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Verbrechen

Raubüberfälle: Wie Rollergangs ganze Stadtteile in Angst und Schrecken versetzen

Die britische Polizei ist machtlos und Biker wollen Bürgerwehren gründen.
Ein Roller-Raubüberfall in Farringdon | Foto: Eoin Clarke, CCTV Camera Europ

Knatternde Motorengeräusche und halbstarke Dorfjugendliche – das sind Dinge, die man normalerweise mit Motorrollern verbindet. In Großbritannien und vor allem in London ist im Laufe der vergangenen Jahre aber noch eine weitere Sache hinzugekommen: Raubüberfälle.

Die Vorgehensweise ist dabei total einfach: Der Fahrer des Rollers fährt möglichst nah an Fußgängern vorbei, während der hinter ihm sitzende Komplize dem Passanten das Handy aus der Hand reißt. Anschließend aufs Gas drücken und davonfahren.

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Vor zwei Monaten klaute ein Roller-Diebesduo dem 39-jährigen Ross McKendrick das iPhone aus der Hand – und das direkt vor seiner Haustür in einer ruhigen Wohnstraße. "Ich war schockiert, denn der Fahrer ist mitten auf dem Gehweg gefahren und der Typ hintendrauf hat mich noch geschubst", erzählt der Vertriebsleiter. "Es geht mir auch gar nicht wirklich um mein Handy, sondern mehr um die Tatsache, dass so etwas inzwischen überall passieren kann."


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Die Statistiken zu den Rollerüberfällen in London sind beachtlich: Ende des letzten Jahres berichtete die Polizei von einem Anstieg von ganzen 600 Prozent gegenüber 2014. In anderen Worten: 2016 hat es um die 7.500 Raubüberfälle und Angriffe gegeben, die auf Mopeds oder Motorrädern ausgeführt wurden – das sind mehr als 20 pro Tag. Und seitdem hat sich das Problem nur noch verschlimmert. In den letzten zwölf Monaten ist es zu 14.000 Raubüberfällen und Angriffen auf Mopeds oder Motorrädern gekommen. Also gut 38 täglich.

"Das ist wie eine Epidemie", sagt Jessica Learmond-Criqui, Vorsitzende einer Vereinigung zur Sicherheit der Wohngegend Hampstead. Ihr zufolge scheint die Polizei das Problem auch nicht in den Griff zu bekommen. Und sie musste schon alle ihre Bekannten darauf hinweisen, auf der Straße das Telefon lieber in der Tasche zu lassen.

Einige Diebe erbeuten bei ihren Streifzügen durch die Londoner Innenstadt in nur einer Stunde mehr als 20 Handys. Auch mit Gewalt: Sie greifen Passanten an, bedrohen sie mit Messern oder gar Feuerlöschern. Ein Tourist brach sich ein Bein, als ihn eine Rollergang umfuhr. Und ein Motorradfahrer musste ins Krankenhaus, nachdem er bei der Flucht vor einer Gruppe Roller-Rowdys einen Unfall gebaut hatte.

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Eine Rollerbande greift ihr Opfer mit einem Feuerlöscher an | Foto: Met Police

Der augenscheinliche Widerwille der Polizei, die Diebe zu verfolgen, sorgt für Frust. Die Behörden selbst sagen, dass die Verbrecher natürlich verfolgt würden, die öffentliche Sicherheit auf den geschäftigen Straßen aber eine bedachtere Herangehensweise fordere. Der Unfalltod des 18-jährigen Rollerfahrers Henry Hicks bei einer Verfolgungsjagd mit der Polizei spielt hier wohl auch eine Rolle.

Aber wer sind die Rollerdiebe überhaupt und was motiviert sie?

Gangexperte und Kriminologie-Dozent Simon Harding von der Middlesex University London zufolge handelt es um gelangweilte, junge Männer, die drei Dinge wollen: schnelles Geld, Nervenkitzel und einen Ruf als Nachwuchsgangster. Deshalb posten viele von ihnen auch Bilder von geklauten Maschinen in sozialen Netzwerken.

