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Popkultur

"Rrroooooberrrt", Alltagsrassismus und undankbare Kinder: Die Geissens auf Youtube

"Wir haben nur die Boxen bei Rolex geholt und die Uhren beim Extrempigmentierten vom Strand", sagt Carmen Geiss.
Screenshot aus "Shania bekommt ihr Geburtstagsgeschenk" | YouTube

Ihr kennt das. Oder kanntet es, als ihr noch einen Facebook-Account hattet: Ihr scrollt durch den Feed, vorbei an Werbung für Bodyshaping-Unterwäsche, von der ihr euch persönlich beleidigt fühlt, weil ihr wisst, dass die Datenkrake euch sehr gut kennt. Vorbei an Selfies und Tierfotos und geposteten Songtexten, mit denen eine Person aus eurem Bekanntenkreis einem ihrer Kontakte mitteilen möchte, dass sie total über ihn hinweg ist. Und dann zieht sich plötzlich alles in euch zusammen. Jemand aus eurer Verwandtschaft hat verwackelte Fotos aus dem heimischen Garten hochgeladen, an deren unterem Rand aufgequollene Füße in paillettenbesetzten Deichmann-Sandaletten zu sehen sind, und sich in den Kommentaren über unerfindliche Umwege in eine Diskussion über die deutsche Asylpolitik verwickeln lassen, in deren Rahmen "Ich habe ja nichts gegen Ausländer, aber …" fiel.

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Ungefähr so fühlt es sich an, wenn ihr zum ersten Mal auf den neuen YouTube-Kanal der Geissens stoßt.

Wir erinnern uns, die Kardashians des deutschen Trash-TV geben seit Jahren auf RTL2 Einblicke in ihr Privatleben und werfen immer wieder aufs Neue die Frage auf, mit wie viel prolligem Schmuck man sich und seine Liebsten behängen kann, bevor einem das Genick bricht. (Nach bisherigen Erkenntnissen: unendlich viel. Es kann allerdings nicht ausgeschlossen werden, dass sich Familienoberhaupt Robert Geiss zu diesem Zweck eine Platinplatte in den sonnenverbrannten Nacken hat einsetzen lassen.)


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Mittlerweile haben "Rrroooooberrrt" und seine Carmen allerdings auch die sozialen Netzwerke für sich entdeckt und verbreiten ihren unvergleichlichen Charme – der irgendwo zwischen Luxus-Lederhandtasche und fremdenfeindlichem Autoscooter-Ansager changiert – auf Instagram, Facebook und – endlich! – auch YouTube.

25 Videos hat die vierköpfige Familie in den letzten vier Monaten hochgeladen, darunter gleich mehrere Versuche Carmens, so etwas wie eine Musikkarriere in Gang zu bringen. Faszinierend ist dabei, in wie vielen verschiedenen Genres sie spektakulär scheitert. Sei es nun mit familienfreundlichen Weihnachtsliedern (hochgeladen Anfang Juli), dramatischen Liebesballaden mit Ausdruckstanz oder einem Sommerhit mit obligatorischem Reggae-Rap-Part (Wobei die rappende Person im Video nicht zu sehen ist. Vielleicht ist er mittlerweile in einem Zeugenschutzprogramm).

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Deutlich interessanter sind die Videos, in denen die Geissens versuchen, klassische YouTube-Erfolgsformate zu kopieren. So gibt es zum Beispiel ein "Reaction"-Video, in dem Robert, Carmen und die beiden Töchter Shania und Davina im bedrückend eingerichteten Heimkino sitzen und sich darüber totlachen, wie sie von der Satire-Sendung Switch Reloaded verarscht werden. Videos wie "Public Viewing bei Lukas Podolski" (die Geissens besuchen ein öffentliches Event und dürfen den Ex-Nationalspieler umarmen) oder "Robert muss zum Zahnarzt" lassen sich im weitesten Sinne als "Vlogs" kategorisieren, nur ohne jeden dramaturgischen Aufbau. Scheinbar willkürlich wird die Kamera auf isolierte Situationen gehalten, die in sich weder sonderlich spannend sind, noch von irgendeinem größeren Narrativ eingerahmt werden.

Es scheint, als würde bei den Geissens der Eindruck vorherrschen, dass YouTube eine Art Gegenentwurf zum klassischen Fernsehen ist, und somit auch kein Storytelling benötigt. Einfach mal draufhalten und ein bisschen mit der Kamera wackeln, einfach mal betrunken ins Bild lallen, da fühlt es sich doch wirklich an, als wäre man hautnah dabei. Internet! So echt! So unverfälscht!

