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Digitale Depression

Wegen meiner Depression habe ich mit Facebook und Instagram Schluss gemacht

Es war die beste Entscheidung meines Lebens.
Facebook, Instagram, Social Media, Depression
Illustration: VICE.com

Vor zwei Monaten wurde ich mit einer Depression diagnostiziert. Ich musste mir eingestehen: Mein Leben und meine Psyche waren so aus den Fugen geraten, dass ich meinen Alltag nicht mehr bewältigen konnte. Die Massnahme: Stationärer Aufenthalt in einer psychischen Klinik in Zürich für unbestimmte Zeit.

Ich habe mich die letzten Monate immer mehr von meinen Freunden und meiner Familie distanziert, sogar an ihnen gezweifelt – eine häufige Reaktion in einer Depression. Es gab Momente, da habe ich alle paar Stunden aufs Handy geschaut, und wenn mich wieder keine Benachrichtigung begrüsste, gedacht: "Wer will mir schon schreiben?"

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Meinen Rückzug kann man auf meiner Facebook-Wall deutlich nachverfolgen:
Im November und Oktober habe ich noch je über zehn Posts abgesetzt.
Im Dezember waren es noch vier.
Im Januar zwei.

Instagram hingegen verkörperte die für eine Depression typische negative Sicht auf alles. Ich habe mir Storys nicht mehr angesehen, ich habe mich durch sie gekämpft – und immer wieder gleich reagiert: Schöne Fotos aus den Ferien? Unfollow. Zelebrieren von Trash-Lifestyle? Unfollow. Influencer-Gehabe? Unfollow. Katzen-Videos? Unfollow. Ich hasste alles. Und mich interessierte niemand mehr.

Ich wollte den Weg durch diese bisher schwerste Phase meines Lebens ohne Social Media gehen.

Während ich also meine Koffer für den Klinikaufenthalt packte, verabschiedete ich mich auch von Instagram und Facebook. Die Apps wackelten auf dem Bildschirm meines Handys, als hätten sie Angst davor, gelöscht zu werden. Ich erbarmte mich ihrer nicht – tschüss!

Ich habe mir bereits vor zwei Jahren eine einmonatige Auszeit von Social Media genommen – schon damals aus Frust. Nun folgte die erneute Trennung mit "Aber wir bleiben noch Freunde"-Beigeschmack. Meine Accounts wollte ich damals wie heute nicht löschen; die Kontakte, die ich über Facebook und Co. pflegte, waren mir zu wichtig, und sind es auch jetzt noch. Vielleicht komme ich ja zurück, dachte ich – es ist kompliziert.


Aus dem VICE-Netzwerk: Wenn sich junge Frauen operieren lassen, um wie ihr Instagram-Selfie auszusehen

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Aber einer Sache war ich mir sicher: Ich wollte den Weg durch diese bisher schwerste Phase meines Lebens ohne Social Media gehen. Ich wollte meine Zeit nicht damit verbringen, mich durch Posts zu scrollen, oberflächliche Chats zu lesen, geschweige denn etwas in der Zeit meines Klinikaufenthaltes ins Netz zu stellen.

Ich war eigentlich froh, von der Welt abgekapselt zu sein und mich nur um meine eigene interne Story kümmern zu müssen. Statt durchzuswipen, konnte ich meine Gefühle in Ruhe mal etwas länger betrachten und reflektieren. Ich wollte an mir arbeiten. Statt in der Not der Langeweile mein Smartphone zu zücken, starrte ich die Decke an und dachte nach. Ich hörte meinen Zimmernachbarn durch die Kopfhörer schnarchen. Das war anstrengend. Aber ich war auch nicht davon ausgegangen, dass hier irgendetwas leicht werden würde.

Nur die Social-Media-Abstinenz fiel mir überraschend leicht – ich vermisste die Apps überhaupt nicht. Vielleicht lag es daran, dass sich hier, im Gegensatz zu da draussen in der "echten" Welt, niemand mit Instagram oder Facebook beschäftigt. Der Zeitpunkt der Trennung war genau der richtige. Vielleicht tat sie deshalb nicht weh.

