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DIE WAS SCHAUST DU SO AUSGABE

VICE Reviews

Von sehnsüchtigem Gejaule über Prostituierte in Kuba und Hochzeitsmusikern.

OMAR SOULEYMAN
Wenu Wenu
Domino
9
In einer rund 20-jährigen Karriere als Hochzeitsmusiker hat sich Omar mit seiner ganz eigenen Interpretation syrischer Volksmusik einen Legendenstatus im Nahen Osten erspielt. Für ein Studioalbum hatte er weder Zeit noch Muße, aber irgendwann tauchten Bootlegs und Youtube-Clips auf, Björk bat um ein Remix von Biophilia und schließlich klopfte kein geringerer als Kieran Hebden alias Four Tet an die Tür des beinahe 50-jährigen Mannes mit dem Kopftuch und der patriarchalen Aura eines Ölscheichs. Nun ist das von Hebden produzierte Album da, und mit ihm ist zugleich eine neue Ära der elektronischen Musik und eine neue Ära der Völkerverständigung angebrochen. Gut möglich, dass demnächst im 7. Bezirk aus Studenten-WGs, Teehäusern und mattschwarzen BMWs ein und dieselbe Platte schallt. Souleyman ist also so was wie HC Straches schlimmster Albtraum, und allein dafür muss man ihn gern haben.
OTTFRIED MISCHER

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SUNRISE 16
Omnipotence EP
Monkey.
1
Mit Allmachts-Fantasien ist das ja so eine Sache: Sollte sich nachträglich herausstellen, dass man Recht hatte, schauen am Ende die anderen blöd und man selbst kann sich von jedem weiteren Rechtfertigungsdruck abputzen (berühmtestes Beispiel: Jesus H. Christus in Die Bibel). Wenn hingegen Wahrscheinlichkeit und Vernunft siegen, wirkt man ganz schnell—und zu Recht—wie der größenwahnsinnige Mongo, der man vermutlich von Anfang an war (berühmtestes Beispiel: Jack „Ich bin der König der Welt!“ Dawson in Titanic). Solange die Geschichte sich nicht entschieden hat, oszillieren Sunrise16 irgendwo dazwischen hin und her, wenn sie ihre EP „Allmacht“ auf Englisch und ihr Ziel „Ö3 & Co.“ nennen. Ich persönlich fühlte mich von ihrer potenziellen Hit-Single jedenfalls sehr angesprochen. Sie heißt „Don’t Waste My Time“.
JAMES KAMMERTON

LAUREL HALO
Chance of Rain
Hyperdub
7
Laurel Halos vielgelobtes Debütalbum Quarantine erinnerte mich gelegentlich an eine posttraumatische Therapiesitzung, bei der eine ehemalige Ninja-Kriegerin ihre Schlafstörungen aufarbeitete, während im Hintergrund eine Miles-Davis-Platte lief. Auf dem jetzt erschienenen Nachfolger pochen gefühlskalte Maschinenbeats unter den verjazzten Akkordfolgen und Halos Stimme ist gänzlich verschwunden. Vielleicht hat sie die Therapie einfach abgebrochen und sich ihrem Schicksal ergeben. Besser so, denn wie jeder Turtles-Fan weiß, ist das Ninjakriegerdasein kein Beruf, sondern eine Berufung, die man ein Leben lang mit sich herumträgt. Da kann man es sich genauso gut in der Dunkelheit bequem machen und den gelegentlich vorbeispazierenden Partytouristen einen Wurfstern in die Halsschlagader feuern.
MASTER SPLINTER

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UNMAP
Pressures
Sinnbus
5
Der Typhon Hayan, von dem auf den Philippinen nicht weniger als 11 Millionen Menschen betroffen sind, war ohne Frage eine Katastrophe. Er war 235 km/h schnell und wird sich auf ewig ins Gedächtnis von mehr Menschen einprägen, als derzeit in unserem friedlichen kleinen Land wegen Weihnachtsgeschenken durchdrehen. Wie das alles zu diesem Album passt, überlasse ich eurem inneren Sherlock (kleiner Tipp: ein NICHT im letzten Satz hilft). Jedenfalls verursacht Pressures in etwa dasselbe Gefühl wie das Lesen solcher Sätze. Ich habe während dem Hören tatsächlich 20 Euro für die Typhon-Opfer gespendet. Trotzdem ist es Musik für Männchen und Mädels, die um elf Uhr schlafen gehen und zu Morcheeba und Kosheen tanzen.
CATCH YOU IN A CANDY-MAN

