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GAMES

Wir haben ein Videospiel über krebskranke Kinder ausprobiert

Die Game-Reviews in unserem aktuellen Heft sind voller Krebs, Mutanten und dem Gegenteil von Batman.
Screenshot vom Autor (c) Numinous Games

Manchmal fragt man sich, wie zum Teufel manche Entwickler eigentlich auf ihre kranken Videospielideen kommen. Keine Ahnung, aus welchen abartigen Quellen der Inspiration ein Schildkröten-zerquetschender Italo-Japaner aus dem Klempnergewerbe entsprungen ist, der mehrere Spiele lang einfach nur unterwegs ist, um Prinzessinnen zu stalken. Ähnlich absurd (wenn auch um einiges ernster) ist die Prämisse im aktuellen SpieltitelThat Dragon, Cancer, das dem Spieler einen sterbenskranken Nachwuchs simuliert.

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Aber in den Spiele-Reviews des aktuellen Hefts haben wir uns nicht nur die Gaming-Aufarbeitung von Familienträgodien angesehen, sondern auch Bunnylord, den coolsten Antihelden seit es Pixel gibt, nukleare Mutantenmachtkämpfe—lange nach Nordkorea und anderen Raketenschießern—und auch einen österreichisch-schweizerischen Kammerjäger der alten Schule.

THAT DRAGON, CANCER

„Aufgepasst, ihr crazy Kidz mit euren Gamez, endlich könnt ihr auf eurer kultigen Zockbox ultralässig innerfamiliäre Traumata durchleben!" Auch wenn That Dragon, Cancer auf den ersten Blick nicht wirklich ansprechend klingt, musste ich dieses Videospiel, das, auf den autobiografischen Erlebnissen der Entwickler basierend, das Leben mit einem krebskranken Kind interaktiv erfahrbar macht, einfach selbst erleben.

Und dabei ist nicht nur die Thematik abschreckend, auch die gruseligen gesichtslosen Mannequin-Figuren, die apathisch und mit kantiger Grafik diese surreale Welt bevölkern, sind purer Horror. Es wirkt permanent wie dieser klassische Gaming-Moment, wenn der Rechner eine Spielsequenz nicht gleich ganz lädt und das Bild ohne Texturen und nur in seinen Bausteinen dargestellt ist.

Diese Optik könnte bei That Dragon, Cancer vielleicht sogar Absicht sein: „Dein Leben ist nie ganz fertig und meistens vorbei, bevor auch nur irgendetwas Sinn ergeben hat."

Alle Screenshots vom Autor (c) Numinous Games

Man schwebt wie in einem Terrence Malick-Film durch kleine liebevolle Familienmomente, Träume, Gleichnisse, Voicemails und sehr naturalistische Unterhaltungen—ohne Rücksicht auf Erzähl- oder Kameraperspektiven. Zeit und Raum sind auch egal, denn hier regieren Empathie, Hilflosigkeit und dazu kontrastierende Zen-Atmosphäre. Man fixiert die pixeligen Flip Flops des Polygon-Vaters und interpretiert sogar da Symbolik hinein.

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Die moderne Medizin wirkt Wunder und ist gleichzeitig diese unwirkliche Hölle, von der wir keine Ahnung haben, wie sie in ihren kalten, sterilen Abfertigungsprozessen überhaupt funktioniert. Und doch—ähnlich wie bei meinem Tamagotchi damals—glaub ich, dass meine willkürlichen Aktionen als Spieler moralisch richtig sind und dem Kind beziehungsweise der Familie helfen.

Ich steuere einen krebskranken Dreijährigen, der an ballonartig aufgeblasenen Krankenhaushandschuhen hängt, durch die großen dunklen Krebszellen-Disteln. Natürlich! Ich spiele eine Brotstücke pickende Ente. Sowieso! Und spätestens beim abstrakten Mariokart-Rennen auf der Krankenstation vorbei an deprimierender Patientenkunst wird klar, man kann hier nicht gewinnen—aber man verliert auch nicht. Es vergeht einfach nur Zeit.

Vielleicht sind diese Minigames nur als Aufrechterhaltung meiner Aufmerksamkeit gedacht—Instagram lockt schließlich ständig in all seiner Pracht. Man sollte sich bei der Geschichte dieses Spiels nicht ablenken lassen. Zugegeben, das Spiel schmeckt leicht esoterisch, aber der kleine gruselige Joel lässt schlussendlich die Sonne aufgehen.

That Dragon, Cancer ist weniger ein „Krebssimulator" als ein eingängiges Erleben, wie es wäre, ein Kind zu haben—also viel mehr Existenzialismus als Videospiel. Wären Sartre und Camus als Millenials geboren, würden sie dieses Spiel lieben.

50 von 100 Prozent, identisch mit der Wahrscheinlichkeit, dass ein Mensch an Krebs erkrankt.

