandelte und das Schweigen schlussendlich bedeutete, dass man sich auseinandergelebt hatte. "Dein Vater will einfach nicht mehr", meinte meine Mutter bei einem Gespräch.

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Wenn eine Lebenskrise deine Eltern wieder zu Teenagern macht

Eine Scheidung im mittleren Alter wird immer geläufiger. Das mittlere Scheidungsalter betrug in Österreich im Jahr 2015 45,1 Jahre bei den Männern und 42,1 Jahre bei den Frauen. Wären meine Eltern in diesem Alter gewesen, hätte ich noch Zuhause gewohnt. Dann wäre auch ich ein Trennungskind gewesen, dem es erlaubt ist, sich unreif und emotional zu verhalten.

Aber das erste Weihnachten, das wir getrennt gefeiert haben, war erst im letzten Jahr. Das war vor der erneuten Versöhnung im darauffolgenden Jahr—vor dem Tod meines Opas und auch vor der endgültigen Trennung. Dabei war Weihnachten immer eine Institution für uns. Wenn wir sonst nicht zusammengekommen sind, dann an diesem Fest.

Man geht davon aus, dass die Kinder schon erwachsen sind und das irgendwie aushalten.

Es war mein bisher schlimmstes Weihnachten, und das obwohl ich sowieso nicht viel für Weihnachten übrig habe. Der Gedanke, dass das jetzt immer so sein könnte, kam mir bis dahin immer noch nicht (wir reden von Trennungsversuch Nummer 11). Aber für solche Gedanken blieb auch keine Zeit. Eher habe ich mich gefragt, was ich als Kind zu meiner Mutter sagen kann, wenn sie so bitterlich weint. Was meine Mama vielleicht an dieser Stelle gesagt hätte. Aber das war nicht meine Aufgabe.

In solchen Angelegenheiten ist man dann nämlich doch wieder das Kind. Allerdings ein erwachsenes Kind, das sich bitte aus den Angelegenheiten raushalten soll. Genau das unterschätzen viele Eltern, wie mir auch Katharina Henz erzählt: "Wenn ein Paar sich trennt, dass schon erwachsene Kinder hat, dann wird sich kaum auf die Kinder fokussiert. Man geht davon aus, dass die Kinder schon erwachsen sind und das irgendwie aushalten."

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"Irgendwie aushalten" bedeutet aber nicht, dass es leicht ist. Besonders in den kleinen Momenten wird diese neue Umstellung auf einmal zur großen Belastungsprobe. Beispielsweise beim letzten Anruf meiner Oma als sie mich fragt, wo ich denn Weihnachten feiern will. Ich habe geantwortet, dass ich es einfach nicht weiß. Genauso wie auf die Frage meines Vaters, ob ich denn nicht mal seine neue Freundin treffen möchte. Natürlich will ich das nicht. Und das, obwohl ich nie verstanden habe, warum sich erwachsene Töchter in Spielfilmen so derart zickig gegenüber der neuen Frau des Vaters benehmen. Aber es war ja auch nie mein Vater.

Plötzlich muss man so viele unliebsame Entscheidungen treffen und wählen. Wenn du das erwachsene Kind bist, hast du das Gefühl, dass du alle fair behandeln musst. Schließlich würde dir keiner so ein kindisches Verhalten verzeihen, indem du eine Seite wählst. Aber im gleichen Atemzug behandelt dich keiner fair. Meine Eltern haben sich nämlich—unwissend voneinander—dafür entschieden, mir ihren Trennungsprozess zu verschweigen. Um mich zu schützen, versteht sich.

Ehe du dich versiehst, ist dein Zuhause nur noch ein Haus, in dem dein Vater wohnt.

Jegliche Entwicklungen in deinem Haus werden vor dir verschwiegen, als würde es sich nicht um dein Zuhause handeln. Und ehe du dich versiehst, ist deine Mutter plötzlich ausgezogen und dein Zuhause nur noch ein Haus, in dem dein Vater wohnt.

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Das ist vielleicht der schmerzhafteste Teil daran, ein Trennungserwachsener zu sein. Man ist mit der Gewissheit ausgezogen, dass man dieses Zuhause und seine Eltern, die darin wohnen, für immer behalten wird. Das konnte auch die Familientherapeutin Katharina Henz beobachten: "Es ist durchaus ein Lebenseinschnitt, weil es ein Konzept erschüttert. Nämlich das Konzept der Familie und dem Zuhause. Die Gewissheit, was die eigene Homebase ist, wird dadurch in Frage gestellt."

Lest hier, warum wir heutzutage immer unzufriedener werden

Man hinterfragt aber nicht nur sein Zuhause, sondern auch die Wahrnehmung der eigenen Eltern. Plötzlich leuchtet da eine große Loyalitätsfrage auf: "Wer von den beiden ist der Böse, auf welche Seite stelle ich mich?", aber auch: "Können sie sich nicht einfach vertragen und alles bleibt beim Alten?"

Das klingt kitschig und entspricht vielleicht auch nicht dem Weltbild, das man sonst vertritt. Aber in diesem spezifischen Fall, da würde man sich wünschen, der Kitsch würde am Ende siegen. Schließlich sagen das auch Statistiken. Die Zahl der Scheidungen in Österreich ging im Jahr 2015 zurück, die Anzahl der Eheschließungen stieg. Aber das sind nur die positiven Bilanzen. 16.351 Ehen wurden im Jahr 2015 geschieden—dadurch entstanden 18.686 neue Scheidungskinder. Von diesen Kindern ist die Mehrheit minderjährig. Und trotzdem gibt es noch knapp 6.000 Kinder mehr, die nach dem österreichischen Recht schon als Erwachsene gelten.

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Die Gewissheit, dass sie sich nun endlich trennen, fühlt sich weniger befreiend an als erwartet

Deswegen sollten viele Eltern überdenken, wie sie ihren erwachsenen Kindern die Trennung vermitteln. Es spielt in erster Linie keine Rolle, ob sich meine Eltern bereits beim fünften Mal getrennt hätten oder erst jetzt. Auch, wenn ich bestimmt ab dem neunten Mal gesagt habe, sie sollen sich doch bitte endlich trennen. Und meine Freundinnen ab dem zehnten Mal das Gleiche meinten und nur noch den Kopf schüttelten.

Die Gewissheit, dass sie sich nun endlich trennen, fühlt sich weniger befreiend an als erwartet. Wahrscheinlich auch, weil besonders erwachsene Kinder diese Illusion haben, dass ihre Eltern sich bis zum bitteren Ende haben und man sich dann weniger Sorgen um sie machen muss.


Foto: Un Bolshakov | Flickr | CC BY-2.0