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Popkultur

Das Gute und das Schlechte an der neuen Amy-Winehouse-Doku

Asif Kapadias Doku ‚Amy' ist eine geniale Erinnerung daran, warum wir uns in die beste moderne Jazzsängerin des Pop verliebt haben, doch erzählt sie eine verzerrte Geschichte über den Tod der 27-Jährigen?

Alle Bilder aus dem Film

Asif Kapadias fünfter abendfüllender Film handelt von Amy Winehouse und ist ein zweischneidiges Schwert. Amy verfolgt Winehouse' kometenhaften Aufstieg und frühzeitigen Tod, und der Film zeigt nur einmal mehr, wie und warum die Sängerin und Songschreiberin aus dem Londoner Stadtteil Camden dir die Nackenhaare aufstellen konnte, während du dich trotzdem fühltest wie eine besorgte Mutter, die darauf wartet, dass ihr Kind nachts heimkommt. Doch der Film selbst schafft das nicht, nur vier Jahre nach Winehouses Tod wegen Alkoholvergiftung im Alter von 27, ohne eines derselben Dinge heraufzubeschwören, die zu ihrem Verfall beigetragen haben: die unablässige voyeuristische Aufzeichnung ihres Lebens.

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Für Regisseur Kapadia ist die Dokumentation nach seinem Filmhit von 2010, Senna, eine Rückkehr in vertraute Gefilde. Auch dieser Film handelte von einem Leben, das in einem gefährlichen Beruf ein jähes Ende nahm, denn er folgt Ayrton Sennas jahrzehntelanger Formel-1-Karriere, von seinem Debut 1984 bis zu seiner tödlichen Kollision mit einer Wand beim San Marino Grand Prix 2010.

Wie auch Kapadias Vorgängerwerk besteht Amy hauptsächlich aus Archivaufnahmen, Fotos und bisher ungesehenen Heimvideoausschnitten. Es gibt zwar Audio-Einspielungen von Musikern, die mit ihr zusammengearbeitet haben, engen Freunden und Freundinnen sowie Familienmitgliedern, doch allgemein sieht der Film vom traditionellen Fokus auf dieses Mittel ab. Das bedeutet, dass die Bilder sich vor deinen Augen entfalten, als würden sie sich in der Jetztzeit zutragen, nur dass das beklemmende Gespenst ihres Todes über allem hängt, weil die Befragten von ihr in der Vergangenheit sprechen. Es wirkt wie eine seltsame Kommentarspur, die über einem Gedenkfilm abgespielt wird, und das macht das Ganze erst recht unheimlich.

In den anfänglichen Szenen trifft uns Winehouse' Liebenswürdigkeit, Bescheidenheit und mitreißende Energie tief ins Herz. Wir sehen sie erst als Teenager, wie sie Marilyn Monroe mit einer Version von „ Happy Birthday" heraufbeschwört. Bald darauf singt sie „Moon River", wobei sie nicht nur ihre Reife, sondern auch ihre Verspieltheit demonstriert. Nick Gatfield von Island Records erinnert sich daran, wie sie das erste Mal für ihn sang, bevor er sie unter Vertrag nahm: „Sie kam rein und war eine Naturgewalt … Sie war eine alte Seele in einem sehr jungen Körper. Wir haben den Vertrag sehr schnell abgeschlossen." Die beste Szene ist allerdings der Ausschnitt aus einem Heimvideo in einer Urlaubsvilla auf Mallorca, in dem sie mit einem falschen spanischen Akzent spricht.

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Winehouse' bescheidenes Wesen gewinnt durch ihre häufig spürbare Allergie gegen Medienklischees eine zusätzliche Dimension. In einem Clip, in dem eine Interviewerin versucht, eine Parallele zwischen ihrer Lebensgeschichte und der der Sängerin Dido zu ziehen, lässt sie die Interviewerin weiterreden und täuscht Aufrichtigkeit vor, lange nachdem ihr Gesichtsausdruck bereits das Gefühlsspektrum von Gleichgültigkeit zu Überdruss durchlaufen hat. Tatsächlich zeigt Kapadia, dass die Musikerin sich der Gefahren des Ruhms schon früh zutiefst bewusst war. „Ich glaube nicht, dass ich damit umgehen könnte", sagt sie in einem Interview auf die Frage nach dem Dasein als Star. „Ich glaube, ich würde verrückt werden".

