Fake-Bomben und gezogene Waffen: Fotos der Proteste im Hambacher Forst
Eine 22-jährige Umweltaktivistin wird am Samstag von drei Beamten abtransportiert | Alle Fotos: Roman Kutzowitz

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Klimacamp im Rheinland

Fake-Bomben und gezogene Waffen: Fotos der Proteste im Hambacher Forst

Hier sind die Polizisten, die in Chemnitz fehlten: Weil ein Wald abgeholzt werden soll, stehen bis zu fünf Hundertschaften der Polizei etwa 150 Umweltaktivisten gegenüber.

Kilometerweit parkt am Dienstag Polizeiwagen an Polizeiwagen, mehrere Hundertschaften machen sich bereit, das Objekt, das vor ihnen liegt, zu stürmen. Sie wollen vermeintliche Linksautonome und Umweltaktivisten, aber auch alles, was sich als Waffe eignen könnte, aus der Bretterbude auf der Wiese mitnehmen. Die Beamten schütten Löcher mit Beton zu, die wie Tunnel aussehen. Sie suchen nach Waffen, die gegen Polizisten eingesetzt werden könnten: Molotow-Cocktails, Sprengstoff, Zwillen und Steine.

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Es sind Szenen aus einer "Gefahrenzone". Als solche hat die Polizei den Hambacher Forst markiert und den Wald abgesperrt. Er gilt seit Jahren als Symbol des Widerstands gegen die Braunkohle, für deren Produktion der Energiekonzern RWE ab Oktober zum Teil 12.000 Jahre alte Bäume abholzen will. Diese Rodungsarbeiten wollen die Demonstranten verhindern.

50 Kilometer westlich von Köln patrouillierten deshalb am Dienstag rund 500 Polizisten, Hubschrauber kreisten über dem Gebiet und Beamte liefen laut Augenzeugenberichten mit gezogener Waffe durch den Wald. Wegen etwa hundert Umweltschützern, die sich an uralte Bäume ketteten und mit Steinen und Flaschen, die wie Molotow-Cocktails aussehen, auf Beamte warfen. Laut Polizei verletzten sie damit einen Beamten am Hinterkopf, er soll zu Boden gegangen sein, seine Kollegen drohten daraufhin, von ihren Schusswaffen Gebrauch zu machen. Ziemlich genau auf der gegenüberliegenden Seite Deutschlands, 560 Kilometer entfernt, in Chemnitz patrouillierten knapp 600 Polizisten wegen 6.000 Menschen auf einer rechten Demo, zum Teil Neonazis, die öffentlich zu Gewalt aufriefen und Jagd auf Menschen mit nicht-biodeutschen Aussehen machten.

Einmal rückte die Polizei in einer Personalstärke an, die bei weitem die Zahl der Protestierenden überschreitet, einmal kommen so wenige Polizisten, dass die Lage außer Kontrolle gerät. Wie kann das sein?

Polizeiwagen an Polizeiwagen vor dem Hambacher Forst

Polizeiwagen an Polizeiwagen steht am Dienstagmorgen an der Wiese vor dem Hambacher Forst

Das Polizeiaufkommen sei unverhältnismäßig, sagen die Aktivisten, die für den Erhalt des Waldes kämpfen. Einer davon nennt sich Clumsy. Er lebt in der Baumhaussiedlung "Oaktown" und sagt, er sei das Großaufgebot der Polizei NRW bereits gewöhnt. In der Vergangenheit war es im Konflikt um den Hambacher Forst immer wieder zu Auseinandersetzungen gekommen: "Letztes Jahr waren zur Wiesencampdurchsuchung 500 Beamte im Einsatz, zu der Zeit waren sieben Leute auf der Wiese." Dieses Jahr sei es ähnlich. Im Wald befänden sich aktuell rund 150 Aktivisten, sagt er, "allein für die Räumung der Wiese vor dem Wald waren drei Räumungspanzer abgestellt, ich weiß nicht, was die sich vorstellen".

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Die Polizei Aachen will aus taktischen Gründen keine Aussage über die genau Anzahl der Beamten im Einsatz machen. Sie begründet den Großeinsatz mit einer "neuen Qualität der Gewalt", die darauf hindeute, "dass es einen gewissen Zulauf des Klientels im Wald" gegeben habe. Die Polizei geht davon aus, dass sich mittlerweile gewaltbereite Linksextremisten aus ganz Europa dort eingefunden haben. "Entsprechende Aufrufe im Internet gab es", so die Polizei gegenüber VICE.


