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Popkultur

So einfach kann dich dein Chef wegen WhatsApp oder Videos abmahnen

Weil er während der Arbeit 30 Sekunden Fußball schaute, kassierte ein Kölner eine Abmahnung. Zum Glück gibt es den ältesten Trick der Welt.
Foto: imago | Westend61

30 Sekunden sind nicht sehr lang. Sie sind 1/2880 eines Tages und nicht mal 1/180 eines Fußballspiels. Was sich nach wenig anhört, kann große berufliche Auswirkungen haben. Ein Mitarbeiter eines Automobilzulieferers hatte einen Livestream des Europa-League-Spiels zwischen Fenerbahce Istanbul und Lokomotive Moskau auf dem Computer geschaut. Während seiner Arbeitszeit. Eine halbe Minute lang, sagt er. Aber das war schon zu viel, sein Chef mahnte ihn ab.

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Wer mehrfach abgemahnt wird, kann leichter gekündigt werden. Der Mitarbeiter hielt die Disziplinarmaßnahme offensichtlich für übertrieben und zog vor das Kölner Arbeitsgericht. Die Richterin sah das anders: Am Montag entschied sie, dass Arbeitnehmer während ihrer Arbeitszeit nicht auf ihrem Computer fernsehen dürfen.

"Dienst ist Dienst und Schnaps ist Schnaps", erklärt Michael Felser, Rechtsanwalt für Arbeitsrecht, gegenüber VICE. "Wenn man nicht bei einem Fußballverein arbeitet oder Talentscout ist, kann man während der Arbeit nicht Fußball gucken." Das gilt natürlich nicht nur für Fußballspiele, sondern jeden Clip, egal ob im Livestream, auf YouTube oder Facebook.

Auch alle Instagram-Victims und WhatsApp-Stenografen tippen auf dünnem Eis. Am Nachmittag schnell am Schreibtisch einem abendlichen Date übers Handy zusagen? Zum Durchschnaufen schnell mal gedankenverloren eine Minute die Instagram-Timeline herunterwischen? Kann alles eine Abmahnung einbringen. "Alles, was die Arbeit beeinträchtigen könnte, ist grundsätzlich verboten", erklärt Felser. Ein Verbot muss dabei auch nirgendwo explizit stehen und gilt immer, außer in den vertraglichen Pausen. "Wenn es nicht explizit erlaubt ist, dann ist es rechtlich verboten", so der Arbeitsrechtler aus Köln. Wer jetzt schon aufgebracht zum Protest per Insta-Story aufruft, sollte wissen, dass es noch schlimmer geht: "Der Chef kann eigentlich sogar verbieten, dass der Arbeitnehmer sein Handy mit zum Arbeitsplatz nimmt."

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Diese Regelungen betreffen so ziemlich jeden Arbeitnehmer und Angestellten. Private WhatsApp-Chat-Gespräche oder YouTube-Videos von Gurken und Katzen gehören in jedem Unternehmen zum Alltag. Besonders in jüngeren Firmen vermischen sich private und berufliche Ströme in den Timelines. Der Chef drückt da mal ein Auge zu. Auch der Kölner Fall hätte wohl ziemlich einfach umgangen werden können. "Der Chef muss in so einem Fall nicht mit einer Abmahnung reagieren, sondern kann auch einfach sagen, dass er das nicht will", so Felser. "Hier hätte es bestimmt ein normales Gespräch getan."

Neben dem Oldschool-Trick, miteinander zu reden, hat der Anwalt noch einen Lifehack parat, der älter ist als das Handy. "Früher in der Fabriken waren immer mehr Bild- oder Express-Zeitungen als Klopapier auf den Toiletten, weil die Arbeiter zum Lesen dorthin verschwunden sind", sagt Felser. Beim Gang auf die Toilette können Smartphone-Junkies ihre Sucht ungestört stillen. In den kleinen Kabuffs mit Klosett ist man eigentlich sicher vor dem Chef. Dann kann eigentlich nur noch eins schief gehen: "In den häufigsten Abmahnfällen haben die Leute beim Posten vergessen, dass sie mit dem Chef befreundet sind, oder die Kollegen petzen", sagt Felser. Retten kann einen dann vielleicht nur ein freundliches Verhältnis zum Vorgesetzten: "Meine Lebenserfahrung sagt mir: Wenn der Chef einen lieb hat, dann passiert gar nichts."

Im Kölner Fall könnte die Liebe auch gefehlt haben, weil der abgemahnte Mitarbeiter Vertrauensperson der IG Metall ist. "Erhält jetzt jeder eine Abmahnung, wenn er 30 Sekunden nicht arbeitet?", fragte sich ein Kollege nach dem Gerichtsprozess beim Focus. "Der Werksleiter ist nach dieser Aktion bei vielen Kollegen unten durch."

Zumindest für Fußballfans gibt es Hoffnung. Während der WM 2010 hatte ein Verkäufer ein Fernsehgerät im Verkaufsraum seines Unternehmens aufgebaut und ein WM-Spiel eingeschaltet. Der Verkäufer wurde gekündigt. Im Jahr 2011 erklärte das Arbeitsgericht Frankfurt die Kündigung für nichtig. Die Begründung: Fußball habe während einer Weltmeisterschaft einen solchen Stellenwert in der Gesellschaft, dass von einem "sozialadäquaten Verhalten" des Arbeitnehmers ausgegangen werden könne. Dem Richter fehlte für eine Kündigung aber noch ein weiterer Grund: eine vorausgegangene Abmahnung.

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