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Demonstration für Afrin

Wie es ist, jeden 2. Tag zu demonstrieren und niemanden interessiert's

Kurden gehen in der ganzen Schweiz für Afrin auf die Strasse.
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Fast jeden zweiten Tag gehen die Kurden in der Schweiz auf die Strasse. Sie skandieren "Afrin ist nicht allein". Auf ihren Transparenten steht: "Schweizer Waffen töten Kurden". Nur scheint dies niemanden in der Schweiz zu interessieren. Über 40 Kundgebungen zählt die Zürcher Stadtpolizei allein seit Anfang Januar, schreibt der Tagesanzeiger.

Die Demonstranten, die sich seit Monaten in Städten wie Zürich, Basel oder Bern versammeln setzen ein Zeichen gegen die Angriffe, die die Türkei seit Anfang Januar in kurdischen Gebieten ausführt. Eines der Hauptziele der "Operation Olivenzweig", wie sie ironischerweise genannt wird, ist die Stadt Afrin im Norden Syriens. An deren Grenzen kämpfen politische Organisation, wie die YPG, gegen die Militäroffensive des Türkischen Staates. Die Angriffe kosteten über 1500 Kämpfer in Afrin das Leben, darunter auch 43 Kinder, wie die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrecht schreibt.

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Um auch hierzulande auf dieses Massaker der Regierung Erdogan aufmerksam zu machen, gehen die Kurden in der Schweiz auf die Strasse. Beachtet werden sie von den Medien kaum. Für über 40 Kundgebungen lassen sich auf Google gerade mal halb so viele Berichte darüber finden. Die Bevölkerung wird auf sie am ehesten aufmerksam, wenn wegen der Demonstrationen mal wieder eine Tramlinie gesperrt ist. Wir wollten wissen wie es ist, einen Protest zu führen, der praktisch landesweit ignoriert wird und haben mit den Kurden an einer ihrer Demonstrationen gesprochen.

Neval, 22

VICE: Ihr demonstriert schon lange, doch eure Proteste werden weitestgehend ignoriert. Wie ist das?
Neval: Vom Schweizer Staat ist das ein schlechtes Zeichen aber für uns ist das noch schlechter. Ich bin seit sechs Jahren hier. Mein Deutsch ist vielleicht nicht perfekt, trotzdem versuche ich, mit den Menschen zu reden. Aber momentan reicht das Sprechen nicht. Darum zeigen wir hier Präsenz. Die Menschen sollen verstehen, wieso wir das machen. Die Bevölkerung denkt sich: "OK, du bist hierhergekommen. Wieso machst du sowas hier?" Wir sind in der Schweiz, weil wir in der Türkei nicht mehr leben konnten. Wenn wir dort nicht aktiv sein können, sind wir es eben in der Schweiz.

Wenn du nicht müsstest, wärst du ja nicht hier.
Genau, natürlich! Ich will ja wieder zurück! Das ist meine Heimat. Wenn ich nach Kurdistan könnte, würde ich nicht in der Schweiz leben. Dann würde ich in meine Heimat gehen, meine Sprache perfekt sprechen und meinen Job ausüben.

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Wie bist du in die Schweiz gekommen?
Ich bin ein politischer Flüchtling und vor sechs Jahren mit meiner Familie aus Kurdistan in die Schweiz gekommen. Wir hatten die falsche politische Gesinnung für die Türkei. Wir wollten Demokratie, das fand der türkische Staat nicht gut. Momentan reicht es aber schon, die falsche Art von Kurdin zu sein, um im Gefängnis zu landen.

Was ist die falsche Art von Kurdin?
Die, die nicht mit Erdogan arbeiten. Wenn du mit ihm nicht arbeiten kannst, bist du im Gefängnis.

Warst du schon einmal im Gefängnis?
Ich nicht, aber mein Vater. Er war zweieinhalb Jahre im Gefängnis. Er wurde wochenlang geschlagen. Deswegen sind wir hierhergekommen. In der Türkei gibt es keine Demokratie.

Özlem, 42

VICE: Die wievielte Demo ist das heute für dich?
Özlem: Ich war in diesem Jahr schon an mehr als 20 Demos. Seitdem die türkische Invasion angefangen hat, demonstrieren wir ständig. Wir versuchen dadurch auch die Schweizer Bevölkerung zu sensibilisieren. Afrin ist nicht nur unser Thema.

Aber die Schweizer ignorieren eure Demos. Was ist das für ein Gefühl?
Es ist sehr schade. Europa erlebte zwei Weltkriege, wofür viele Menschen gestorben sind. Sie sollten nicht vergessen, wie schrecklich das war. Jetzt sind wir dran und wir Kurden haben die Menschlichkeit, die westlichen Werte, verteidigt. Es kann nicht sein, dass die Schweizer Bevölkerung und generell die europäische Bevölkerung so wegschaut.