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Was im Hambacher Forst passiert, ist also kein normaler, kurzfristig organisierter Protest wie in Chemnitz. Die Besetzer wohnen seit Jahren in Baumhäusern. Polizisten werden im Hambacher Forst zu Anschlagszielen, sieben wurden verletzt, weil sie sich aus Sicht der Aktivisten zu Handlangern des Konzerns RWE machen, und dabei helfen, den ältesten Wald Deutschlands plattzumachen. In Chemnitz wiederum wurden gezielt Menschen aus der Zivilbevölkerung angegriffen, eine ganze Stadt zur No-Go-Area für Leute mit nicht bio-deutschem Aussehen. Die Polizei hätte das verhindern sollen.

"Die Leute im Wald wehren sich heftig", sagt Roman Kutzowitz, der als Fotojournalist vor Ort ist. Das sei für die Polizisten gefährlich, daher rückten sie so massiv an. Obwohl die Polizei Journalisten davor gewarnt hatte, die "Gefahrenzone" zu betreten, sagt Kutzowitz, fühle er sich nicht bedroht im Hambacher Forst. In Chemnitz wiederum berichteten zahlreiche Journalisten, dass sie sich zurückziehen mussten, weil sie sich nicht mehr sicher fühlten. Sie wurden geschubst, mit Lügenpresse-Ausrufen beschimpft, doch die Polizei kann diese vor Angriffen nicht schützen. Nachdem ein rechter Demonstrant in Chemnitz das VICE-Team versucht hatte, anzugreifen, sagte ein Polizist, der die Tat nicht weiter verfolgte: "Wir können heute nicht allem und jedem nachgehen".

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Beamte der Polizei NRW rennen aus dem Wald raus

Mit einem Fake-Molotow drängen die Aktivisten die Polizei NRW aus dem Wald

Im Hambacher Forst kettete sich eine 22-jährige vermummte Aktivistin an ein Auto am Waldeingang, um die Durchfahrt von Räumungsfahrzeugen zu verhindern. Sie wurde am Samstag von drei Polizeibeamten aus dem Wald transportiert, berichten Augenzeugen, andere Vermummte sollen sich laut Polizei währenddessen mit Eisenstangen genähert haben. Die Polizei kontrollierte 40 Personen, nahm davon 21 kurz in Gewahrsam, drei Aktivisten wurden vorläufig festgenommen.

In Chemnitz, bei einem 40-Fachen an Demonstranten, geht die Polizei aktuell 43 Anzeigen, unter anderem ermittelt sie gegen zehn Menschen, die einen Hitlergruß gezeigt hatten. 18 Demonstranten beider Lager und zwei Polizisten wurden verletzt.


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Auch wenn man diese beiden Polizeieinsätze nicht direkt vergleichen kann, stellt sich die Frage: Warum war die Polizei in NRW im Verhältnis so viel stärker aufgestellt, um ein paar Dutzend Umweltaktivisten von Bäumen zu holen, als die Polizei in Sachsen, die es mit Tausenden Neonazis zu tun hatte?

Vielleicht ist es die Routine, die den gut vorbereiteten Großeinsatz der Polizei am Hambacher Forst im Vergleich zu Chemnitz erklären lässt. Vielleicht ist es die Angst vor der Unübersichtlichkeit in einem Waldstück, das mit Mienen-Attrappen durchzogen ist, oder vor den linken Protestierenden, die durch ihre Vermummung wie eine Guerilla Einheit wirken – etwa das Gegenteil der glatzköpfigen Demonstranten in Chemnitz, die durch die breiten Straßen einer ostdeutschen Stadt marschieren. Dass die Polizei dort jedoch extrem unterbesetzt war, räumte ein Sprecher ein: Man habe mit einigen Hundert Teilnehmern gerechnet, aber nicht mit einer solchen Teilnehmerzahl, sagte er gegenüber Journalisten. Zu einem Routineeinsatz wie in Hambach sollte ein Aufmarsch von Tausenden Rechtsextremen dennoch nie werden.

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An diesem Wagen hatte sich die 22-jährige Aktivistin festgekettet

An diesem Wagen, der in den Boden eingelassen wurde, war die 22-jährige Aktivistin festgekettet

Mehrere Hundertschaften eskortierten Politiker aus NRW am Dienstag durch den Wald

Am Dienstag eskortierten mehrere Hundertschaften Politiker und Politikerinnen aus NRW durch den Wald

Umweltaktivisten hängen in den Bäumen

Gefahr von oben? Ein Umweltaktivist hängt in den Baumwipfeln

Bei der Waldbegehung gehen Beamte an Barrikaden entlang

Während der Waldbegehung vereinbarten Polizei und Campende einen kurzen Waffenstillstand

Banner mit Warnungen hängen in den Bäumen

Wer die Existenz der Bäume nicht respektiere, müsse mit Widerstand rechnen, steht auf dem Banner

Im ganzen Wald findet man Baumhäuser

In Baumhäusern leben Aktivisten und Aktivistinnen, sie sind im ganzen Wald verteilt

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