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Herbst ist der allergrößte Scheiß

Wo andere Menschen ein nachdenkliches Instagram-Foto mit Pumpkin-Chai-Latte sehen, sehe ich Kälte und Antibiotika.
Holger Motzkau | flickr.com | CC BY-SA 2.0

Ich bin einer dieser Menschen, die gerne jemanden für das Wetter verantwortlich machen würden. Dann könnte ich jeden Tag mehrmals bei der Person anrufen und ähnliche Beschwerden einreichen, wie der berühmte Hohe Warte-Anrufer. Ich würde nur, anders als der berühmte Anrufer, den Sommer in Frieden lassen. Die Jahreszeit, die mir wirklich aggressive und depressive Zustände beschert, ist der Herbst.

Mein Instagram-Feed schaut momentan so aus: Selfie, Foto von Herbstblättern, Herbstspaziergang-Foto, Selfie, Foto von einer Tasse an einem verregnetem Fenster, eine bezahlte Anzeige und ein herbstliches Selfie mit einer Mütze. Mein Facebook-Feed, sonst immer ganz vorne in Sachen Wetter-Status, ist plötzlich beachtlich ruhig und nimmt die Wetterlage hin. Was auf Twitter abgeht, habe ich sowieso nie verstanden.

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Ich möchte kurz auf meinen Instagram-Feed eingehen. Herbstblätter sind schön farbig, das haben wir schon in der Volksschule herausgefunden. In der Unterstufe haben wir dann hoffentlich endgültig gelernt, dass sie farbig sind, weil sie sterben. Wenn das nicht schon alles über den Herbst aussagt, dann sagt es zumindest etwas über die Ignoranz von uns Menschen gegenüber der Brutalität der Natur aus.

Das eine Thema, das sich durch den ganzen Herbst zieht, ist also der Tod. Alles was draußen gelebt hat, stirbt oder legt sich schlafen. Die gute Laune der Gesamtbevölkerung zum Beispiel. Unser aller Leben lässt aber nicht zu, dass wir unsere Herbstdepression schlafend im Bett durchstehen und uns auf die Art voreinander schützen. Deshalb stehe ich jeden Morgen gemeinsam mit der Dunkelheit und der sozialen und wetterlichen Kälte auf. Dann schaue ich vorsichtig durch das Fenster und bete, dass es nicht regnet oder sogar stürmt.

Die herbstlichen Monate sind nämlich wie der April, nur in einer ganz anderen Temperatur-Spanne. Im Herbst kann alles zwischen –15 Grad und +15 Grad passieren. Im Repertoire hat der Herbst die Wetterlagen: Regen, Nieselregen, Graupel, Sturm und Grad-Nicht-Regen. Regen ist in der Stadt übrigens genauso schön wie Schnee, nur dass er auch einen Geruch hat. Ich würde diesen Geruch mit "verwesend" beschreiben. Was auch Sinn macht, wenn man die vielen toten Blätter am Boden sieht. Ich habe mal gehört, dass der Geruch aus der Mischung von Wasser, Luftbläschen und Hundepisse entsteht—was sich mit einer schnellen Netzrecherche nicht belegen lässt, aber einiges über unsere Vorstellung aussagt.

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Screenshot: Green Day - Boulevard of Broken Dreams

Wo jemand ein cooles Herbstspaziergang-Foto sieht, sehe ich den klebenden Schweiß unter dem coolen Zwiebel-Look. Menschen die sich über Mützen und Schals freuen, verstehe ich sowieso nicht. Das sind doch Güter, die man mehrmals in einer Saison kaufen muss, weil man sie die ganze Zeit verliert, genau wie Regenschirme.

Und da, wo Menschen ein deepes Instagram-Foto mit einem Pumpkin Chai Latte am Fenster sehen, sehe ich eine kalte Scheibe und Antibiotika. Wenn man nicht gerade ein sportlicher Quinoa-Esser ist, wird man garantiert krank. Der körperliche Einbruch kommt mit dem Wetterumschwung wie das Amen im Gebet: Die Grippe-Wellen, die Hustenanfälle die man selbst hat, oder sich zumindest überall anhören kann. Genauso wie die Wartezeiten beim Arzt. Die Apotheken lieben Herbst. Wollt ihr wie Apotheken sein?

Generell kostet der Herbst sehr viel Geld. Auch, weil man sich nicht mehr so unkompliziert draußen trifft und zusammen in der Wiese sitzt, sondern stattdessen in ein Lokal gehen muss. Oder seine fade Wohnung bereit stellt, die nicht nur beheizt, sondern auch mit Essen und Trinken gefüllt werden muss.

Neben Konto und Körper reagiert aber auch die Seele empfindlich auf die Zeit des Todes. Die fehlenden Sonnen-Vitamine äußern sich bei fragilen Geschöpfen wie mir in depressiven Verstimmungen. Egal wie cool der Single-Sommer war, der Herbst holt dich auf dem Boden der alleinstehenden Tatsachen zurück.

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Anders als bei Dingen, die exklusiv für den Sommer oder Winter reserviert sind, hat der Herbst einfach keine herausragenden Eigenschaften—außer vielleicht Halloween.

Die Seele leidet, der Körper frisst. Er hat irrational viel Hunger, weil er spürt, dass der karge, depressive Winter kommt. Und er nimmt zu. Gewichtszunahme ist in keiner Jahreszeit förderlich für die Laune. Geht doch scheißen mit dem "Man sieht's zumindest nicht"-Argument. Man sieht es spätestens beim Sexualakt. Alle, die nicht in einer Beziehung sind, in der man auch voreinander aufs Klo geht, leiden darunter.

Nicht mal die Listen, die hippe Pinterest-Girls posten, um unseren trägen Gedanken auf die Sprünge zu helfen, ändern irgendwas daran. Ich verrate euch jetzt ein Geheimnis: Die Dinge, die man im Herbst machen kann, kann man immer machen. Alle davon. Anders als bei Dingen, die exklusiv für den Sommer oder Winter reserviert sind, hat der Herbst einfach keine herausragenden Eigenschaften—außer vielleicht Halloween. Aber dazu gibt's am anderen Ende des Jahres ja zum Beispiel Fasching.

Im Herbst fangen auch Schulen, Unis und in fast allen Branchen arbeitsintensive Phasen an. Wenn der Chef das erste Mal motivierend vor dir steht und dir eintrichtert, dass man vor dem Weichnachts-Chill noch Gas geben muss, während man versucht eine ausbrechende Grippe und/oder Depression mit einem ekelhaften Heißgetränk zu unterbinden, dann hat der Herbst in voller Blüte begonnen.

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Das Allerbeste: Nach dem wechselhaften Frühling kommt der Sommer. Nach dem Herbst kommt einfach noch mal der Herbst—und am Ende die Weltuntergangsjahreszeit Winter, die wie Herbst ist, nur noch kälter und noch dunkler, aber dafür immerhin mit mehr Feiertagen..)

Verdammt, ich koch euch allen höchstpersönlich einen Kakao im August, wenn ich mir dafür den Oktober sparen kann. Und die Leute, die sich darüber freuen, dass sie endlich mehr daheim sind und ohne schlechtes Gewissen Serien schauen können: In welcher Jahreszeit habt ihr denn alle Stranger Things gebingt? Im Herbst? Ich denke nicht.

Fredi auf Twitter: @schla_wienerin


Titelbild: Holger Motzkau | flickr.com | CC BY-SA 2.0