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Beruf

Junge Menschen erzählen, wieso sie ihre Lehre abgebrochen haben

Jeder fünfte Jugendliche in der Schweiz bricht seine Lehre ab.
Mann ist verzweifelt
Foto: imago | Westend61

Als Teenie hat man anderes im Kopf, als sich um die berufliche Zukunft zu kümmern. Aber früher oder später muss sich jeder damit auseinandersetzen, wie er oder sie die überteuerte Miete und das Feierabendbier bezahlt. In der Schweiz entscheiden sich zwei Drittel der Jugendlichen, eine Lehre zu machen. Mit der Berufslehre als eine Mischung aus schulischer Bildung und praktischer Berufsausbildung rühmt sich die Schweiz gerne im internationalen Vergleich. Und tatsächlich hat sich beispielsweise die USA einige Dinge vom Schweizer Berufsbildungssystem abgeschaut. Seit rund drei Jahren pflegt die Schweiz eine Berufsbildungskooperation mit den USA. So haben etwa amerikanische Berufsbildner die Möglichkeit, sich mit ihren Schweizer Pendants auszutauschen, um die Berufsbildung nach Schweizer Modell zu stärken. Nur sind die Schweizer Lernenden scheinbar gar nicht so Fan von ihren Lehrstellen.

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Laut dem Bundesamt für Statistik haben rund 20 Prozent der Auszubildenden ihre Lehre vorzeitig abgebrochen. Die höchste Abbruchquote haben Plattenleger: Fast jeder zweite bricht seine dreijährige Lehre vor dem Abschluss ab. Wir haben junge Menschen gefragt, aus welchen Gründen sie ihre Lehrstelle abgebrochen haben.

Kevin, 27

In meiner Lehre als Koch hatte ich Tage, an denen ich bis zwei oder drei Uhr nachts arbeitete. Einmal arbeitete ich 19 Tage am Stück und das mit 16 Jahren. Legal war das natürlich nicht, aber mit meinem Chef war nicht zu reden. Also habe ich mich an die Gewerkschaft gewandt. Wie sich dann herausstellte, war der Typ aus der Gewerkschaft, der für mein Anliegen zuständig war, Stammgast im Restaurant. Er hat meine Beschwerde abgewiesen. Nach einem Jahr habe ich die Lehre abgebrochen. Ich hatte ein schlechtes Gewissen, denn in der Schule hiess es damals immer: 'Du musst eine Lehre machen, sonst kommst du nirgends hin im Leben.' Drei Monate später hatte ich aber bereits wieder eine neue Lehre als Sportartikelverkäufer gefunden und die gefiel mir richtig gut.


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Steven, 19

Als ich 17 Jahre alt war, habe ich meine Lehre als Lastwagenmechaniker abgebrochen, weil ich überhaupt nicht gut mit meinem Chef ausgekommen bin. Meiner Meinung nach hat er mich zu wenig gefordert. Ich habe die meiste Zeit damit verbracht, die Garage zu putzen und die Pneus der Lastwagen auszuwechseln, viel mehr habe ich nicht gelernt. Schlussendlich habe ich die Lehre nach eineinhalb Jahren abgebrochen. Das war schon ein Scheissgefühl, ich hatte Angst, dass ich keine neue Lehrstelle finde. Aber nach zwei Monaten habe ich eine Lehrstelle als Lastwagenchauffeur in einer anderen Firma gefunden.

Nishajini, 20

Ich bin Tamilin und in unserem Kulturkreis sind Berufe im gesundheitlichen Bereich sehr hoch angesehen. Darum habe ich mich in der Gesundheitsbranche beworben und eine Lehrstelle als Dentalassistentin bekommen. Mir hat der Beruf aber gar nicht zugesagt. Spucke aus dem Mund von Patienten zu saugen war nichts für mich und ich sah in der Branche für mich auch keine Zukunft. Nach drei Monaten brach ich ab. Dass ich meine Lehre abgebrochen habe, war für meine tamilischen Eltern sehr schlimm. Ich lebte in einem kleinen Dorf in der Schweiz und die Leute begannen, über mich zu lästern. Ich war aber dennoch froh über meine Entscheidung. Schlussendlich habe ich eine KV-Ausbildung gemacht und möchte in Zukunft etwas im gestalterischen Bereich machen.

