FYI.

This story is over 5 years old.

Popkultur

Das Leben mit einem heroinsüchtigen Vater

Philip Wood hat nach 15 Jahren ohne Kontakt erfahren, dass sein Vater womöglich bald stirbt. Mit seiner Kamera wagt er einen Versöhnungsversuch—und klärt gleichzeitig über Sucht auf.
Max Daly
London, GB

Philip Wood, der Vater des Filmemachers | Foto: BBC, Rare Day, Philip Wood

Menschen, die sich Drogen injizieren, haben nicht den besten Ruf. Oft werden sie als „faule Junkies" und Kriminelle über einen Kamm geschoren, die dem Staat auf der Tasche liegen, wenn sie nicht gerade mitten in einer Razzia stecken. Aber für viele Leute da draußen sind diese verrufenen Menschen Söhne, Töchter, Väter und Mütter.

Mit einem Angehörigen zu leben, der eine Suchtkrankheit hat, ist nicht einfach. Laut der Drogen-Hilfsorganisation Adfam leben im Vereinigten Königreich zwischen 200.000 und 300.000 Kinder mit mindestens einem Elternteil, das ein Suchtproblem hat, und bei diesen Kindern sind Drogenprobleme siebenmal wahrscheinlicher als bei anderen.

Anzeige

Der Filmemacher Philip Wood war ein solches britisches Kind. 15 Jahre lang hatte er keinen Kontakt zu seinem heroinsüchtigen Vater. Als er letzten März erfuhr, dass es mit der Gesundheit des 53-Jährigen bergab gehe, wollte Philip, heute 31, endlich seinen Vater verstehen lernen. Sie hatten sich eigentlich nie richtig unterhalten. Das Ergebnis von Philips Entscheidung ist der neue Film Chasing Dad: A Lifelong Addiction, in dem Philip mit einer Kamera als Zeugin die chaotische Welt seines Vaters betritt und ihn für mehrere Monate begleitet. Wir sehen das Phänomen der Sucht aus nächster Nähe, während Philip versucht, seinen Vater von seinen ständigen Lügen abzubringen, und auf eine Form der Versöhnung zwischen den beiden hofft.

Ich habe mich mit Philip unterhalten, um zu erfahren, wie es ist, einen emotional derart schwierigen Film über ein Thema zu drehen, das so häufig sensationslüstern ausgeschlachtet oder unter den Teppich gekehrt wird.

VICE: Hi, Philip. Dieser Film schlägt wirklich ein. Was hat dich dazu motiviert?
Philip Wood: Mein Vater steuerte unaufhaltsam seinem Tod entgegen. Ich hatte das Gefühl, das ist meine letzte Chance, um alles hinzubiegen, und er verhielt sich vor der Kamera so natürlich, dass ich wusste, es ist das Richtige. Ich hatte ein brennendes Verlangen nach Antworten auf Fragen, die ich schon so lange mit mir herumtrage, wie ich denken kann.

Hat die Kamera das alles nicht erschwert?
Nein, die Kamera war wie eine Vermittlerin. Ich habe es nicht einmal über mich gebracht, das Telefon in die Hand zu nehmen und ihn anzurufen, und ich mochte ihn nicht wirklich. Also habe ich die Kamera als einzigen Weg gesehen, es durchzuziehen. Alles wurde dadurch ein wenig einfacher.

Anzeige

Der Film zeigt das chaotische Leben deines Vaters: eine endlose Reihe an „Freunden", die vorbeischaut, Polizei und Wohnungsverlust. Wie ist es, plötzlich in so eine Welt geworfen zu werden?
Er war eine interessante Person für eine Dokumentation, und es funktionierte im Film gut, weil ihn die Kamera kein bisschen störte. Ich fand ihn magnetisch und charismatisch, aber gleichzeitig auch abstoßend und unerträglich. Ich wollte nicht nur die Sucht an sich zeigen, sondern auch die Umgebung, in der ein Abhängiger 30 Jahre lang funktionieren kann.

Es war ziemlich ermüdend, bei den täglichen Dramen dieser Welt mitzuhalten, aber ich fand die Untergrundwirtschaft, in der er existiert, extrem faszinierend. Es gibt nichts Positives oder Romantisches an dieser Welt. Das, womit man es da zu tun hat, ist unberechenbar, trostlos und herzzerreißend.

Dein Vater versucht, die Lüge aufrechtzuerhalten, dass er mit dem Heroin aufgehört hat. Wie hast du dich gefühlt, als du damit konfrontiert warst?
Seine Lügen sind in dem Film ein roter Faden. Es ist schwierig, überhaupt zu wissen, was man glauben kann. Einer der Gründe, warum ich mit meinem Vater so schwer eine Beziehung aufbauen konnte, war der, dass ich nie wusste, ob er mir gerade die Wahrheit sagte. Ich wusste auch nie, wie lange er eine bestimmte Lüge aufrechterhalten würde, und das hat dazu geführt, dass ich mich selbst auch gnadenlos infrage gestellt habe.