Nur: So funktioniert es eben nicht. Wenn junge Menschen unkoordiniert wirkende und verwackelte Aufnahmen sehr unspannender Alltagsaufnahmen sehen wollen, gucken sie die Videos, die ihnen ihre Eltern in der Familien-WhatsApp-Gruppe schicken. Knapp 60.000 Abonnenten haben die Geissens auf YouTube, der Großteil ihrer Videos zählt weniger als 100.000 Aufrufe. Das mag für den Kanal einer internetaffinen Bäckerfamilie aus Bottrop, die sich im Internet ein bisschen ausprobieren will, als Erfolg gelten. Aber für die vielleicht bekanntesten Gesichter des deutschen Trash-TVs doch nicht. Oder?

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Möglicherweise haben sich die Unternehmer auch deshalb entschieden, für ihre neuen Videos einen etwas anderen Weg einzuschlagen. Weniger "Guckt, unser neuer Jeep! Und unsere Yacht! Und unsere Freunde in St. Tropez, die nicht nur die gleichen Haare und Zähne haben wie wir, sondern auch dieselbe Hautstruktur, weswegen es unmöglich ist, uns bei Aufnahmen im Gegenlicht auseinanderzuhalten!", mehr Bloßstellen des eigenen Nachwuchses. Aufreger-Videos, irgendwas, worüber die Bild oder Focus Online im Nachgang genüsslich schreiben kann: "Aufregung um Luxus-Rolex zum Geburtstag". Diese schlimmen Neureichen!

Fast 900.000 Views hat das Video "Shania bekommt ihr Geburtstagsgeschenk", in dem Carmen und Robert ihrer jüngsten Tochter ausgerechnet die Uhr überreichen, die sich die ältere, Davina, gewünscht hatte. Davina schmollt und spielt das verzogene Balg, es kommt zu einem kurzen Konflikt, in dem Familienvater Robert beweisen kann, dass ihm Bodenständigkeit trotz allem Luxus wichtig ist, und anschließend wird dann doch noch schön gefeiert. An einer Geburtstagstafel, die mit paillettenbesetzten Totenköpfen und einem Scharfschützengewehr dekoriert ist.

Die Auflösung folgt, nachdem den Personen in den Kommentarspalten genug Zeit blieb, um sich mal so richtig über das "undankbare Mädel" auszukotzen. Zwei Tage später, in "Shania’s Geburtstag Teil 2", wird offenbart: Davina hat unmittelbar nach ihrem Ausraster die gleiche Uhr wie ihre Schwester geschenkt bekommen. Allerdings nicht, ohne dass Carmen noch einen grenzrassistischen Witz macht: "Wir haben nur die Boxen bei Rolex geholt und die Uhren beim Extrempigmentierten vom Strand", sagt sie und kichert. Auch Davina lacht erleichtert, Mutti hat nur Spaß gemacht. Von der Uhr an ihrem Handgelenk könnten andere Familien mehrere Monate lang leben. Alles gut in St. Tropez.

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Am Schluss bleibt die Frage, wer genau mit den vermeintlich menschlichen und ungeschönten Einblicken in den Geisschen Luxushaushalt abgeholt werden soll. Die Leute, die schon die RTL2-Sendung verfolgen? Die dürften sich bei den plan- und stellenweise auch einfach ereignislosen Clips zu Tode langweilen. Im Fernsehen wird nämlich geschnitten, wenn nichts mehr passiert, auf dem YouTube-Kanal der Geissens nicht. Vielmehr scheint die Familie zu hoffen, durch inszenierte Konflikte für Schlagzeilen sorgen zu können. Oder sie haben einfach nicht verstanden, dass es für ein Dasein als YouTube-Star nicht reicht, einfach alles so ein bisschen mitzufilmen. Und dass nicht alles, was einem so im Alltag passiert, auch den Rest der Welt interessiert.

Am Schönsten wird der Kanal mit all seinen seltsamen, teilweise rührend unbedarften Momenten am Ende des Videos "Robert Geiss schlägt seine eigene Scheibe ein" auf den Punkt gebracht. Carmen Geiss sitzt im Schlafzimmer der Familienyacht und ruft aufgekratzt in die Kamera: "Hallo liebe Followers! Wenn euch unsere Videos gefallen, dann könnt ihr uns auf jeden Fall auch weiter sehen. Nämlich, ihr könnt uns jetzt hier und da abonnieren, und hier direkt unser neues Video sehen." Dabei zeigt sie an verschiedene Stellen im Bild, an denen anscheinend etwas hätte eingeblendet werden sollen. Erst als sich eine halbe Minute später Robert Geiss neben sie aufs Bett setzt und sie die Handbewegungen nochmal macht, erscheinen die Einblendungen.

Robert steht auf, verlässt den Raum, Carmen bleibt sitzen und guckt unsicher an der Kamera vorbei. Warum wird weitergefilmt? Um das Ganze echter, unprofessioneller, menschlicher zu machen? Bevor das Bild dann doch endlich schwarz wird, hört man aus dem Off eine Stimme: "Supercool!"

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