Politik

Mutmaßliche Opfer erheben Vorwürfe gegen drei Männer aus der Gaming-Branche

Es geht um Vergewaltigung, Missbrauch, Freiheitsberaubung. Die Männer haben an Spielen wie 'Gears of War', 'Night in the Woods' und 'The Elder Scrolls' gearbeitet.
Eine Person mit Tattoos hält einen PlayStation-Controller
Marco Piunti/Getty Images

An nur einem Tag sind drei prominente Männer aus der Gaming-Branche sexueller Übergriffe beschuldigt worden – unabhängig voneinander.

An diesem Montag veröffentlichte die unabhängige Videospielentwicklerin Nathalie Lawhead einen langen Blogeintrag. Die Kalifornierin schreibt, der Spielmusik-Komponist Jeremy Soule, bekannt für seine Arbeit an den The Elder Scrolls- und Guild Wars-Reihen, habe sie vergewaltigt.

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Nur Stunden später postete die Indie-Entwicklerin Zoë Quinn einen langen Text auf Twitter, in dem sie dem Night of the Woods-Developer Alex Holowka vorwirft, er habe sie sexuell missbraucht und bei sich zu Hause im kanadischen Winnipeg gefangen gehalten.


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Ein dritter Vorwurf folgte von einer Frau namens Adelaide Gardner gegen den Programmierer Luc Shelton von der britischen Videospielfirma Splash Damage, der unter anderem an dem Bestseller-Game Gears of War 4 gearbeitet hat. Gardner gibt an, Shelton habe sie 2018 sexuell und psychisch misshandelt.

Soule, Holowka und Shelton haben nicht auf die Anfragen von VICE geantwortet.

Die drei Vorwürfe haben Diskussionen über sexualisierte Übergriffe in der Gaming-Branche angestoßen. Unter anderem darüber, wie mächtige Männer in dieser Industrie die Karrieren von Frauen zerstören können, bevor sie überhaupt richtig angefangen haben. Ende vergangener Woche teilte das League of Legends-Entwicklerstudio Riot Games mit, es habe sich außergerichtlich mit zwei Frauen geeinigt, die das kalifornische Unternehmen 2018 wegen sexistischer Diskriminierung verklagt hatten. Im Mai hatten etwa 150 Angestellte aus Protest die Arbeit niedergelegt. Sie warfen der Firma vor, dass diese gezielt versuche, Klagen von Angestellten mit einer Schiedsgericht-Regelung zu verhindern.

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Nach mehr als einem Jahrzehnt seit der mutmaßlichen Vergewaltigung hat Lawhead ihren Blogeintrag "Ich nenne meinen Vergewaltiger beim Namen" laut eigener Aussage verfasst, um zu verhindern, dass Komponist Soule "andere Frauen zu Opfern macht".

In ihrem Eintrag schreibt Lawhead, sie habe den Spielmusik-Komponisten Soule 2008 auf einer Weihnachtsfeier im kanadischen Vancouver kennengelernt. Damals habe sie für ein nicht namentlich genanntes Spielestudio gearbeitet und noch am Anfang ihrer Karriere gestanden. Sie habe "sehr deutlich" gemacht, dass sie kein romantisches Interesse an ihm habe, schreibt Lawhead. Als sich die beiden näher kennenlernten, habe Soule jedoch häufiger von Frauen gesprochen, die "ihm Unrecht getan" und "ihn betrogen" hätten. Er habe gesagt, "Männer seien hilflos und bräuchten Sex, und er bräuchte Sex und eine Beziehung, damit er seine Musik schreiben könne". Damals habe Lawhead sich um ihren Job gesorgt, von dem sie sich gleichzeitig "den großen Durchbruch" erhofft habe. Schließlich, so Lawhead, habe Soule sie vergewaltigt.

Nach dem mutmaßlichen Übergriff sei Lawhead vom CEO der Spielefirma in Vancouver gefeuert worden. Der CEO sei ein guter Freund von Soule gewesen, so Lawhead. Sie habe kein Zeugnis für ihre zweijährige Arbeit erhalten und auch die letzte Gehaltszahlung sei bis heute ausgeblieben.

Soules Agent Max Steiner reagierte auf telefonische und schriftliche Anfragen von VICE nicht. Soules Twitter-, Facebook- und Instagram-Profile sind seit drei Tagen deaktiviert, wie sich anhand der Wayback Machine des Internet Archive erkennen lässt. Gegen Soule liegt bis dato keine Strafanzeige vor.

