Ich habe die Mitfahrgelegenheit für Privatflieger getestet

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Reisen

Ich habe die Mitfahrgelegenheit für Privatflieger getestet

Jung, pleite und trotzdem kutschiert mich ein Privatpilot von Berlin nach Frankfurt. Super! Bis ich in 2.000 Metern Höhe die Flugzeugtür aufmache.

Mein Leben ist eher so EasyJet als Jetset. Ich reise so gut wie immer mit Rucksack, habe noch nie in irgendeiner ersten Klasse gesessen, dafür sehr häufig eingequetscht auf Rücksitzen von Mitfahrgelegenheiten. In der Entscheidung zwischen "gemütlich Reisen" und "möglichst weit Kommen" wähle ich stets Letzteres. Reisekomfort hebe ich mir auf für Zeiten mit schlechteren Bandscheiben und besserem Kontostand.

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Aber dann hörte ich von Wingly, einer Plattform, die Hobbypiloten und Menschen zusammenbringt, die gerne mit ihnen fliegen würden. Der Spirit von Mitfahrgelegenheit—und wahrscheinlich die einzige Chance meines Lebens auf einen Privatpiloten. Die Anmeldung ist nicht komplizierter als bei BlaBlaCar, nur dass ich zusätzlich meinen Ausweis hochladen und mein Gewicht angeben muss. Ein Flug von Berlin nach Frankfurt ist für 120 Euro zu haben—das ist teurer als ein Billigflieger. Aber immerhin: the lifestyle of the rich and the famous für den Preis eines Bahntickets.

Billigflieger haben das Fliegen entmystifiziert. Bei engen Ryanair-Sitzen und gummiartigen Air-Berlin-Laugenstangen erinnert heute nichts mehr an die Zeit, in der alle Stewardessen schön waren und Cocktails in Flugzeugen servierten. Ist die Mitflugzentrale der konsequente Schritt den letzten Mythos des Fliegens zu entzaubern—den Privatflug? Was früher nur Obama und Lady Gaga hatten, kriegen jetzt auch Normalsterbliche.

Ich stelle mir vor, wie ich mit wehenden Haaren über den Flugplatz laufe, ein bisschen wie Jackie Kennedy. An der Rolltreppe wird mich ein uniformierter Pilot mit durchgedrücktem Rücken und vielleicht einem Glas Champagner empfangen. Am Flugplatz Schönhagen in der Nähe von Berlin dann der Reality-Check. Das sind gar keine Jets, sondern Baby-Flugzeuge! Embryo-Flugzeuge gar! Sie sehen aus wie kleine Autos mit Flügeln. Ich fühle mich wie damals mit fünf, als ich ein Poster für eine Echsen-Ausstellung gesehen habe und die Skalierung falsch verstanden hatte. Ich habe etwas Dinosauriergroßes erwartet und dann saß ein apathisches, unterarmlanges Chamäleon im Terrarium.

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Aus der Suche nach meinem Privatjet | Alle Fotos, wenn nicht anders angegeben: Grey Hutton

Der einzige Flieger, der einigermaßen nach Luxus aussieht, ist natürlich nicht der, mit dem ich gleich fliegen werde. Meiner hat nicht nur keine Roll-, sondern gar keine Treppe. Ich muss über den Flügel reinklettern. Manos, der grundsympathische 28-jährige Pilot, trägt statt Uniform einen Hoodie. Statt eines Champagnerglases drückt er mir Kotztüten in die Hand, die er bei der Lufthansa geklaut und mit Pilotengleichungen bekritzelt hat. Neben dem iPhone-Ladekabel und den Kopfhörern gegen den Fliegerlärm sind die Tüten der einzige Luxus im D-ETJA (Delta Echo Tango Juliette Alpha)—auf diesen Namen hört unser Flugzeug.

In diesem Moment sagt Manos: "Bei mir im Flugzeug hat noch niemand gekotzt. Ich hoffe, dass es so bleibt."