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Wieso schauen sie weg?
Weil sie zu wenig interessiert sind. Und weil es ihnen nicht so nahe geht. Wenn ich mit Schweizer Freunden diskutiere, sehe ich, dass sie mich unterstützen. Sie sagen: "Ja, ihr habt Recht. Wir sind auch gegen Erdogan."

Aber sie sind nie hier.
Ja, es sind einfach zu wenige. Heute zum Beispiel ist schönes Wetter und ich frage, ob sie mit mir demonstrieren kommen wollen. Dann würden sie sagen: Nein, ich hab zu tun. Aber ich weiss genau, sie sind irgendwo draussen und trinken Kaffee.

Macht dich das auch wütend?
Wütend bin ich nicht. Ich kann niemandem einen Vorwurf machen. Ich möchte einfach verstehen, warum das so ist. Wenn sie dabei wären, könnten wir auf das Parlament mehr Druck ausüben. Aber so sind wir nur "die Kurden", also die Ausländer, die für irgendetwas demonstrieren.

Kurde, möchte anonym bleiben, 26

VICE: Wieso bist du hier?
Kurde: Weil die türkische Regierung jeden Tag Menschen und auch mein Volk im Norden von Syrien tötet.

Du lebst jetzt in der Schweiz?
Ich bin ein Flüchtling hier. In der Türkei war ich im Gefängnis und hätte da 10 Jahre bleiben sollen.

Wofür?
Weil ich für die türkische Regierung die falsche politische Einstellung habe.

Wie ist es, in einem türkischen Gefängnis zu sein?
Das war sehr schlimm. Du bist in einem winzigen Raum eingesperrt und wirst oft verprügelt.

Was ist denn deine politische Einstellung?
Ich bin Teil der Gruppe Partizan. Wir sind eine kommunistische und sozialistische Gruppe und wollen die türkische Regierung zerschlagen.

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Tekosin, 18

VICE: Seit wann demonstriert ihr?
Tekosin: Afrin ist seit 64 Tagen besetzt, wir demonstrieren seit 64 Tagen. Die Türkei massakriert unsere Leute. Mittlerweile haben sie auch Zivilisten getötet und haben es geschafft, unsere Leute zu vertreiben. Unsere Leute haben so viele Zivilisten wie sie konnten in Sicherheit gebracht. Jetzt ist Afrin in den Händen der türkischen Regierung aber unsere Leute werden wieder reingehen und kämpfen. Wir werden das so lange weiter machen, bis Afrin wieder in unseren Händen ist.

Wie ist es, dass eure Präsenz hier medial kaum gezeigt wird?
Das ist ein schlechtes Gefühl. Es sind Schweizer Waffen, die uns Kurden umbringen. Und die Schweiz finanziert das. Das finde ich scheisse. Für Promis hat es in den Medien immer Platz. Aber geht es um Massaker und die Anzahl Tote, dann schweigt die ganze Welt.

Fühlt ihr euch von der Schweiz ignoriert?
Ja.

Was wünscht ihr euch vom Schweizer Staat?
Dass sie uns zuhören und uns die Polizei nicht mehr wie Dreck behandelt. Als wir kürzlich eine Demo machten, haben sie auch einige von uns geschlagen.

Was war denn vorgefallen?
Wir haben vor dem türkischen Konsulat demonstriert. Sie haben uns eingekesselt und gaben uns zwei Minuten, den Platz zu verlassen. Wir sind dann weiter über die Bahnhofbrücke und demonstrierten dort. Dann haben sie uns wieder eingekesselt und setzten Gewalt ein. Und die, die den Ausweis nicht zeigen wollten, wurden verhaftet. Einige von ihnen dürfen nun für zwei Jahre nicht mehr auf Zürich, um zu demonstrieren. Der Staat soll uns auch bei diesen Dingen unterstützen. Es heisst, die Schweiz sei ein demokratisches Land. Doch wir sehen von dieser Demokratie nichts. (Die Stadtpolizei sagt auf Anfrage von VICE: "Mehrere Protestierende zogen Richtung Türkisches Konsulat, die Polizei errichtete eine Sperrung an der Weinbergstrasse mehrere Protestierende versuchten, diese zu durchbrechen und es kam zu einem kurzen Gummischrot Einsatz.")

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Sasa, 32

Wieso bist du hier?
Um für die Freiheit für Afrin zu demonstrieren. Das tun wir seit dem 20. Januar.

Warst du schon immer aktiv?
Hier? Ja.

Und in der Türkei?
Auch.

War das in der Türkei schon einmal ein Problem, dass du aktiv warst?
Ja, schon oft.

Was ist passiert?
Ich wurde bestraft.

Warst du im Gefängnis?
Ja. Dass ich demonstriert habe, hat dem Staat nicht gepasst. Aber ich war nicht lange im Gefängnis, nur für ein paar Tage. Aber es war schlimm. Ich wurde dort oft verprügelt. Sie wollten mich für drei Jahre im Gefängnis behalten.

Wie bist du raus gekommen?
Man hat mir Asyl gewährt und ich konnte in die Schweiz kommen.

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