"Da Mopeds und Motorroller in Großbritannien immer beliebter geworden sind, ist auch die Häufigkeit von Verbrechen dieser Art nach oben gegangen", erklärt Harding. Dazu kommen laut ihm noch folgende fördernde Aspekte: Die Maschinen sind kleiner und die Handys wertvoller.

Handyklau auf Roller | Foto: Eoin Clarke, CCT Camera Europe

Harding hat bereits mit Dutzenden Gangmitgliedern über deren Beschäftigung gesprochen.

"Sie können die Handys innerhalb weniger Stunden knacken", erklärt er, "und dann in ihrem Bekanntenkreis weiterverkaufen." Viele der Jugendlichen besäßen gleich mehrere Mobiltelefone, die sie für verschiedene, teils illegale Zwecke wie Drogendeals einsetzten.

Wie der Experte erklärt, geht es noch um ein anderes "Gut", das er als "Straßenkapital" bezeichnet. "Die jungen Männer können hier zeigen, wie gut sie klauen und damit davonkommen können", sagt Harding. "Dadurch zeigen sie höheren Gangmitgliedern, wie nützlich sie sind. Man ist dann der Typ, der immer ein Handy parat hat oder der immer einen Roller besorgen kann."

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Der Diebstahl von anderen Rollern und Maschinen sorgt dafür, dass ernsthafte Motorradfahrer verständlicherweise immer wütender werden.

Ein Biker (nicht der in diesem Artikel zitierte) vor dem Ace Café | Foto: Chris Bethell

Auch im Ace Café, einem legendären Bikertreff im Nordwesten Londons, sorgt der aktuelle Trend für schlechte Laune. Im vergangenen Jahr wurden in London laut der Polizei nämlich über 15.000 Roller, Motorräder und Mopeds gestohlen.

"Ich sehe hier in London jede Woche irgendwelche krummen Dinger", erzählt der 30-jährige Biker Jesus Woodward. "Entweder knackt jemand ein Schloss, schiebt eine Maschine weg oder zwei Typen umkreisen ein abgeschlossenes Motorrad." Laut ihm handele es sich dabei vor allem um Teenager, die kleinere Mopeds dann entweder weiterverkaufen oder zum Spaß herumfahren, bis ihnen langweilig wird. Dann gäbe es aber auch noch die älteren Jungs, die es auf teurere Maschinen abgesehen haben und auch organisierter vorgehen, so Woodward. "In Bezug auf den Weiterverkauf von ganzen Motorrädern oder Einzelteilen wissen die genau, was sie tun."

Foto: Bristolbiketaker

In Bristol ist eine Gang berüchtigt dafür, mit ihren Raubzügen auf Instagram anzugeben. Bei "Bristolbiketaker" sind dementsprechend häufig Fotos von gestohlenen Motorrädern zu sehen, die entweder zum Verkauf stehen oder in DIY-Werkstätten auseinandergenommen werden.

Sergeant Rob Cheeseman sagt, dass die Polizei von Bristolbiketaker wüsste und durch Informationen aus den sozialen Netzwerken schon mehrere Leute festnehmen konnte.

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"Wir haben uns entschieden, den Account nicht löschen zu lassen. Die könnten ja ganz einfach einen neuen erstellen", erklärt Cheeseman. Außerdem sei das Profil eine zu gute Informationsquelle, so der Polizist.

Screenshot: Bristolbiketaker

Einige Motorradfahrer glauben nicht, dass der Trend der Roller-Raubüberfälle und -Diebstähle in naher Zukunft enden wird. So erzählt der Motorradfahrer Woodward auch, dass in Bikerkreisen schon darüber diskutiert wird, die Sache selbst in die Hand zu nehmen.

"Manche Biker wollen eine Art Bürgerwehr gründen, weil die Polizei die Lage nicht geregelt bekommt", sagt er.

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