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Wir haben mit den Machern des Magazins gesprochen, das mit HIV-Blut gedruckt wurde

Das österreichische Schwulenmagazin ,Vangardist' ist überall auf der Welt in den Schlagzeilen, weil seine aktuelle Ausgabe mit HIV-Blut gedruckt wurde. Hier unser Interview mit dem Herausgeber.
Foto via HIVHeroes.org

Wenn ihr ab und zu online seid, stehen die Chancen gut, dass ihr bereits von der aktuellen Ausgabe des Vangardist Magazins gehört habt, die mit HIV-infiziertem Blut gedruckt wurde. Genauer gesagt wurde bei 3.000 der insgesamt 18.000 Exemplare die Druckertinte mit sterilisiertem Blut versetzt, das den tödlichen Virus in sich trägt (aber natürlich völlig ungefährlich ist). Wir haben Julian Wiehl, den Herausgeber von Vangardist, getroffen und mit ihm über die Kampagne, sein Magazin und die Initiative HIV Heroes gesprochen, bei der sich jeder beteiligen kann, der zu mehr Aufklärung und weniger Stigmatisierung von HIV beitragen möchte. Die gesamte Ausgabe „HIV Heroes" könnt ihr hier online nachlesen.

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VICE: Was genau wollt ihr mit der aktuellen Aktion?
Julian Wiehl: Wir wollten ein Zeichen gegen das Stigma setzen, mit dem HIV-infizierte Menschen heute immer noch kämpfen. Das Problem ist ja nicht, dass HIV nie in den Schlagzeilen gewesen wäre—das Problem ist eher, dass HIV heute nicht mehr in den Schlagzeilen ist. Das wollten wir ändern. Und da reicht es leider nicht, das Thema einfach nur sachlich anzuschneiden.

Was sagt ihr Leuten, die Angst vor dem Kontakt mit HIV-Blut haben?
Zuerst einmal, dass es genauso gefahrlos ist, das Magazin zu lesen, wie auch der normale Umgang mit einem HIV-infizierten Menschen gefahrlos ist. Man könnte aus medizinischer Sicht heutzutage sogar mit einer HIV-infizierten Person geschützten Geschlechtsverkehr haben, wenn man vorsichtig ist. Die Belastung durch die Krankheit ist weitaus geringer als die Stigmatisierung.

Welches Feedback habt ihr so bekommen?
HIV-infizierte Menschen selbst sind ziemlich begeistert. Wir haben sogar Zuspruch aus Kalifornien und Singapur bekommen—überhaupt aus aller Welt.

Gab es auch negative Reaktionen?
Ja, wenn auch in einem viel geringeren Umfang. Die negativen Reaktionen waren in zwei Kategorien geteilt: Die einen meinten, dass so eine Aktion zu einer heftigen Gegenreaktion führen könnte und das Stigma erst recht wieder größer wird. Die anderen kamen tatsächlich mit Sätzen wie „Put those assholes in jail for attempted murder." Aber insgesamt waren die Reaktionen überwiegend positiv und es freut uns sehr, dass die Leute überall auf der Welt so gut darauf angesprochen haben.

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Hattet ihr vor der aktuellen Ausgabe jemals Probleme mit Diskriminierung?
Nein, überhaupt nicht. Vangardist hatte in der gesamten 5-jährigen Geschichte noch nie negative Kommentare. Wir hatten auch nie mit Anfeindungen zu kämpfen. Und das, obwohl wir immer schon sehr kontroverse Themen aufgegriffen haben. Auch jetzt habe ich die Kritik nicht wirklich als Drohung verstanden, sondern als Ausdruck von Angst. „Put them into jail" heißt ja mehr, jemand sollte sich der Sache annehmen und die Rechtmäßigkeit überprüfen. Das kommt aber von uninformierten Menschen, die nicht verstehen, dass von der blutversetzten Tinte keine Gefahr ausgeht. Es ist vielleicht erstaunlich, aber wir erleben die Gesellschaft als wirklich sehr tolerant.