"Time Well Spent" hast du niemals auf Social Media

Bevor ich in die Klinik ging, nutzte ich Instagram und Facebook wie eine manische Ablenkungsstrategie. Eigentlich nervten und langweilten mich die Inhalte immer mehr. Trotzdem konnte ich nicht damit aufhören, eben diese in mich reinzufressen. Es war schlichtweg der einfachste und schnellste Weg, mich abzulenken.

Ich war das perfekte Opfer von Zuckerberg und Co.s Machenschaften: Social-Media-Plattformen sind so programmiert, dass wir möglichst viel Zeit auf ihnen verbringen. Einerseits gibt es eine scheinbar unendliche Fülle an Content, der einem ganz persönlich zugeschnitten ist. Andererseits stösst unser Körper bei Pop-up-Benachrichtigungen und Likes Dopamin aus – dasselbe Glückshormon wie beim Glücksspiel. Kurz: Sie wollen uns süchtig machen.

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Ich entscheide selbst, wie ich längere oder kürzere freie Zeit fülle.

Das hat fatale Folgen – die auch mich stark betroffen haben. "Der Kampf um unsere Aufmerksamkeit macht es immer schwerer, auszuschalten, erhöht Stress, Besorgnis und reduziert Schlaf", schreibt das Center for Human Technology. Die Organisation fordert mit dem Leitsatz "Time Well Spent", dass Technologie-Giganten endlich die Interessen der Menschen in den Vordergrund stellen. "Wir wollen Technologien, die uns helfen, unsere Zeit und unser Leben richtig zu verbringen."

Alle Zeichen stehen aber darauf, dass das nicht sobald passieren wird. Das Umdenken muss bei uns Usern passieren. Ich hatte meine Apps nicht mehr griffbereit. Ich entschied selbst, wie ich längere oder kürzere freie Zeit füllte – und davon hatte ich in der Klinik viel.

Plötzlich fand ich gefallen daran, auf einer Bank zu sitzen und über den Zürichsee zu schauen. Heute fülle ich die Zeit, in der ich mein Gehirn bewusst ausschalten will, mit Videos, die mich wirklich interessieren. Ich telefoniere plötzlich länger als zwei Minuten mit meiner Schwester. Alles, weil ich es will.

Es ist diese Entscheidungsmacht, nicht mehr aus Gewohnheit Instagram zu öffnen und wie ein Junkie durch Storys zu klicken, die mir ein Gefühl von Bewusstsein zurückgeben hat. Und das führte mir vor Augen, wie sehr ich dieses Gefühl vermisst habe.

Social-Media-Kontakte sind keine Freunde

Nach zwei Wochen wurde ich rückfällig und installierte den Facebook-Messenger wieder – vielleicht gibt es ja etwas Wichtiges?

Zuvor hatte ich noch mit einer Mitpatientin darüber gescherzt, was mich erwarten würde. Wir waren uns einig, dass es nur ernüchternd sein könnte. Entweder es ist keine Nachricht da, oder nur solche, die man eigentlich nicht lesen möchte. Spam.

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Klinik

Die Station | Foto: privat

Es waren Nachrichten angekommen. Fünf neue. Drei Promo-Nachrichten für Events oder Musik. Eine Nachfrage nach einem Artikel, eine nach etwas Geschäftlichen. Mein Befinden interessiert niemanden. Das hört sich nicht nach dem an, was mir Facebook im App-Store verspricht: "Verbinde dich mit Freunden und deiner Familie und triff neue Freunde."

Ich habe viel an Freundschaften gezweifelt. Also habe ich mir die ersten zwei Wochen in der Klinik Zeit genommen, um mich auch damit auseinanderzusetzen, was diese überhaupt ausmacht. Sicher nicht, dass man gegenseitig Fotos likt oder eine Veranstaltungseinladung schickt.