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Innerhalb weniger Stunden meldete sich daraufhin die Spieleprogrammiererin Zoë Quinn auf Twitter zu Wort und erhob Vorwürfe gegen den Night in the Woods-Entwickler Alec Holowka. Quinn möchte auf Englisch mit dem geschlechtsneutralen Pronomen "they" bezeichnet werden, daher sehen wir in diesem Artikel von der Verwendung eines deutschen Pronomens ab. "Ich habe schon so lange solche Angst, aber mir wurde ganz schlecht, als ich sah, wie noch mehr Menschen zu Schaden kommen und wie zu viele Kollegen zuschauen, die Schultern zucken und ihm weiterhin eine Bühne bieten", schreibt Quinn. "Ich bin zutiefst erschüttert von Nathalie Lawheads Blogeintrag über ihren Vergewaltiger, der eine Branchenlegende ist, der sie ausgenutzt und ihre Karriere vergiftet hat."

Zu Anfang von Quinns Karriere habe Quinn Holowka einen längeren Besuch in Winnipeg abgestattet, schreibt Quinn. In dieser Zeit habe Holowka Quinn "zutiefst erniedrigt" und bei sich zu Hause gefangen gehalten. Quinn behauptet, Holowka habe Quinn nicht erlaubt, die Wohnung allein zu verlassen. Er habe sich geweigert, Quinn den Zugangscode für das Gebäude zu geben. Irgendwann habe er Quinn "mehr als eine Stunde lang" angeschrien, weil ihm Quinns "Tonfall" bei der Begrüßung nicht gefallen habe. Beim Sex sei er "gemein und gewalttätig" gewesen, schreibt Quinn. "Er rammte seine Finger in mich und führte mich dann an diesen Fingern durch die Wohnung, obwohl ich sagte, dass es weh tat."

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Am Dienstag twitterte Scott Benson, Holowkas Mitentwickler bei Night in the Woods, Holowkas Kollegen hätten von den Übergriffen nichts gewusst. Er werde sich bald ausführlicher äußern. Am Mittwoch teilte er auf Twitter mit: "Wir nehmen diese Vorwürfe ernst und schätzen den Mut aller, die auf sexuelle Übergriffe aufmerksam machen." Benson und die dritte Mitentwicklerin, Bethany Hockenberry, würden nun nicht mehr mit Holowka zusammenarbeiten. Zu der Frage, was dies künftig für das Spiel Night in the Woods bedeutet, werde man sich noch genauer äußern.

Andere Frauen, die in der Gaming-Industrie bekannt sind, haben Quinns Behauptungen bestätigt. Am Dienstag sprachen sich Patricia Hernandez, Senior Editor bei Polygon, und die Indie-Spieleentwicklerinnen Aura Triolo und Christine Love für Quinn aus. Love zufolge hatte Quinn ihr zum Zeitpunkt der mutmaßlichen Übergriffe davon erzählt.

Eine dritte Person, Adelaide Gardner, meldete sich zu Wort und schrieb, Quinns Post habe für sie den Anstoß geliefert, ihre eigene Geschichte erneut zu teilen, nachdem sie Shelton erstmals im September 2018 öffentlich als übergriffig bezeichnet hatte. Gardner zufolge war Shelton sexuell gewalttätig und missbrauchte sie im Zuge der Beziehung psychisch, dasselbe habe er, so Gardner, mit einer weiteren Frau gemacht. Shelton hat an den Spielen Gears of War 4 und Gears of War: Ultimate Edition gearbeitet. Gardner ist selbst nicht in der Gaming-Branche tätig, sondern befand sich in einer persönlichen Beziehung mit Shelton.

Unter anderem habe er sie "so fest in Handschellen gelegt", dass sie für Stunden danach ihre Handgelenke nicht mehr habe spüren können. Laut ihrem Tweet habe sie ihn angefleht, mit dem Übergriff aufzuhören, weil sie große Schmerzen gehabt habe. Gardner zufolge ignorierte Shelton dies. Sein Verhalten habe er auf sein "dominantes Wesen" geschoben, so Gardner weiter. Während Shelton auf Anfrage von VICE nicht reagierte, schrieb Splash Damage per Mail, die britische Entwicklerfirma wisse von "der Sache" und nehme sie ernst. "Sie sollten außerdem wissen, dass der betroffene Arbeitnehmer jeden Vorwurf des Fehlverhaltens von sich weist."

"In der Gaming-Industrie hat diese Diskussion einfach nicht stattgefunden, und ich weiß nicht warum", sagt Gardner gegenüber VICE. "Vielleicht weil Spieleentwickler als durchweg politisch links gelten. Da ist es noch schwerer, sich an die Öffentlichkeit zu trauen." Gardner hatte bereits im September 2018 über Luc Sheltons mutmaßliche Übergriffe getwittert, als Brett Kavanaugh, inzwischen Richter am Obersten Gerichtshof der USA, sich vor einem Justizausschuss zu der mutmaßlichen versuchten Vergewaltigung Dianne Feinsteins äußerte. Damals klickten 14 Personen "Like"; auf Gardners diesjährigen Tweet haben bis dato mehr als 3.700 Menschen reagiert.

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