Später bemerkt Winehouse in Antwort auf die zunehmende Medienaufmerksamkeit: „Je mehr sie von mir sehen, desto mehr wird ihnen aufgehen, dass ich nur zum Musikmachen tauge … Lasst mich einfach in Ruhe. Solche Zeilen werden im Film nur noch tragischer, weil Kapadia sie über Fotos von Paparazzi legt, die sie zu diesem Zeitpunkt bereits aktiv in ihrem Privatleben belästigten, da ihr Name zum Synonym für die Clubszene von Camden geworden war. Aufnahmen, die zeigen, wie sie im nicht abreißenden Blitzlichtgewitter in Autos flüchtet, sind besonders schwer zu verkraften, wenn man weiß, was noch folgt.

„Eine Jazzkünstlerin mit einem Publikum von 50.000 Menschen", sagt Tony Bennett, der Musikerveteran, mit dem Winehouse 2012 posthum einen Grammy für das Duett „Body and Soul" gewann. Es ist die Stelle, die sie beim Aufnehmen dieses Songs mit Bennett, einem ihrer größten Vorbilder, zeigt, die das volle Ausmaß ihrer Bescheidenheit verdeutlicht: Winehouse wollte nichts lieber, als Musik zu machen, und zu sehen, wie ein Kollege aus der Musikbranche sie so nervös macht, ist herzerweichend.

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Es ist ein Teufelskreis: Misstrauisch gegenüber dem Ruhm flüchtete sich Winehouse in die Exzesse eines Rockstarlebens—derselbe Lebensstil, der sie auch vor der Hilfe abschirmte, die sie so dringend benötigte. Wo waren ihre Unterstützer? Wie Drogenberater Chip Somers im Film bemerkt, werden Wahrnehmungen verzerrt, sobald Geld und Erwartungen im Spiel sind. Das könnte vielleicht ein Stück weit das scheinbar habgierige Verhalten erklären, das Winehouse' Vertraute in ihren letzten Jahren an den Tag legten—doch es erklärt es nicht vollständig, denn es gibt keinen Grund, warum Geld und Ruhm an sich so schädlich sein sollten.

Doch etwa zur Hälfte des Films befindet sich Winehouse bereits kurz vor einem Comeback, nachdem sie aufgrund ihrer Drogen- und Alkoholsucht mehrere Aufenthalte in Entzugskliniken hinter sich hat. Freunde und Familienmitglieder bemerken, dass ein großer Auslöser hierfür der Tod ihrer Großmutter 2006 war, doch Kapadia spannt den Bogen weiter und zeigt Aufnahmen und Aussagen, die auf die Depressionen der Sängerin eingehen („Ich glaube nicht, dass ich wusste, was Depressionen sind—ich dachte, es ist einfach ein Musikerding.") sowie auf ihre lähmenden Ängste, die sie anfällig für missbräuchliche Beziehungen und selbstzerstörerisches Verhalten machten.

Kapadia präsentiert diesen Flickenteppich aus Zeugenaussagen, ohne selbst explizit zu intervenieren, wodurch sich ein fadenscheiniger Schleier der Objektivität über diesen hochgradig konstruierten Film legt. Doch einige der Entscheidungen des Regisseurs offenbaren eine spekulative Einstellung anstelle einer ernsthaft investigativen. Obwohl es keine leichte Aufgabe ist, die Masse an audiovisuellem Material, die er bei seiner Recherche zutage gefördert hat, in einer nahtlose Montage zusammenzubringen, verwechselt Kapadias Film stellenweise die chronologische Präsentation von Ereignissen mit einer umfassenden Erklärung für diese Ereignisse, und das ist einer seiner großen Mängel.