Als Manos den Schlüssel in die Kabine steckt, springt der Motor nicht an. "Die zickt manchmal", sagt er. Und was ist, wenn "sie" dann plötzlich in 2.000 Metern Höhe "zickt"? Oder, noch schlimmer, wenn Manos ohnmächtig wird? "Du musst diesen Knopf drücken. Dann erklärt dir eine Stimme, wie du das Flugzeug landest." Wie ICH das Flugzeug lande? "Siehst du hier noch jemand anderen?" Über dem Flugplatz haben sich fiese dunkle Wolken zusammengebraut—und in meinem Magen ein flaues Gefühl.

Ich habe jetzt nicht klinische Flugangst, aber aktualisiere trotzdem vor jedem Flug das Dokument auf meinem Desktop, das den Namen "Für den Fall, dass ich sterbe" trägt. Darin erkläre ich allen Leuten, die ich liebe, dass ich genau das tue. Und bei Turbulenzen halte ich mich öfters weißknöchlig an Fremden fest.

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Als wir losrollen, umklammere ich die Kotztüte, als sei sie ein Fallschirm (den es im Flieger übrigens nicht gibt). Aber als wir über dem Fluglatz hochziehen, sorgt das Adrenalin für Euphorie. Ich habe das Gefühl, als ob ich zum ersten Mal in meinem Leben fliegen würde, also so richtig: FLIEGEN. Ich höre die Motoren brummen, kann sehen, wie das Flugzeug die Richtung ändert und wenn Manos das Steuerhorn bewegt, bekomme Puddingbeine, wenn es sich zur Seite neigt.

Fliegen ist im Jahr 2016 ein bisschen wie Teleportieren mit Zeitverzögerung geworden. Man steigt in Berlin ein und ein paar Stunden und Tausende Kilometer später wieder in Marokko aus und wird höchstens bei Turbulenzen daran erinnert, dass man gerade in einer tonnenschweren Flugzeug auf 10.000 Metern Höhe Limonade aus kleinen Plastikbechern trinkt. Wir denken überhaupt nicht daran, wie heftig das alles eigentlich ist, sondern nur, ob wir gleich Chicken oder Pasta bestellen.

Fluglinien sind ein bisschen wie Fastfoodketten: uniformiert, erwartbar und am Ende erzählt man darüber nur, ob das Essen schlecht oder sehr schlecht war. Aber niemand redet darüber, dass man geflogen ist. Geflogen! In Juliette Alpha werde ich jede Sekunde daran erinnert, dass ich in der Luft bin.

Der Flughafen ist schon ein paar Minuten später spielzeugklein geworden, das Deutschland unter uns ist eine Ansammlung von geometrischen Quadraten aus Feldern. Zehn Minuten später entern wir die Wolken. Der Nebel hinter unseren Fenstern ist so dicht wie Champignoncremesuppe, aber Manos hat eine Instrumentenflugberechtigung—eine Art Wolkenführerschein. Das heißt, er darf anhand der Daten aus den Flugzeugmessgeräten fliegen, auch wenn er kaum Sicht hat.

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Ich habe mich inzwischen etwas entspannt. Manos erklärt mir, unser Flugzeug, das Piper-Archer, ist der Golf unter den Flugzeugen: vier Sitze, eine Art Kofferraum, solide Mittelklasse, ziemlich sicher. Außerdem erzählte er, dass er im echten Leben Fluglotse ist, und schon 300 Flugstunden auf dem Buckel hat. Passagiere nimmt er mit, um Kosten zu sparen und weil er gerne quatscht.

Insgesamt sind 3.100 Piloten bei Wingly angemeldet, 1.700 von ihnen kommen aus Deutschland, der Rest aus England und Frankreich, wo es die Plattform ebenfalls gibt. Sie dürfen kein Geld verdienen, sondern nur die Kosten reinholen. Lars Klein, 21, der Wingly gleich nach dem Abitur mitgegründet hat, erzählt, dass sein Portal schon 5.300 Flüge vermittelt hat, seit es im Sommer online gegangen ist. Im Vergleich zu BlaBlaCar, das nach eigenen Angaben 30 Millionen Nutzer hat, ist es natürlich winzig klein.