VARIOUS
Beat Enoteca
Sterneis Musig
7
DieBeat Enoteca Compilation ist so etwas wie der Strassensoundtrack für einen total verrauchten Stadtflaniernachmittag gegen Ende der Neunziger. Sommerlich staubig und so voller Funk, dass du dir eigentlich Rollschuhe kaufen und einen Afro wachsen lassen willst. Die Tracks an sich sind Rap Instrumentals aus der goldenen Ära, die statt einem MC einfach ein paar weitere Soundfuzzel reingepackt bekommen haben und so zu runden und entspannten Anthems für Alltagshelden wurden. Zudem bekommst du schon vom Reinhören rote Augen und ein desolates Kurzzeitgedächtnis.
MASUKICHI AKAI

WANDL
Soon
Siluh Records
8
Ich bin gerade in between jobs und absolut niemand will mir glauben, dass das einen irren inneren Stress auslöst. Besonders abends werden statt Blut eigentlich nur Selbstzweifel durch deine Venen gepumpt, was eine beschissene und nicht wegzukriegende Nervosität hervorruft. Yoga ist zu anstrengend, Beruhigungstee hilft nicht mal nervigen Hippies und Schnaps endet immer mit einem grauenhaften Kater. Als ich mir dann die dahinplätschernden Klänge und vor allem die bodenständige und ruhige Stimme von Wandl zu Gemüte geführt habe, hat mich das irgendwie beruhigt. An den Selbstzweifeln arbeite ich noch.
HIREME DUDE

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MELVINS
Tres Carbrones
Ipecac
5
Voller Stolz gab King Buzzo kürzlich bekannt, dass es ihm gelungen ist, noch einmal das originale Band-Line-Up von 1983 zusammenzutrommeln. Das bedeutet zwar im Grunde nur, dass er und Crover irgendwo den Typen ausgegraben haben, der vor 30 Jahren mal ein paar Monate Schlagzeug gespielt hat—aber hey, eine authentischere Melvins-Erfahrung kannst du quasi gar nicht bekommen. Also zumindest wenn man davon absieht, dass wir nicht mehr 1983 haben, wie sich den drei Herren bei einem Blick in den Spiegel eigentlich auch unweigerlich offenbaren sollte. Als ich das neuste Bandfoto sah, lief es mir auf jeden Fall eiskalt den Rücken runter und ich hörte das unerbittliche Ticken der allmächtigen biologischen Uhr noch etwas deutlicher als sonst. Da hilft nur aus der Not eine Tugend machen, die neuen Songs, die wie alte Songs klingen, etwas lauter zu drehen und der Realität vorübergehend den Rücken zu kehren. Denn der König ist vielleicht vergessen, aber eben immer noch nicht ganz tot.
NEIL OLD

SHIFTED
Under A Single Banner
Bed of nails
4
Der Rolling Stone macht gerade eine Kampagne, in der es darum geht, dass elektronische Musik, DJs und alle unter 30 scheiße sind und dass eigentlich nur bärtige Männer mit Bierbauch und Gitarre wirklich wissen, was Musik und Spaß sind. Und nur weil ich diese Kampagne so abgrundtief hasse, bekommt Under A Single Banner ganze 4 Punkte. Eigentlich ist es nämlich noch schlimmer. Wenn es sowas wie ein Technoeinkaufszentrum gäbe, wäre Under A Single Banner die Liftmusik dort.
GOD DAMNED KIDS

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MR DNA X DOS4GW FEAT.
NO EMOTION GOLD MASK
Untitled
Hirntrust Grind Media
8
Im hintersten Winkel des Hirntrust-Büros, versteckt unter einem ausgestopften, dreiäugigen Tschernobyl-Wildschwein, befindet sich eine geheime Stahltür, die tief, tief unter die Erde zu einem riesigen Wasserbassin führt. Darin schwimmen Tausende Plastikbällchen, die willkürlich mit Worten bedruckt sind. Vier fette Seekühe wählen regelmäßig ein paar dieser Bällchen aus und stupsen sie auf ein Podest, wo sie von Hermes Phettberg abgelesen und zu einem Konzept für ein neues Hirntrust-Release verwurstet werden. Zum Glück sind die Releases des Linzer Labels WIRKLICH leiwand und nicht, wie diese Review, gänzlich von South Park geklaut. Kauft euch die neue 7“, wollte ich eigentlich sagen.
RANZDOM