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Publisher: Numinous Games
Plattform: PC, Mac, Ouya

NOT A HERO

Endlich ist die PS4-Version dieses abartig geilen Spiels erschienen. Not A Hero ist dafür gemacht, auf dem dicken Fernsehbildschirm erlebt zu werden, auch wenn Pixelgrafik auf meinem HD-Monster ein bisschen so aussieht wie „Dreh und Trink" beim Opernball. Egal—Controller, Couch und breite Sicht fühlen sich bei dieser Art von Zeittöter einfach unvergleichlich gut an.

Worum geht es eigentlich? Bunnylord will Bürgermeister werden. Er ist das Gegenteil von Batman, will der nichtmaskierten Konkurrenz die Existenzberechtigung entziehen—wenn möglich blutig—und gibt vor jeder einzelnen Mission die wohl unterhaltsamsten und motiviertesten PowerPoint-Präsentationen der Welt.

Man muss ihn einfach lieben und definitiv wählen—alleine für seine strenge Waffenpolitik. Seine Stimme klingt wie BB8 auf Schwammerl und vielleicht kann er gerade deshalb seine Wählerschaft so mühelos von jeder Schweinerei überzeugen.

So rutschen wir treu und ergeben durch Blutfontänen und exekutieren Russen bis Drogendealer—alles für unseren hervorragend organisierten, wenn auch leicht geisteskranken, Leitwolf mit den lila Hasenöhrchen.

Not A Hero hat typisch für Devolver eine lebensgefährlich steile Lernkurve. Innerhalb kürzester Zeit steuert man weirde Spieler-Charaktere wie „Bunnylord's Best Friend Steve", schottische Rednecks oder „Jesus" problemlos und wie geschmiert durch die geschickt verzwickt designten Spielwelten. Aber besser nicht auf's Nachladen vergessen! Dieses verdammte Nachladen.

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4 von 5 Einwilligungen, Bunnylord in Zukunft alle meine persönlichen Entscheidungen treffen zu lassen.

Publisher: Devolver Digital
Plattform: PS4, PC, Mac, Linux

NUCLEAR THRONE

Echt jetzt?! So leicht wäre Weihnachten zu retten gewesen—aber nein, wir mussten uns ja alle in Festtagsbratenreste und Blockbuster-Spiele wie Starcraft 2 oder Assassin's Creed: Syndicate verbeissen. Bei der nicht enden wollenden Spieleflut übersieht man schnell die coolen Ausreisser. In diesem Sinne bitte ich jeden, der das hier liest, Nuclear Throne noch eine Chance zu geben.

Die Menschheit ist tot und geschmolzene Freaks wollen die verstrahlten Überbleibsel der Zivilisation beherrschen. Das ist natürlich einzig und allein durch den perfekten Einsatz von Schuss- und Strahlenwaffen möglich—in Kombination mit der einen oder anderen praktischen Mutation.

Egal ob du lieber die Pflanze, der Kristallmann oder doch der Fischhybrid bist—du wirst sterben. Ich muss leider zugeben, dass die sich immer komplett neu generierenden Level mich zur Weißglut bringen. Ich bin schlecht in diesem Spiel, sehr schlecht. Und weil ich so schlecht bin, gebe ich Nuclear Throne wenige Punkte und meinen vollen Grant. So viel zu Fairness in der Postapokalypse. Ha!

2 von 5 scheiß-frustrierenden Momenten, in denen ich merke, dass ich schon wieder „Retry" gedrückt habe.

Publisher: Vlambeer
Plattform:_ _PS4, Xbox One, PS Vita, PC, Mac, Linux

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THE BUG BUTCHER

Die Alpenbrüder der österreichisch-schweizerischen Awfully Nice Studios haben wohl ein bisschen zu viel Pang gespielt und sich—völlig zurecht—gedacht: „Dieses vertikal ballernde Gameplay mit sich ewig zerstückelnden Gegnern MÜSSEN wir reanimieren!"

Mit verdammt sexy Artwork und schön schwierigen Levels haben sie den feuchten Amiga-Traum verwirklicht. Nervig waren nur der Bug—haha, get it?—bei der Anfangsanimation, die dann hängen blieb, sowie die Sprache der Protagonisten, die mich ein bisschen zu sehr an diese Arschloch-Minions erinnert. Aber wenn ich den subjektiven assoziativen Hass ignoriere, bleibt ein sauunterhaltsames Spiel, dessen endlos pumpender Elektro-Soundtrack fast so schön bumst wie der von Hotline Miami 2, aber eben nur fast.

3 von 5 anarchistischen Neuauflagen unter Dauerfeuer an die Decke.

Publisher: Awfully Nice Studios
Plattform: PC, Mac, Linux

Josef auf Twitter: @theZeffo