Noch werden auf der Plattform zu wenige Flüge angeboten, um damit tatsächlich seine Reiseplanung zu bestreiten. Aber darum ginge es auch gar nicht: "Eine Monat vorher planen, das geht bei uns nicht", sagt Lars. "Die Flüge sind auch sehr wetterabhängig." Das stimmt: Meinen zuerst gebuchten Flug von München nach Berlin sagte der Pilot am Abend vorher ab, weswegen ich die geplante Reise auf der Rückbank eines Mitfahrgelegenheiten-Opels neben einem sabberndem Boxerhund verbrachte.

Aber wenn es klappt, wird das Pendeln zum Abenteuer. Nachdem wir den Nebel durchbrochen haben, sind wir plötzlich im strahlend blauem Himmel. Die dichte Wolkendecke unter uns sieht aus wie eine surreale Landschaft aus Herr der Ringe. "Das sind Stratuswolken", erklärt Manos. "Und die da drüben, die aussieht wie ein riesiger Blumenkohl, ist eine Kumuluswolke." Insgesamt gibt es übrigens 10 Wolkensorten, erzählt er, und außerdem eine App, mit der man sie sammeln kann wie Pokémon.

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Foto: privat

Langsam habe ich mich an die Stimmen der Fluglotsen in den Kopfhörern gewöhnt. Nach einer kurzen Absprache mit einem von ihnen darf ich mal fühlen, wie es ist, selbst zu fliegen. Inzwischen fühle ich mich so wohl, dass ich größenwahnsinnig werde: "Können wir irgendwelche Tricks machen?" Manos neigt das Flugzeug um 60 Grad zur Seite. Er lacht. Ich schreie.

Das ist übrigens der berüchtigte Notfall-Knopf

Dann fluche ich. Irgendwie kam es mir vor, als sei die Kabinentür sehr locker und könnte bei solchen Manövern aufgehen. "Da würde nichts passieren. Das hier ist keine Druckkabine, weil wir viel niedriger sind als ein Linienflugzeug. Die fliegen auf 10.000 Metern, wir gerade auf ungefähr 2.000. Es wäre höchstens etwas frisch." Wirklich? Kann ich aufmachen? Manos zuckt mit den Schultern: "Wenn du unbedingt willst."

Ich mache die Tür auf und schau plötzlich aus Tausenden Metern in den Abgrund. Wow. WOW. Die Häuserdächer sind so große wie Smarties, die Autos wie Ameisen, die Autobahnen wie Adern. Ich habe die Höhe noch nie so intensiv in meinem Leben gespürt. Der Wind klatscht mir die Haare ins Gesicht, überhaupt nicht so elegant wie bei Jackie Kennedy, eher wie bei einer Achterbahnfahrt. Aber wer will schon First Lady mit Privatjet sein, wenn er das hier haben kann. Ich fühle mich sehr lebendig. Und im nächsten Moment: lebensmüde. Die Tür geht nämlich nicht mehr zu, egal wie sehr ich ziehe.

Ich könnte heulen, Manos sagt nur: "Ist wie Cabriofahren." Ich zwinge mich, an all die Statistiken zu denken, bei denen die Wahrscheinlichkeit bei einem Autounfall zu sterben, viel höher liegt als in der Luft. Aber ob sie noch gelten, wenn man im Golf unter den Privatflugzeugen mit einer offenen Tür in 2.000 Metern Höhe fliegt? Wir müssen zehn Minuten mit der Tür kämpfen, bis sie wieder zugeht, dann ist es schon Zeit für die Landung.

Die Welt zoomt wieder heran: Die Smarties werden zu Dächern, die Ameisen zu Autos, die Adern zu Straßen. Zwei Stunden hat der Flug gedauert—länger, lauter, kräftezehrender als ein Linienflug. Keine Gratiszeitschriften, kein Tomatensaft. Als Bordservice gab es nur einen Kinder Bueno, den ich von Manos stibitzt habe. Vielleicht fühlte sich Fliegen auch viel mehr nach Fliegen an, weil man von keinen Snacks und Filmen abgelenkt ist. Es war wie ein Roadtrip im Vergleich zu einer organisierten Reisebusfahrt. Das nächste Mal, wenn ich an Bord eines Linienfliegers sitze, werde ich hoffentlich nicht nur daran denken, wann ich endlich ankomme. Sondern auch daran, wie es jetzt wäre, seinen Kopf aus dem Fenster zu stecken.