Marcus, 34

Nach nur drei Monaten habe ich meine Lehre als Restaurantfachmann abgebrochen. Damals war ich 19 Jahre alt und habe eine Lehre in einem Hotel in einem Winterkurort gemacht. Dort waren alle Lehrlinge in einem Lehrlingsheim untergebracht. Die Zimmer waren in üblem Zustand, die Wände waren verschimmelt. Da ich Lehrlingssprecher war, sammelte ich die Unterschriften aller Lehrlinge mit der Anmerkung, dass wir die Arbeit so lange niederlegen, bis sich die Zustände im Lehrlingsheim ändern. Innert vier Wochen wurde dann ein kompletter Stock des Wohnheims renoviert und keiner musste streiken. Daraufhin hat mir mein Chef aber nahegelegt, zu kündigen, da ich einen schlechten Einfluss auf die anderen Lehrlinge hätte. Direkt nach dem Gespräch habe ich gekündigt und innert 24 Stunden einen neuen Job in einem anderen Restaurant gefunden.

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Yolinda, 24

Ich wurde von meiner KV-Lehre rausgeschmissen. Meinen Vorgesetzten waren meine Noten zu schlecht – dabei waren sie völlig durchschnittlich. Da die Kündigung nicht rechtens war, arbeitete ich kurze Zeit später wieder im Betrieb. Von da an gaben sie mir aber Aufgaben, die ich kaum meistern konnte. So wollten sie, dass ich ohne grosse Vorkenntnisse ihre Buchhaltung mache. Ich fühlte mich völlig überfordert und habe nach Rücksprache mit meinen Eltern die Lehre schliesslich abgebrochen.

Davide, 29

Ich habe meine Schreinerlehre in einem Ein-Mann-Betrieb nach knapp drei Monaten abgebrochen. Mein Chef war Stadtrat und hatte ganz genaue Vorstellungen, wie die Dinge gemacht werden sollten. Ich war damals ein 15-jähriger Punk – das hat also schon einmal gar nicht gepasst. Mein Chef hat mir dann auch verboten zu rauchen und eine Freundin zu haben, weil das seiner Meinung nach eine unnötige Ablenkung war. Als ich die Lehre abgebrochen habe, war ich zwar erleichtert aber es dauerte neun Monate, bis ich eine neue Stelle fand. Die war zwar auch nicht das Nonplusultra, aber ich traute mich dann nicht, noch eine Lehre abzubrechen. Im Nachhinein hätte ich besser das 10. Schuljahr gemacht und mir genug Zeit genommen, um zu überlegen, was ich im Leben machen möchte.

Dominique, 29

Als 17-Jährige habe ich meine Lehre als Goldschmiedin abgebrochen. Als Goldschmiedin muss man extrem genau und ruhig arbeiten, das war einfach nicht mein Ding. Ausserdem waren meine beiden Chefs und ich nicht auf einer Wellenlänge. Je länger ich dort war, desto mehr habe ich gemerkt, dass der Job nicht zu mir passt. Ausschlaggebend waren auch die wenigen Optionen, die Goldschmiede nach ihrer Lehre haben. Entweder man arbeitet als Angestellte und verdient sehr wenig, oder man macht sich selbstständig. Das war beides nichts für mich. So habe ich die Lehre nach einem Jahr abgebrochen. Ich kann mich noch gut an den Moment erinnern, als ich mit meiner Werkzeugkiste aus dem Laden lief. Die ersten 20 Meter habe ich mich super gefühlt, doch plötzlich kam der Schock: Was mache ich jetzt? Ich habe mir dann erstmal Zeit genommen, um ein bisschen zu Snowboarden und mich mit Temporär-Jobs über Wasser zu halten. In einem Snowboardgeschäft habe ich dann auch meine Lehre und die Berufsmatura gemacht.

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