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Popkultur

Ohne Themen, ohne Deutsche – diese Polit-Talkshows würden das Fernsehen besser machen

Warum lassen wir nicht mal ein paar Europäer in einem Mittelmeerhafen diskutieren?
Hart aber Fair
Foto: imago | FutureImage

Noch ermüdender als Polit-Talkshows ist nur die Kritik an ihnen. Verrisse von Sendungen wie Anne Will oder Maischberger sind so originell wie die Feststellung, dass die Teilnehmenden des RTL-Dschungelcamps in Wahrheit gar nicht prominent sind. Und trotzdem nerven Polit-Talkshows. Die Formate ähneln sich so stark, dass man Unterschiede höchstens in der Studiodekoration ausmachen kann.

Ob langer Tresen (Hart aber fair) oder runder Tisch (Maybrit Illner) – mit hoher Wahrscheinlichkeit sitzen Sahra Wagenknecht und Christian Lindner zusammen, tragen einstudierte Statements gegen Lohndumping oder für mehr Marktfreiheit vor, um sich anschließend in die Haare zu kriegen.

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Die Inhalte: Geflüchtete, Trump und die Krise der Volksparteien.

An besonders bunten Abenden heißt das Thema vielleicht auch mal "Flüchtlinge als Ursache der Krise der Volksparteien?". Ganz wichtig immer mit Fragezeichen. Fragen kann man schließlich alles. Die Erwartbarkeit von Polit-Talkshows provoziert mich so heftig, dass ich meinen Vorsatz aus dem ersten Absatz ganz vergessen habe: Nicht auch noch in das folgenlose Genörgel der TV-Kritiker einsteigen.

Um die verkrusteten Talkshow-Strukturen aufzubrechen, braucht es neue Konzepte. Die von mir entwickelten Polit-Talks verfolgen drei Ansätze: Keine Themen, keine politischen Gegner und vor allem keine Deutschen.


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1. Improvisieren oder Blamieren

Eine Polit-Talkshow braucht abwechslungsreiche Inhalte. Wie setze ich relevante aber unbeliebte Themen auf die Tagesordnung, ohne das Publikum zu vergraulen? Gar nicht. Die Gäste bringen einfach welche mit. In einem kurzen Eingangsplädoyer erläutern sie dem Publikum, warum heute unbedingt über ihr Anliegen geredet werden muss. Von der Lockerung der gesetzlichen Vorschriften für Kampfhunde bis zur Diskriminierung von Trans*-Menschen, alles ist möglich. Es muss nur die Zuschauer von Improvisieren oder Blamieren überzeugen. Die stimmen nämlich über den Inhalt der Sendung ab.

Die Klagen, dass es keinen Raum gebe, um über die Digitalisierung in Schulen zu sprechen, weil die "Migrationsfrage" alles überlagere, hätten ein Ende. Die Themenwahl liegt ja in den Händen der Gäste. Haben die Zuschauer entschieden, welches Anliegen am dringendsten besprochen werden muss, bringt der Moderator die Gäste auf einen gemeinsamen Wissensstand.

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Zugegeben, Improvisieren oder Blamieren verlangt den Teilnehmenden eine große Portion Risikobereitschaft ab. Bei einer überraschenden Themenwahl läuft die Debatte möglicherweise unstrukturiert. Umso besser, denn der Mangel an Informationen zwingt die Gäste zum aktiven Nachdenken, anstatt gebetsmühlenartig ihre Parteipositionen zu wiederholen.

Der Stresstest belohnt nebenbei wichtige Eigenschaften des politischen Geschäfts: Das richtige Gespür für mitreißende Themen oder eben den Mut, sich für unpopuläre Politikfelder stark zu machen. Wer sich ohne Berührungsängste auf fremdes Terrain begibt, ist klar im Vorteil. Und wenn sich die Talkrunde nur ratlos anschweigt, ist das ja auch eine Erkenntnis.