Anzeige

Er hat gesagt, er könne nicht mehr die Wahrheit sagen, weil das Lügen zur Gewohnheit geworden sei, und er habe Angst, dass ich ihn verlassen würde, wenn er mir alles erzählte. Ich habe gesagt, er müsse nicht lügen und dass ich trotzdem da sein würde, selbst wenn ich alles wüsste.

Vater und Sohn, nach 15 Jahren für den Film wiedervereint

Dein Vater war bereits heroinabhängig, als du zur Welt kamst. An was erinnerst du dich noch aus deiner Kindheit?
Eine meiner frühesten Erinnerungen an ihn ist, dass er mit einem wunderschönen Welpen nach Hause kam, als ich ungefähr vier Jahre alt war—ein Basset Hound. Ich glaube, das war die einzige schöne Erinnerung an ihn, die ich hatte, außer vielleicht hier und da mal ein Wettgewinn, den er einstrich. Wie viele Andere in einer ähnlichen Situation habe ich als Kind auch schon verstanden, dass es ihm nicht gut ging. Hauptsächlich habe ich nicht verstanden, warum ich mit diesem Problem völlig alleingelassen wurde. Wir waren Kinder.

Hat seine Entschuldigung dafür, dass er ein schlechter Vater war, dir irgendwie geholfen?
Diese Frage lässt sich schwer beantworten. Viele Leute haben ihre eigene Interpretation. Er ist kein Monster, aber hier sind komplexe und tiefgreifende Probleme am Werk. Vielleicht war der Film auch so etwas wie seine Art der Wiedergutmachung.

Im Film sagt deine Schwester, es tue ihr für euren Vater leid, „für alles, was er hätte haben können, für alles, was er verloren hat, und dafür, dass er ein Leben führt, das niemand sich wünscht". Hast du durch den Film etwas über Sucht erfahren, das dir neu war?
Seine Welt ist sehr chaotisch, und auch wenn das Telefon ständig klingelt und dauernd jemand an die Tür klopft, ist sie trotzdem ein sehr einsamer Ort. Ich verstehe ihn und die Gesamtsituation viel besser. Diese Welt, in der sie leben, ist völlig anders als unsere und folgt ganz anderen Regeln. Ich konnte mir vorstellen, wie man in einen Teufelskreis geraten kann. Was ich nicht so gut verstehe, ist, wie er durch das soziale Netz fallen konnte. Ich finde, diese Situation zeigt auch ganz deutlich, wie unzureichend unser Wissen über Sucht ist und wie schlecht die Gesellschaft damit umgeht. Ich will nicht klingen, als würde ich Drogenabhängige verteidigen, aber ich finde es verblüffend, dass die Behörden Langzeitsüchtige auf Armlänge halten. Ich wünschte, es gäbe mehr intelligente, umfassende und evidenzbasierte Ansätze, um Familien und Süchtigen zu helfen, mit dem Problem umzugehen.

Welche Szene war für dich die schwierigste?
Wir waren im Krankenhaus, und sie konnten aus seinen Venen kein Blut nehmen und sagten ihm, er würde in 18 Monaten sterben, wenn er so weitermachte. Wir liefen zur Bushaltestelle und sahen dort einen seiner Kumpels. Sie rissen ein paar Witze und dann holte sein Kumpel zwei Dosen Starkbier raus. Wir standen wieder genau am Anfang, zehn Minuten nachdem man ihn gewarnt hatte, dass er sich so umbringt.

Mr. Woods Verhalten ähnelt ein wenig der Reaktion der Menschheit auf den Klimawandel. MUNCHIES fragt sich, warum die Warnungen ignoriert werden

Was werden die Leute deiner Meinung nach aus dem Film ziehen?
Ich hoffe unter anderem, dass der Film den Leuten helfen kann, in Drogensüchtigen und Alkoholikern die Menschen zu sehen und nicht die Stereotype. Ich halte meinen Dad und seine Freundin für intelligente Menschen, die offensichtlich tiefsitzende und komplexe Probleme haben.

Der Film soll unter die Haut gehen. Ich habe jede Folge der Sopranos angesehen, bevor ich ihn gedreht habe, um die Dialoge zwischen Tony und Dr. Melfi zu studieren. Sie haben immer geredet und geredet und einander dabei angelogen—wie wir es alle tun—, um zu einer größeren Wahrheit zu gelangen. Das ist in gewisser Weise die Botschaft meines Films: Reden und reden kann dir helfen, das Problem zu verstehen, aber dazu braucht es auch Geduld, Hartnäckigkeit und Ehrlichkeit.