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Die längste Wahl der Welt

Sollte der Bundespräsident wirklich direkt gewählt werden?

Der Bundespräsidenten-Wahlkampf hat die Tücken der direkten Demokratie offengelegt. Es läuft auf Polarisierung, Populismus und Schwarz-Weiß-Malerei hinaus.​

Foto: Screenshot via ORF

In der Theorie klingt das Mittel der direkten Demokratie wie das demokratischste von allen. Die fatalen Tücken, die dieses System mit sich bringt, erkennt man nicht auf den ersten—und oft auch nicht auf den zweiten—Blick. Deshalb sind direkte Abstimmungen auch so schwer angreifbar, Kritiker gelten schnell als faschistoid oder als arrogant. Entweder ist man für die Demokratie, dann aber immer mit allen Methoden, oder nicht. Ansonsten donnert einem schnell das Totschlagargument "Das Volk hat doch immer Recht! Halten Sie die Bürger denn etwa für dumm?" entgegen.

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Deshalb müssen wir dieses Thema sehr kleinlich diskutieren. Direkte Demokratie ist weder gut noch schlecht—sie ist ganz einfach in manchen Fällen sinnvoll und in anderen nicht. Eine allgemein gültige Formel "wenn X, dann direkte Demokratie" konnte noch niemand Seriöses aufstellen.

Das zeigt auch die internationale Sicht auf die Auswahl und Tätigkeiten von Staatsoberhäuptern, die sich sehr unterscheiden—selbst innerhalb Europas. In England etwa schaut seit 64 Jahren Queen Elisabeth II. der nationalen Politik zu, während in Polen der direkt gewählte Präsident den Staat umkrempelt und in Deutschland dem indirekt gewählten Bundespräsidenten Bedeutungslosigkeit vorgeworfen wird. Eins vereint sie aber fast alle: Beliebtheitswerte weit oberhalb von normalen Politikern. Sie sind da, wenn die Regierung versagt und oft sind sie noch dazu die einzige Konstante in instabilen Zeiten.

Nichts symbolisiert diese Aufgabe besser als das Leben von Bhumibol Abulyadej, dem König von Thailand. Im Alter von 18 Jahren bestieg er den Thron; im Jahr 1946. Dort sitzt er heute, 70 Jahre später, noch immer. Er sah 48 Regierungen kommen und gehen—und überlebte 17 (meist vom Militär organisierte) Staatsstreiche. In einem politisch und militärisch so instabilen Land ist der König so ziemlich das Einzige, auf das sich alle einigen können.

Das thailändische Staatsoberhaupt bei seiner Krönung. Das 50-jährige Copyright für dieses Foto ist bereits längst abgelaufen.

Das soll jetzt sicher kein Appell für eine Monarchie werden—und schon gar keine Verteidigung von viel zu lange herrschenden, privilegierten Familien mit veralteten Ansichten. Aber es zeigt, wozu ein Präsident da sein kann. Nämlich, um das Volk in einem gemeinsamen Bekenntnis zu vereinen. Auch, wenn in der Tagespolitik gerade alles schief läuft und die ideologischen Gräben zwischen den Parteien und innerhalb der Gesellschaft tiefer werden, gibt es mit dem Präsidenten häufig einen, hinter dem alle stehen. Der Rückhalt der Bevölkerung ist für einen Präsidenten viel wichtiger als für einen Fachminister, weil eine seiner zentralen Aufgabe die Wahrung des "großen Ganzen" darstellt.

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Diesen Gedanken findet man auch in der österreichischen Verfassung. Niemand kann Präsident werden, der nicht 50 Prozent aller Stimmen hinter sich versammelt hat. Eine relative Mehrheit, wie im Parlament, reicht für seinen politischen Auftrag also nicht aus.

In der Zweiten Republik war das nie sonderlich schwer: Nur 4 von 13 Bundespräsidenten-Wahlen brauchten einen zweiten Durchgang, um den Sieger zu bestimmen. So knapp wie zwischen Norbert Hofer und Alexander Van der Bellen war es überhaupt noch nie. Aber es geht nicht nur um die paar Tausend Stimmen zwischen den beiden Kandidaten.