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Allerdings ist es der Teil, der sich mit Blake Fielder-Civil—Winehouse' Ehemann von 2007 bis 2009 (der seitdem zugegeben hat, ihr das erste Mal Heroin gegeben zu haben)—beschäftigt, der Amy wirklich verstörend macht. Auf seltsam aufdringliche und wissende Art spielt Kapadia wiederholt Clips, in denen Fielder-Civil vorkommt, langsamer ab und unterlegt sie mit gruseliger Drone-Musik, die böse Absichten nahelegt. Es ist in der Tat bedrohlich, aber es ist auch vorhersehbar—und indem er rückwirkend Bedeutung injiziert, verwandelt Kapadia die Aufnahmen in Beweismaterial für einen unausweichlichen Tod.

NOISEY: Rest in peace, Amy. Wir gedenken ihr mit einigen Lieblingsauftritten.

Aussagen von Juliette Ashby, einer von Amy Winehouse' engen Freundinnen, sind auch besonders schmerzlich, nicht nur, weil sie mehrmals den Tränen nah ist, sondern weil Kapadia ihren hörbaren Kummer über die Behandlung, die Winehouse durch ihren eigenen Vater, Mitch Winehouse, zuteil wurde, letztendlich nicht die gebührende Aufmerksamkeit schenkt.

Zwar widmet Kapadia eine Sequenz Winehouse' Urlaub in St. Lucia 2009, der unterbrochen wurde, als ihr Vater mit seinem eigenen Filmteam für eine Realityshow aus seiner Perspektive dort auftauchte, doch die vom Regisseur gewählte Struktur hält ihn davon ab, Mitch Winehouse weiter zu hinterfragen. Und so hören wir vielleicht die komplexe Mischung aus Schuldgefühl und Pein, die in Ashbys zitternder Stimme mitschwingt, doch Mitch kommt im schlimmsten Fall nur als egoistischer Parasit und im besten Fall wie ein überraschend berühmter Taxifahrer rüber, der versucht (und kläglich dabei scheitert), mit denselben rücksichtslosen Medien umzugehen, die seiner Tochter zusetzen.

Wenn Kapadia mehr Zeit auf Mitch Winehouse verwendet hätte und auch auf den Manager seiner Tochter, Raye Cosbert—dem man sicherlich ein Stück Verantwortung dafür geben kann, dass er die Sängerin an dem Abend, an dem sie nur Wochen vor ihrem Tod in Belgrad von der Bühne gebuht wurde, auch nur in die Nähe eines Auftritts ließ—, hätte es den Regisseur vielleicht zu einer gerechteren Einschätzung geführt. Dasselbe gilt für Fielder-Civil, dessen ausgewählte Präsenz in Videoaufnahmen ihn in etwa so schlechtem Licht erscheinen lässt wie sein Auftritt in der Jeremy Kyle Show 2013, ohne uns dabei mehr Einblick zu geben.

Ob absichtlich oder nicht, Amy beteiligt sich an dem schlimmsten Verbrechen der Medien: Winehouse' Geschichte wurde in eine Erzählung gepackt und hochgeputscht, man spekulierte über sie und machte sie berüchtigt. Indem der Film das Leben der Künstlerin auf eine Reihe Filmclips reduziert, die Beweise zur Erklärung ihres Todes liefern sollen, macht er ihr sie zu genau dem, was sie nicht sein wollte: ein 0815-Rockstar. Aufnahmen von Frankie Boyle und Jay Leno, die Witze auf ihre Kosten rissen, als sie an ihrem persönlichen Tiefpunkt war, erinnern uns daran, dass die meisten Perspektiven auf ihr Leben—wie auch in gewisser Weise diese hier—ihre Schwäche und ihre Probleme mit derselben Leichtfertigkeit ausgeschlachtet haben, mit der sie später (unter Krokodilstränen) ihren Tod als schockierende Tragödie verkauften.

Positiv gesehen stellt Amy eine zweistündige Zusammenfassung der Karriere der Sängerin dar. Als Übersicht ihres herausragenden, originellen Talents ist die Doku nicht ohne Wert. Und trotz aller Unzulänglichkeiten des Films bleiben ja noch die Aufnahmen von Winehouse selbst: charmant und schön, berauschend und unergründlich, unerreichbar und genial.