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Was ich als Vegetarier an Vegetariern hasse

Vegetarier sind die besseren Menschen—aber auch die nervenaufreibenderen.
VICE Media

Als Vegetarier hast du es nicht leicht. Mit der Entscheidung, auf Köstlichkeiten wie Salami oder Döner aus der Büchse zu verzichten, erklärst du dich freiwillig zum Teil einer Minderheit. Und Teil einer Minderheit zu sein, bedeutet auch, 2015 immer noch—im besseren Fall—Teil von schlechten Witzen und—im schlechteren Fall—Teil von Diskriminierungen zu sein.

Ich habe vor acht oder neun Jahren nach einer Doku, in der gefühlt alle männlichen Küken der Welt einem Schredder übergeben wurden und nach einigen noch blutigeren YouTube-Videos beschlossen, ein besserer Mensch zu werden. In diesen Jahren voller „Ja, ich esse deinem Essen das Essen weg … " und „Ich weiss nicht, ob ich Fleisch essen würde, wenn ich sonst sterben würde," habe ich nicht nur so einiges über Nicht-Vegetarier, sondern auch sehr viel über meine Leidensgenossen gelernt.

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Nicht jeder Vegetarier ist dein BFF

Nur etwa jeder vierzigste Mensch in der Schweiz ist Vegetarier. Das bedeutet: Wenn du nicht in der Garderobe eines Vegi-Restaurants, hinter der Theke eines Öko-Bio-Fairtrade-Shops oder unter den Matten einer Yoga-Schule lebst, triffst du selten auf Artgenossen.

Passiert es trotzdem mal, schiessen die Mundwinkel des Gegenübers—begleitet von einem „DU bist auch Vegetarier?!"—schnell mal nach oben. Ich erlebe immer wieder, dass andere Vegetarier unsere gemeinsame Minderheiten-Zugehörigkeit als Zeichen unendlicher Verbundenheit deuten. Ich muss sie aber jeweils enttäuschen: Nur weil wir beide Vegetarier sind, sind wir keine BFFs. Das ist nur eines der Tausenden Merkmale, die dich und mich ausmachen—nicht unbedingt eine gute Grundlage für gemeinsame Ausflüge in den Europa Park. Ich schmeisse mich schliesslich auch nicht freudekreischend anderen Menschen um den Hals, nur weil sie aus demselben Kaff stammen wie ich.

Die Esoterik-Attitüde

Foto von Jakob Lawitzki | Flickr | CC BY 2.0

In der Realität der 1960er-Jahre und jener von Hinterpfupfingen gilt noch immer die Gleichung Vegetarier = Hippie. Ich überfordere diese Leute gerne mal mit meinem Junk Food-Lifestyle—aber nicht nur sie. Auch Vegetarier kommen oftmals nicht darauf klar, dass Aufback-Margherita, Mikrowellen-Curry und die Grundnahrungsmittel Mayo und Ketchup die solide Basis meiner Lebensmittelpyramide bilden. Wenn ich meinen Mitbewohnern nicht ab und an mal ein paar Mandarinen klauen würde, wäre mein Vitamin-Haushalt wohl eher eine leerstehende Vitamin-Bruchbude.

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Meine Vegi-Kollegen ticken oft anders. Sie lieben Monologe über die neusten Rezepte mit den Hauptzutaten Körnchen und Samen, die ihre Energy erst im richtigen Vibe flowen lassen—oder andere Dinge, die mich mindestens so wenig interessieren wie die dritte kasachische Fussballliga. Störe ich ihren Energy-Körnchen-Monolog mit einem Junk Food-Einwurf, stocken sie nur kurz, schliessen ihren Mund für eine halbe Sekunde, und brabbeln weiter. Wie Cartman schon so weise gesagt hat: „Hippies, Hippies everywhere—they wanna save the earth, but all they do is smoke pot and smell bad."

„Aber Fisch esse ich"

Foto von shankar s. | Flickr | CC BY 2.0

Jeder hat seinen eigenen Grund, wieso er oder sie ein Leben ohne Besuch an der Fleischtheke führt. Manche tun es wegen den herzigen Tierchen, manche wegen der armen Umwelt, manche einfach wegen dem Geschmack—und manche weichen einfach auf die Fischtheke aus.

Das ist ziemlich absurd. Wie kannst du ein super guter Mensch sein wollen, der den Artgenossen seiner wahren Liebe—Pferd Romy—nie, nie, nie etwas antun könnte, weil die ja so süss und lieb sind aber gleichzeitig Nemo in eine Pfanne hauen und verschlingen? Im Grunde bist du nicht mal Vegetarier. Nicht mal ansatzweise. Ein Mensch, der nur Zigarillos aber keine Zigaretten raucht, ist schliesslich auch kein Nichtraucher.

Die Urban Yoga-Vegetarier

Es ist ja schön, dass Menschen auf die helle Seite der Macht wechseln. Damit habe ich kein Problem. Wäre das ganze nicht wie Urban Yoga: ein Trend. Urban Yoga machen in meiner Welt Menschen, die so oder so Yoga machen, denen Yoga allein aber zu wenig hip ist. Sie brauchen das richtige Image.

Dasselbe gilt für die Urban Yoga-Vegetarier. Sie sind nicht aus einem der tausenden triftigen Gründe Vegetarier—sondern weil es gerade Trend ist. Sie wollen die Welt (der Tiere) retten—aber nur solange, bis es auf Instagram wieder mehr Likes gibt, wenn man seine Beisserchen in blutige Steaks rammt.

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Vegetarier sein ist kein Gutmenschen-Battle

Foto von taylorandyumi | Wikimedia | CC BY 2.0

Es gibt diesen ziemlich dummen Witz: Woran erkennst du einen Veganer? Du musst nur abwarten, er sagt's dir selbst. Der Witz—sofern solche Humorleichen diesen Namen wirklich verdienen—ist einerseits total bescheuert. Logisch sprichst du Dinge, die vieles in deinem Leben beeinflussen, schneller an. Und doch trägt er im Kern eben auch ein Fünkchen Wahrheit—und lässt sich auch auf Vegetarier ummünzen.

Einige Vegetarier reiben dir bei jeder Gelegenheit unter die Nase, wie viel besser sie im Menschsein performen als du. Auch ich mache das, wenn du mit beschissenen „Du isst meinem Essen das Essen weg"-Sprüchen kommst. Oder wirklich über ethische Fragen diskutieren willst—nicht tot ist schliesslich meistens wirklich besser als tot.

Aber Vegetarier, die mich abschätzig anschauen, weil mir mein Grillkäse auch schmeckt, wenn er zuvor böse Cervelat-Sporen auf dem Grillrost geknutscht hat, kann ich nicht ernst nehmen. Du bist ethisch nicht überlegen, weil du dich als Streber unter den Gutmenschen aufspielst—wir sind letzten Endes ja immer noch im gleichen Team.

Sebastian isst auch auf Twitter fleischlos: @nitesabes

VICE Schweiz sitzt auch am Tisch: @ViceSwitzerland