Dass die zwei Männer sind, ist so ziemlich das einzige, das sie verbindet. Politisch könnten Van der Bellen und Hofer nicht weiter voneinander entfernt sein. Noch nie stand ein Grüner in der Stichwahl einer Bundespräsidenten-Stichwahl; und noch nie ein FPÖler. Die Leute haben die alten Großparteien und den breiten gesellschaftlichen Konsens abgewählt. Sie wollten klare Antworten und ein wirkliches Duell der Weltbilder. Die Polarisierung führt wahrscheinlich dazu, dass das verlierende Lager nicht wirklich mit dem anderen Präsidenten leben kann.

Nach dem Sieg bei der ersten Stichwahl von Van der Bellen ging dieses (Profil-)Bild viral. Der Urheber ist unbekannt.

Diese Entwicklung ist im Hinblick auf die soziologische Entwicklung der österreichischen Wähler nicht weiter verwunderlich. Seit Jahren heißt es, dass die Großparteien jetzt aber wirklich bald aussterben werden. Die Bundespräsidenten-Wahl ist ein Vorbote von dem, was in ein paar Jahren oder Jahrzehnten auch im Parlament nichts Ungewöhnliches sein könnte. Da darf man schon mal fragen: Sind unser Wahlrecht, unsere Verfassung und die Kompetenzen des Bundespräsidenten noch zeitgemäß?

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Zumindest auf die letzte Fragen haben die beiden Kandidaten selbst eine Antwort. Während Van der Bellen seine Macht als Bundespräsident begrenzen will, möchte Hofer sie als "aktiver" Präsident weiter ausbauen. "Norbert Hofer ist der Einzige, der Gerechtigkeit schafft, indem er Ungerechtigkeiten abstellt: bei Luxuspensionen, Zwei-Klassen-Medizin, Pflege und Familien oder beim Gebühren- und Mietwucher", steht auf seiner Homepage. Bei der Pressekonferenz im August präsentierte er sein "Wahlprogramm", dem zufolge er ein besseres Asyl- und Rentenrecht, die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit, die Entbürokratisierung des Gewerberechts und die Senkung des Steuersatzes will. Was genau er will, ist daran auch gar nicht die große Sache. Es geht darum, dass er überhaupt etwas will.

Bei der ersten Stichwahl warb Norbert Hofer mit einem "neuen Amtsverständnis". Foto: norberthofer.at

Einen Bundespräsident, der in der Tagespolitik mitmischen will, gab es in Österreich in der Form noch nie. Rechtlich hat er keine konkreten Befugnisse, aber was hindert den mächtigsten Mann im Staat daran, der Regierung Beine zu machen, wie es Hofer angekündigt hat? Mittlerweile erinnert sich dabei wohl jeder an seinen berühmten Sager "Sie werden sich noch wundern, was alles möglich ist"—von dem Hofer selbst inzwischen sagt, dass er sein größter Fehler war.

Was dabei immer mitschwingt: Wenn die Regierung nicht macht, was Hofer will, dann entlässt er sie einfach. Hofer greift bewusst die Machtkonstellation des Staates, ein System aus gegenseitiger Macht und Kontrolle, an. Er will das Amt des Präsidenten—ein Kontrollorgan—so gestalten als wäre er Kanzler, und damit an der Macht. Damit würde sich die Machtbalance erheblich verschieben—von einem parlamentarischen zu einem präsidialen System. Wie praktisch, dass die FPÖ seit Jahren die Zusammenlegung von Kanzler und Präsident fordert.

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Dieser kurze innenpolitische Exkurs hat aber auch mit direkter Demokratie grundsätzlich zu tun. Direkte Wahlen sind bei den meisten Personenwahlen sinnvoll. Zur Bestimmung eines Schulsprechers reicht hauptsächlich die Sympathie des Antretenden aus, um ihn zu wählen. Bei komplexen Sachthemen übernehmen weltbildlich klar strukturierte Parteien die Selektion für uns. Andernfalls müssten wir jede Woche über Dinge wie die "Festsetzung von Hundertsätzen für die Bemessung von Kaufkraftausgleichszulagen für im Ausland verwendete Beamte und Vertragsbedienstete des Bundes" abstimmen.