Nein, die Leute die ich wirklich in meinem Leben will, mit denen habe ich direkten Kontakt. Wir schreiben uns, sehen uns, tauschen uns über Wichtiges im Leben aus – das geht komplett ohne Blick aufs Profil des anderen.

Ich beantwortete die Nachrichten, die eine Antwort erforderten, und deinstallierte den Messenger wieder. Wenn ich mich jetzt ab und zu auf Facebook einlogge, denke ich immer dasselbe: Ich verpasse nichts.

FOMO ist eine Illusion

Ist ein Video, das auf Instagram gepostet wird, auch dann eine Story, wenn niemand es sieht? Oft stellte ich mir die uralte philosophische Frage des umfallenden Baums, während ich durch den Klinik-Wald spazierte: Macht ein Baum, der im Wald umfällt, auch dann ein Geräusch, wenn ihn niemand hört?

Den Gedanken daran, hier einem Baum beim Umfallen zuzuschauen, fand ich mittlerweile spannender, als den Gedanken an die millionste Story und den milliardsten Post. Wahrscheinlich wird man dem Ächzen und Krachen der Flora auch irgendwann überdrüssig. Aber genau das ist mein Punkt:

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Während wir gerne Leuten dabei zuschauen, wie sie Sachen erleben, vergessen wir, dass wir auch Dinge erleben können – und sei's nur etwas so Banales wie ein umfallender Baum.

So stelle ich mir die Frage: Wovon würde ich einem Freund eher erzählen? Ich habe heute eine Story auf Instagram gesehen. Oder: Heute fiel vor meinen Augen ein Baum um.

Ich muss nicht jeden Baum beim Umfallen zusehen, damit er ein Geräusch macht. Aber genau so irrelevant ist es, ob ich Videos verpasse, die zur Story werden wollen.

Es geht auch ohne Bestätigung

Donnerstag, 11:00. Die letzte Ergotherapie der Woche endet gleich. Die ganze Woche habe ich damit verbracht, eine Serie von eher depressiv-verstörenden schwarzen Köpfen zu malen. Jetzt juckt es mir in den Fingern, die Werke auf Instagram zu posten. Schauen, wie es ankommen. Likes. Bestätigung. Dopamin.

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Eines der Bilder, das ich in der Ergotherapie gemalt habe: Die Allgegenwärtigkeit des Word Wide Webs

Einen wichtigen Prozess, den ich gerade durchmache, ist von der extrinsischen Motivation zur intrinsischen zurückzufinden. Was ich damit meine: Wenn ich aus einer extrinsischen Motivation handle, dann weil ich ein Ergebnis, eine Belohnung erzeugen will oder mich äussere Faktoren antreiben. Likes. Bestätigung. Dopamin.

Es geht nie darum, was ich eigentlich will. Worauf habe ich Lust? Was macht mir Spass? Was interessiert mich? So, wie jeder von uns als Kind gehandelt hat und es als Erwachsener verlernt hat.

Mit elf Jahren habe ich das Kartenspiel Magic: The Gathering für mich entdeckt. Irgendwann hat das ganze Dorf mitgespielt. Klar, jeder wollte gewinnen. Aber viel mehr lag der Spass darin, das Spiel zu lernen, neue Karten zu entdecken und uns Nachmittage lang zu batteln.

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Heute bin ich recht stolz darauf, dass ich zu den besten Spielern der Schweiz gehöre. Ich reise regelmässig an Turniere im Ausland, informiere mich täglich und hecke neue Taktiken aus.

Ich war verbissen, besser zu werden. So geht es mir selbst bei einer gemütlichen Spielrunde an einem Freitagabend nur noch um eins: zu gewinnen. Die Frage, ob das Spiel mir überhaupt noch Spass gemacht hat, habe ich mir nie gestellt – selbst, wenn ich aus Frust ein halbes Jahr nicht mehr mein Hobby verfolgt habe.

Zurück in der Ergotherapie fotografiere ich meine Malereien nicht. Ich stehe lieber davor, betrachte meine Werke und unterhalte mich mit meiner Therapeutin über sie. Wieso habe ich das gemalt? Welche Farben habe ich gewählt? Was löst das Bild in mir aus? Diese Auseinandersetzung mit meinem Inneren hat mir schliesslich viel mehr geholfen als jeder Like es jemals hätte tun können.