2. Sag's mir ins Gesicht - der Parteitalk

Talkshows geben sich Mühe, ihren Zuschauern ein ausgewogenes politisches Meinungsbild zu liefern. Warum eigentlich? OK, holt Alexander Gauland zur Jagdrhetorik aus und ruft damit entsetzte Reaktionen bei den Özdemirs und Schwesigs hervor, fühlen wir uns unterhalten. Kontroverse bringt Quote. Aber wenn man schon den Krawall dem Konsens vorzieht, dann bitte dort, wo er am dringendsten benötigt wird: Innerhalb der Parteien.

Redebedarf gibt es genug: Wer ist der oder die geeignete Parteivorsitzende, um das konservative Profil der CDU zu schärfen? Müssen sich Sozialdemokraten für die Agenda 2010 schämen oder auf die Schulter klopfen? Mir ist es wichtiger, dass längst überfällige Richtungskämpfe offen und fair ausgetragen werden, als ständig vorgegaukelt zu bekommen, hinter verschlossenen Türen herrsche Frieden und Einigkeit.

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Das Format Sag's mir ins Gesicht bietet innerparteilichen Auseinandersetzungen eine Plattform. Im wöchentlichen Wechsel kommen Vertreter der gleichen Partei zusammen. Das Publikum, bestehend aus unzufriedenen Parteimitgliedern, bohrt gnadenlos nach. Denn keiner formuliert den Vorwurf, die Parteiprominenz müsse endlich mal Tacheles reden, so überzeugend wie die eigene Basis.

Die Frage, welche Parteiführung sich vor aller Augen zerlegen würde, muss man nach dem Unionsstreit im Sommer nicht ernsthaft stellen. Aber auch unter Linken (offene Grenzen oder nicht) und in der SPD (Schulz gegen Gabriel) ist man sich in der Vergangenheit scharf angegangen. Konflikte mit offenem Visier vor Zuschauern auszutragen, anstatt monatelang den eigenen Laden zu sabotieren, Stichwort Horst und Markus, wäre deutlich besser – und auch unterhaltsamer.

3. Euro-Fighter - Kampf ums Ganze

Der länderübergreifende Aufstieg von Rechtspopulisten veranlasst überzeugte Europäer dazu, die Einheit des Kontinents zu beschwören. Die EU, diese großartige zivilisatorische Errungenschaft. Diese mutige Antwort auf die dunkle erste Hälfte des 20. Jahrhunderts. Inbrünstige Appelle für Europa und gegen die Nationalstaaterei gehen immer. Im Fernsehen miteinander diskutieren scheinbar nicht.

Dabei gibt es europäische Wettbewerbe in allen Disziplinen, den Eurovision Songcontest und die Champions League. Wo ist die europäische Polit-Talkshow? Wäre es nicht sinnvoll, nicht nur die Gesichter derer zu kennen, die von unseren "gemeinsamen Werten" wie Freiheit und Rechtsstaatlichkeit nichts halten? Oder ist es vielleicht gerade wichtig, das Europa der Salvinis und Orbáns besser zu verstehen?

Im "Eurofight" diskutieren nicht nur Staatschefinnen oder Parlamentarier aus Brüssel. Die Richterinnen des Europäischen Gerichtshofs und Angestellte der Zentralbank kommen ebenfalls zu Wort (was machen die überhaupt genau?). Nicht zu vergessen die Journalisten, die wegen investigativen Recherchen in der Slowakei oder Malta um ihr Leben fürchten. Am besten findet der Talk dort statt, wo die EU vor der Zerreißprobe steht. An italienischen Mittelmeerhäfen oder vor dem Verfassungsgericht in Polen.

Und das ganze bitte auf Englisch mit Untertiteln, die verschiedenen Amtssprachen nehmen schon jeder Debatte im EU-Parlament den Drive.

Warum nicht schon zur Europawahl 2019 das Format starten? Ich würde einschalten.

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