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Campus, Sex und Ravioli

Warum Studenten aus Luzern halb so viel Stipendien bekommen wie die aus dem Kanton Waadt

Ich habe die Initianten der Stipendieninitiative gefragt, ob ich ein egoistisches Arschloch bin.
Foto von David Shankbone

Das Studium in der Schweiz ist vergleichsweise hart. Jeder ETH- und UZH-Student, der sich ein Semester lang in Amsterdam, Helsinki oder irgendeiner anderen Erasmus-Stadt vier Mal die Woche unter Club-Tische gesoffen hat, weiss das. Ich habe vor meinem Master an der Uni Zürich drei Jahre lang in Wien studiert.

In der grossen Stadt an der Donau war die Uni-Welt eine andere als hier im grossen Dorf an der Limmat. Ich bestand Prüfungen mit der Bestnote, auf die ich keine Sekunde gelernt habe—und zwar nicht, weil ich ein zukünftiger Nobelpreisträger bin, sondern eher, weil ich auf dem richtigen Stapel abgegeben habe. Ich gab Seminararbeiten mit einer „Sorry! Sorry!! SORRY!!!"-Mail einen Tag nach der Deadline ab—und war im Pünktlichkeits-Ranking trotzdem auf den vorderen Plätzen. Und ich war dabei, als zehntausende Studenten mit Demo-Slogans wie „Reiche Eltern für alle!" durch die Strassen Wiens zogen und unter anderem die Abschaffung der Studiengebühren forderten.

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Als ich für meinen Master an die Uni Zürich kam, erlebte ich einen Mini-Kulturschock. Bei Prüfungen kann man tatsächlich durchfallen. Wer Deadlines verpasst, ist wirklich tot. Und für die politische Studentenvertretung VSUZH interessiert sich niemand—ausser sie organisiert ein Bachelor-Public Viewing.

Vor ein paar Tagen stolperte ich wieder über diesen kulturellen Unterschied. Ich habe einen Text darüber geschrieben, wie ich während meinen acht Jahren als Soziologie-Student 52.368 Franken Schulden angehäuft habe. Einige dankten mir, dass ich ihre Ängste in Worte verpackt habe. Andere fanden meinen Text unter aller Sau und schmeissen mir bei der nächsten Begegnung wahrscheinlich ein liebevolles „ASOZIALER SCHMAROTZER!!!" an den Kopf.

Zur Verfügung gestellt von Stipendieninitiative.ch

Das ist in Ordnung. Gehen wir aber einen Schritt zurück und lassen die Interpretationen weg, die das „Danke!" vom „Arschloch!" trennen, bleibt ein einziger Fakt übrig: Ich bin ein Typ, der sein Studium nicht mit Papas Kreditkarte finanzieren konnte.

Fast jeder Zehnte der 233.517 Studenten in den Hörsälen der Unis, PHs und FHs der Schweiz ist in der gleichen Situation—und bezieht Stipendien. Wer wie viel Stipendien bekommt, entscheidet der Wohnkanton der Eltern. Das führt zu grossen Unterschieden: St. Gallen unterstützt jeden 770. Einwohner mit knapp 5.900 Franken pro Jahr; die Waadt jeden 370. mit 12.000 Franken.

Dieses Video zeigt: In Wien verbringen Studenten ihre Freizeit am Hanfwandertag. Gibt es bei uns keinen Hanfwandertag, weil die Studenten zu viel zu tun haben?

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Das ist unfair, finden die Leute vom Verband der Schweizer Studierendenschaften VSS. Sie fordern mit der Stipendieninitiative, dass Studenten überall gleich stark unterstützt werden und dass ein Stipendium mit 24.000 Franken pro Jahr den minimalen Lebensstandard deckt. So wollen sie verhindern, dass die Entscheidung für oder gegen ein Studium vom Bankkonto der Eltern abhängig gemacht wird. Damit wir wieder Freunde sein können und ich mich nicht wieder über die direkte Demokratie aufregen muss, habe ich Luisa Jakob vom VSS ein paar Fragen gestellt:

VICE: Ihr wollt die ungleichen Regeln zwischen den Kantonen abschaffen und das Stipendienwesen dem Bund überlassen. Was habt ihr gegen den Föderalismus?
Luisa: Die Schulhoheit wird nicht angetastet und der Vollzug bleibt auch weiterhin bei den Kantonen. Es geht einfach darum, die Stipendien den wirklichen Bedürfnissen anzupassen. Da es gerade in den höheren Ausbildungen häufig notwendig ist, dass man sich zum Studienort hin bewegt, ist es wichtig, dass ein Stipendium nach dem wirklichen Bedarf und nicht nach dem Wohnkanton der Eltern ausbezahlt wird. Darum ist diese Harmonisierung notwendig.Ihr sprecht gleichzeitig vom freien Zugang zur Bildung und davon, dass ein Stipendium den minimalen Lebensstandard decken muss.

Foto von francois schnell; Flickr; CC BY 2.0

Heisst freier Zugang zu Bildung für euch Leben am Minimum?
Ein Stipendium gibt es nur dann, wenn man von der eigenen Erwerbstätigkeit und dem Elternbeitrag nicht leben kann. In solchen Fällen soll das Stipendium diese Lücke füllen. Es soll gewährleistet sein, dass alle mindestens das Notwendigste zum Leben haben.

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Mein Studium brachte mir einen Schulden von 52.368 Franken. Wäre eine solche Situation bei Annahme der Initiative noch möglich?
Es besteht zur Zeit ein politischer Konsens darüber, dass den Stipendien gegenüber den Darlehen Vorzug zu leisten ist. Dazu steht auch die Schweizerische Konferenz der kantonalen Erziehungsdirektoren EDK. Dies hat klare Gründe: Man kann als Staat nicht einerseits Kampagnen gegen die Jugendverschuldung durchführen und gleichzeitig eine Verschuldung dieser für eine Ausbildung verlangen. Zudem zahlen sich Bildungsinvestition schliesslich auch laut OECD dreifach aus.

Finanziell werfe ich als Soziologie-Student nach meinem Studium weniger ab als ein BWL- oder JUS-Student. Habe ich trotzdem die gleiche staatliche Unterstützung verdient?
Es gilt der Grundsatz der freien Studienwahl. Das hat auch Bundesrat Schneider-Ammann in der Arena nochmals betont. Der finanzielle Hintergrund einer Person soll nicht darüber entscheiden, was sie studieren darf. Zudem bieten gut ausgebildete Fachkräfte der Gesellschaft einen Mehrwert. Denn auch die OECD sagt, dass sich Bildungsinvestitionen, unabhängig von der Studienrichtung, dreifach auszahlen.

Sebastian auf Twitter: @nitesabes

Vice Switzerland auf Twitter: @ViceSwitzerland


Titelbild von David Shankbone; Flickr; CC BY 3.0