Alles nur Show

Meine neu gefundene künstlerische Ader hätte sich sicher gut auf Instagram gemacht. So hätte ich selbst in meiner Depression noch ein gutes Image wahren können. Selbstprofilierung in jeder Lage.

Das finde ich krass. Social Media ist nicht ehrlich, auf Social Media finden negative Gefühle kaum einen Platz (ausser Hass natürlich). Nur das schöne Leben. Das kann auch Druck ausüben – "Mir muss es besser gehen, damit mein Leben wieder ansehnlich ist". Den Gedanken habe ich mir wahrscheinlich nicht als erster gemacht.

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Ich konnte ihn aber zum Glück schnell wieder verwerfen. Weil ich nicht mehr mitspiele im Hochglanz-Internet. Die letzte Bestätigung dafür hat mir die Analyse des YouTube-Magazins Wisecrack zum unglaublich gescheiterten Fyre-Festivals gegeben, die ich am letzten Abend in der Klinik geschaut habe.

Ich will mein Leben mit echten Erlebnissen füllen. Ein Post wird mich nämlich nicht an die erinnern, die mir wirklich wichtig waren, sondern die Erinnerung selbst.

Während mir Supermodels auf den Bahamas auf meinem Handybildschirm entgegen lächelten, lag ich in meinem Zimmer. Vor dem Fenster mit Blick auf eine Baustelle ein Gitter. Die zwei Regale bis auf vier Bücher leer. Auf dem Schreibtisch meine Austrittspapiere und eine Mappe mit Zeichnungen. Das unbequeme Bett mit der viel zu schweren Decke werde ich nicht vermissen.

Im Video erklärt Moderator Jared Bauer, dass es bei Erlebnissen wie diesem Rich-Kid-Festival auf einer Privatinsel nicht darum ginge, etwas zu erleben, sondern den Schein des Erlebnisses zu wahren.

Man ist also nie dabei gewesen, wenn es kein wunderschönes Beweisfoto gibt. Der Baum ist nie umgefallen, wenn man ihn dabei nicht gefilmt hat. Wie das Fyre-Festival ist auch das eine Lüge, die ich mir lange selbst erzählt habe, um an der Scheinwelt Social Media teilzuhaben.

"Dass ein Festival wie Fyre, das über die Oberflächlichkeit von Instagram Tickets verkaufte, ein purer Reinfall war, ist das perfekte Beispiel für die Inhaltslosigkeit der Symbole und Bilder, die wir aufrechterhalten", fasst Bauer die Analyse zusammen.

Ich will mein Leben mit echten Erlebnissen füllen. Ein Post wird mich nämlich nicht an die erinnern, die mir wirklich wichtig waren, sondern die Erinnerung selbst.

Nie wieder zurück

Ich zweifele daran, dass mein Heilungsprozess so gut verlaufen wäre, hätte ich meinen Kopf weiter in den Sand der Instagram-Strände gesteckt. Jetzt, wieder zu Hause, kann ich mir nicht im Geringsten vorstellen, wieder zurückzukehren. Es gibt mir nichts, weder Inhalte, die mich interessieren würden, noch Glücksmomente durch Bestätigung. Wer mich erreichen will, hat meine Nummer.

Es geht mir besser ohne Social Media. Ich habe das Gefühl, dass die Zeit, die ich sonst mit Prokrastinieren verbracht habe, nicht mehr Mark Zuckerberg gehört, sondern alleine mir. Ich kann die Fragen, worauf ich Lust habe, was mir Spass macht und was mich interessiert, endlich wieder beantworten. Und keine Antwort lautet Facebook oder Instagram.

Bleibt nur noch die Frage, ob ich mich endgültig von Social Media trenne. Mit diesem Artikel habe ich mir die Antwort selbst gegeben. Er wird mein letzter Post sein.

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