SCHNITZELBEAT VOL. 1
Digatone
Konkord
9
Al Bird Dirt hat sich mit seinen Trash Rock Archives schon in den vergangenen Jahren einen formidablen Namen in der Stadt gemacht. Sein Bestreben, österreichische Musikobskuritäten aus der frühen Rock'n'Roll-Zeit aufzuspüren, und diese zum Teil extrem raren und großteils vergessenen Perlen des frühen Austropop, wie er es nennt, einem großen Publikum zuzuführen, sollte unserer Meinung nach mit einem Wiener Ehrenzeichen honoriert werden. Die Schnitzelbeat Vol.1 Compilation ist also wilder Rock'n'Roll von Meidlinger Bluejean Cowboys, mit Geschichten aus Tavernen in Mexiko, sehnsüchtigem Gejaule über Prostituierte in Kuba, Geisterschlösser in Chicago, aber auch Songs in echter Surf-Instrumental-Tradition. Es sind Wienerlieder, die aus Liverpool und Memphis zu kommen scheinen. Die Platte ist liebevoll geschmückt mit Fotos der Vienna Beatles, von den Austrian Evergreens und von niemand geringerem als Werner Gavac. Die Linernotes machen Schnitzelbeat Vol. 1 zu einem Dokument mit historischer Bedeutung. Sicher, es ist obskur, es ist drollig und man macht sich ein bissl drüber lustig, aber deine Eltern haben sich in Tanzcafés dieser Zeit kennengelernt, zu dieser Musik Handerl gehalten oder Flipper gespielt. Nicht nur die Wiege unserer Fortgehkultur liegt in dieser Platte, sondern, naja, wir alle. Das sind die bösen Schulfreunde von deinem Onkel, und wahrscheinlich hat deine Mama auch mit denen geschmust.
LIESINGER STRIZZI

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SIMON FISHER TURNER
The epic of everest
Mute
2
Ein Soundtrack zur Verfilmung einer Expedition auf den Mount Everest, der vermutlich niemanden interessieren wird, der die dazugehörige Verfilmung der Expedition auf den Mount Everest nicht gesehen hat oder sich generell weniger für das Genre „Verfilmungen von Expeditionen auf den Mount Everest und deren Soundtracks“ begeistern kann, oder zumindest für „70 Minuten Bläser-Instrumentals“. Ich gehöre leider zu den Außenstehenden, und auch nach 70-minütigem Nachdenken fällt mir niemand ein, dessen Hobbys so speziell sind. Trotz Cosey Fanni Tutti, die da laut Booklet auch irgendwas gastgeblasen haben soll.
KRIS KARTER

SKELETONWITCH
Serpents Unleashed
Prostetic/Sony
1
Uns wäre es auch recht, wenn sich alle Schreiber darauf einigen könnten, fortan auf Witze über die Namen von Menschen UND Bands zu verzichten. Aber nur mal kurz: Skeletthexe? Ist das euer verdammter Ernst? Egal, man ahnt ja nicht, wie groß die tatsächlich sind, wo die schon überall gespielt haben, auf welchen Titelblättern sie zu bewundern waren und wie viele ihrer fünf Alben in den Billboard Charts notiert wurden (eins auf Platz 151). Bands wie diese geben den klassischen Indie-Klugscheißern der vergangenen Jahrzehnte das Gefühl, doch richtig gelegen zu haben: Metal ist was für Deppen, von Deppen.
GÖTZ KÜHNEMUT

THE WANTON BISHOPS
Sleep With The Lights On
Keeward
6
Rock'n'Roll-Bands aus Afrika und dem Nahen Osten sind nichts Kurioses anymore. Auch das ist ein Zeichen für eine Welt, die näher zusammenrückt. Ja wirklich, da tut sich was. Omar Souleyman, Tinariwen und Tamikrest bringen allesamt frischen Wind in unser anglozentriertes und durchaus eintöniges 3/4-Takt-Leben. DIe Wanton Bishops kommen aus Beirut, sind zwei Jungs und himmeln die Black Keys an, die bekanntlich den Mississippi-Delta-Blues für die Masse zurecht geklopft haben. Sie wären sicherlich gern in Louisiana, singen vom Leben mit Smith & Wessons, doch klingen dabei leider nicht nach Muddy Waters, sondern etwas zu oft wie eine Country-Cowboy Band aus Floridsdorf. Nur ein paar Mal blitzt der anfangs erwähnte USP durch, vor allem im irre gefühlvollen und von orientalischen Melodien inspirierten Intro von Whoop. Man könnte dann fast von Nil-Delta-Blues sprechen. Aber eben nur fast.
LONGLEGS