Du meintest vorhin, dass es heftige Kampagnen braucht, damit Leute auf das Thema anspringen. Ärgert dich das?
Es ist schon auch traurig, dass Menschen sich nicht anders aufklären lassen und es solche Aktionen überhaupt braucht, um das Bewusstsein für HIV wieder zu schärfen. Aber andererseits hat es ja zumindest diesmal funktioniert, also sollte man sich nicht ärgern, sondern freuen.
Das Wichtigste ist, dass es die Menschen erreicht. Nicht die Krankheit ist das Schlimme, sondern die Ausgrenzung danach. Die Krankheit bringt bereits genügend Probleme mit sich—man hat Schuldgefühle, leidet, beschäftigt sich mit dem Tod und so weiter. Da braucht man nicht auch noch den Druck von außen. Wenn ich vor dem Virus Angst schüre, schüre ich auch gleichzeitig die Angst vor jedem Menschen, der den Virus hat. Das führt zu nichts.

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Gab es auch im Vorfeld schon viele Supporter für eure Kampagne?
Nein, im Gegenteil—im Vorhinein wollte niemand wirklich etwas damit zu tun haben. Man hat gesehen, dass die Leute Angst haben. Darum heißt die Ausgabe auch HIV Heroes — die Helden sind diejenigen, die ihre Ängste überwinden, du und ich, die mit ihren Kindern darüber reden. Ziel ist es schon, dass jeder einzelne sein Umfeld überzeugt. Dass die Menschen den liberalen Geist in die Welt hinaus tragen. So wie das auch Conchita Wurst getan hat—da war es ja eine ähnliche Sache.

Foto von Vangardist, via HIV Heroes

Hat Conchita Wurst deiner Meinung nach Österreich verändert?
Auf jeden Fall. Conchita oder Tom hat aufgezeigt, wie es wirklich aussieht. Sie hat Probleme und Vorurteile sichtbar gemacht und über ihre Unterhaltung sozusagen das OK eingeholt, dass unsere Gesellschaft insgesamt liberaler sein darf. Sowohl die Gesellschaft als auch Politik gehen ja immer den Weg des geringsten Widerstands. Wenn man befürchtet, mit einer liberaleren Weltsicht anzuecken, lässt man es bleiben. Vor allem, wenn man auf Wähler und damit auch die breite Masse angewiesen ist. Conchita Wurst hat der Politik gezeigt, dass unsere Gesellschaft offener ist, als man typischerweise glauben würde. Und ich meine damit auch dezidiert die Gesellschaft in Österreich. Die Homo-Ehe hat sogar unter Lesern der Kronen Zeitung inzwischen mehr Befürworter als Gegner.

Trotzdem hat Conchita Wurst im Vorfeld kein Publikums-Voting gewonnen, sondern wurde als ESC-Teilnehmer bestimmt.
Ich glaube, das liegt am Geschmack der Österreicher. Da haben vermutlich die anderen Länder Österreich überzeugt. Ein bisschen so wie bei unserer Kampagne. Die Idee schlummert seit Langem in der Schublade von Saatchi & Saatchi und niemand hat sich getraut, sie umzusetzen.

Was uns wieder zurück zur Angst bringt.
Ja. Der Unterschied zu anderen Ländern ist, dass wir vorsichtiger sind als andere. Aber das passiert in Österreich nicht aus ideologischen Gründen. Jetzt ist die Resonanz sogar in meinem Heimatbundesland Vorarlberg hauptsächlich positiv—und dort ist man doch eher konservativ. Wenn eine Sache erst mal umgesetzt ist, sind die Österreicher auch Feuer und Flamme dafür. Im Vorfeld sind wir eben wirklich einfach ein bisschen ängstlich. Aber am Ende geht es immer um die Sache.

Wie sieht dein weiterer Plan aus?
Mir ist wichtig, die Seite HIV Heroes groß zu machen. Im Idealfall geben wir die Seite auch an eine NGO ab, aber dafür ist es jetzt noch zu früh. Wir fangen gerade erst an.

Markus auf Twitter: @wurstzombie