Der BP-Wahlkampf hat die Tücken der direkten Demokratie offengelegt. Es läuft auf Polarisierung, Populismus und Schwarz-Weiß-Malerei hinaus.

Politik sieht von außen sehr einfach aus. Aber damit man wirklich über ein internationales Wirtschaftsabkommen urteilen kann, muss man Tausende Seiten studiert haben, um den Sachverhalt überhaupt erst seriös wiederzugeben. Das jüngste Beispiel dafür ist der Brexit, bei dem viele Befürworter nicht wussten, was ein Ausstieg aus der EU wirklich bedeuten würde. Über 1,2 Millionen Briten bereuten ihre Wahl, so eine Studie. Würde heute nochmals abgestimmt werden, sähe das Ergebnis höchstwahrscheinlich völlig anders aus.

In unserer Demokratie, in der Politik fast ausschließlich über Medien vermittelt wird, sagen Journalisten viel zu selten, das Politik fürchterlich kompliziert sein kann. Leider finden dann meist nur die einfachen Antworten Eingang in die Berichterstattung. Die direkte Wahl befeuert das. Der Wahlkampf um das Amt des Bundespräsidenten hat die Tücken der direkten Demokratie offengelegt. Es läuft auf Polarisierung, Populismus und Schwarz-Weiß-Malerei hinaus.

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Anders als bei der Nationalratswahl, bei der die Stimmen auf 183 Abgeordnete relativ verteilt werden und so viele unterschiedliche Meinungen in die Debatte des Nationalrats einfließen, kann nur einer Bundespräsident werden. The winner takes it all. Und im schlimmsten Fall sagt er—und nicht das Parlament—dann, wo's lang geht. Herr Hofer, wenn Sie mir eine Anmerkung erlauben: Das Recht geht vom Volk aus. Nicht vom Präsidenten.

Vielleicht haben auch deshalb Heinz Fischer und seine Vorgänger freiwillig auf ihre reale Macht verzichtet. Natürlich hätte Heinz Fischer sozialdemokratische Politik aus der Hofburg machen können (wenn es Werner Faymann schon nicht tat). Aber für die Gesellschaft wäre das nicht gut gewesen. Alle Wähler der anderen Parteien hätten sich darüber geärgert und sich voneinander entfernt. Dafür wurde der Präsident nicht gewählt.

The times they're a changin'. Screenshot von Wikipedia, Daten vom BMI.

Wenn man persönliche Interessen und die eigene politische Meinung einmal bewusst weglässt, erkennt man, dass weder Norbert Hofer noch Alexander Van der Bellen das Land am besten mit dem Wohlwollen der meisten Österreicher repräsentieren können wird. Ihre Legitimation steht auf wackeligen Beinen.

Würde der Präsident indirekt durch den Nationalrat gewählt, wie es in Deutschland üblich ist, wäre das Ergebnis wohl ziemlich sicher ein anderes. Die Parteien hätten sich um einen Konsens bemühen müssen. In diesem Szenario würde die Bundespräsidentin heute sehr wahrscheinlich Irmgrad Griss heißen—eine bürgerliche Kandidatin, auf die sich alle politischen Spektren einigen können. Zumindest hätten ganze fünf Parlamentsparteien ihre Bewerbung als Rechnungshof-Präsidentin unterstützt.

Da es aber so ist, wie es ist, müssen wir uns in diesen Zeiten vom Gedanken verabschieden, dass ein direkt gewählter Bundespräsident einen klassischen Personenwahlkampf führen wird. Die Möglichkeit ist zu gut, um populistische Themen zu deponieren. Es wird auch kaum möglich sein, überlegte, komplizierte Argumente anzubringen. Die Wahl wird sich immer auf 0 oder 1 zuspitzen. Dazwischen ist kein Platz für Subtext. Dann haben wir sie endlich—die klaren, aber eben auch radikalen Antworten.

Christoph auf Twitter: @Schattleitner