Wie die FDP mit dem Koch-Areal Wahlkampf betrieben hat
Bild von Twitter/Jean-Marc Hensch

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Wie die FDP mit dem Koch-Areal Wahlkampf betrieben hat

Die Zürcher FDP fordert den Verkauf des Koch-Areals an einen privaten Investor.

Die Stadtmenschen, die derzeit von unzähligen Zürcher Plakatflächen auf uns herabstrahlen, sind hip, weiss und glücklich. Sie sind angetreten, um die zum Inbegriff der Zürcher Gentrifizierung verkommene Europaallee in ein gutes Licht zu rücken—mit einem Zahnpastalächeln, das wohl auch im Dunkeln leuchtet. Gemäss der Werbeagentur Hochspannung, welche die Kampagne umgesetzt hat, stehen die Menschen "für die enorme Vielfalt des neusten Zürcher Stadt-Quartiers". Ihr Claim: Ein Quartier voll Zürich. In dem wohlgemerkt die günstigste noch erhältliche 3.5-Zimmer-Wohnung 4.700 Franken pro Monat kostet. Die Kampagne versucht die Europaalle zu beleben, indem sie eine Parallele zu anderen Quartieren zieht: "Fast wie auf der Josefswiese, fast wie im Uni-Viertel, fast wie überall in der Stadt."

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Hat die Marketing-Abteilung wohl vergessen Bescheid zu sagen dass Skater cool sind — Philipp Kotsopoulos (@philko04)27. Mai 2016

Aber eben nur fast. Denn ausserhalb der Ladenöffnungszeiten herrscht in den bereits fertiggestellten Blöcken der Europaallee eine sterile, gähnende Leere—mitten im Herzen von Zürich. Bereits 2013 bilanzierte die Süddeutsche Zeitung, Zürich baue eine Innenstadt für Topverdiener. Im Schmähartikel kritisierte ETH-Architekturprofessor Hubert Klumpner etwa, die Europaallee sei der neoliberale Endpunkt einer Stadtentwicklung, die nur auf Gewinnmaximierung ausgelegt sei.

Die Leier ist in allen europäischen Städten dieselbe: Ein Quartier wird durch eine gewinnorientierte Stadtplanung "aufgewertet", die Bewohner durch steigende Mietzinsen von Besserverdienenden verdrängt, die weder die Zeit noch die Inspiration haben, am Leben im Quartier teilzunehmen.

Kreatives Angebot ausserhalb der Ladenöffnungszeiten

Das besetzte Koch-Areal in Albisrieden bildet mit seinem unkommerziellen Kulturangebot sozusagen die Antithese zur Europaallee. Doch wie die Europaallee, stand auch die Besetzung in letzter Zeit im Fokus einer polarisierenden Medienberichterstattung. Wenn auch eher unfreiwillig. Die Parteien sprangen auf den Zug auf, sie positionierten sich im Vorwahlkampf: Auf der einen Seite die rot-grüne Stadtregierung, welche die Besetzung vorläufig duldet. Nachdem das Areal 2013 besetzt wurde, hatte die Stadt das Areal der UBS, der ehemaligen Eigentümerin, für 70.2 Millionen Franken abgekauft.

Auf der andern Seite stehen die bürgerlichen Parteien, die für autonome Freiräume traditionell nur wenig übrig haben und deshalb eine Räumung des Areals fordern. Die Zürcher FDP lancierte gestern gar eine Volksinitiative zum Verkauf des Koch-Areals an einen privaten Investor und liess die Besetzung damit endgültig zum Spielball der Politik verkommen. Wie konnte es so weit kommen?

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Neue städtische Volksinitiative mitlanciert: Wir wollen, dass Stadt das — Dominique Zygmont (@d_zygmont)26. Oktober 2016

Seit drei Jahren hauchen rund 150 Besetzer dem Quartier mit diversen Ausstellungen, Kursen, Sportangeboten und Musikveranstaltungen kreatives Leben ein. Anders als in der Europaallee ist dieses Kulturangebot auf dem Koch-Areal auch ausserhalb der Ladenöffnungszeiten erhältlich.

Verhältnis zu den Nachbarn verschlechterte sich

Wie bei praktisch allen Kulturveranstaltungen entsteht bei Events auf dem Koch-Areal unter anderem auch Lärm. Für die Allgemeinheit eigentlich kein grosses Problem, denn in unmittelbarer Nähe des Areals stehen neben Bürogebäuden, einem Autohaus und zwei Tankstellen nur wenige Wohnhäuser.

Die Anwohner waren der Besetzung nach eigenen Angaben anfangs noch gut gesinnt. "Der Kontakt mit den Besetzern war angenehm", wie einem Erfahrungsbericht auf dem Blog der Anwohner zu entnehmen ist. So seien die Nachbarn im Vorfeld von Veranstaltungen informiert und eingeladen worden. Nach und nach verschlechterte sich jedoch das Verhältnis zwischen den Besetzern und den Anwohner und bei der Polizei häuften sich die Lärmklagen von frustrierten Nachbarn.

171 Klagen von einer Handvoll Klägern

Wie eine Anwohnerin in einem öffentlichen Erlebnisbericht selbst schildert, hätten die Veranstaltungen die Lärmpegelgrenzwerte manchmal gar nicht überschritten, weswegen die Fachstelle für Lärmbekämpfung der Stadtpolizei Zürich oft nicht einschreiten konnte. Obwohl die Koch-Besetzer in ihren Veranstaltungsräumen diverse Schallschutzmassnahmen vorgenommen haben, stiegen die Lärmklagen dieses Jahr auf 171 Einzelklagen. Mathias Ninck, Sprecher des Sicherheitsdepartementes der Stadt Zürich, erklärte gegenüber der Schweiz am Sonntag jedoch, dass fast alle der 171 Lärmklagen "von den gleichen vier bis fünf Personen" stammten. Über eine Party am Wochenende hätten sich die gleichen Anwohner gleich mehrmals beschwert.

Nichtsdestotrotz führte die Beschwerdeflut der Anwohner vor gut einem Monat zu einer regelrechten Lawine öffentlicher Entrüstung über die Besetzung auf dem Koch-Areal. Auslöser war der Artikel "Koch-Areal: Es reicht" des Tages-Anzeiger-Polizeireporters Stefan Hohler, der zusammen mit seinem Kollegen Marius Huber ein stärkeres Durchgreifen seitens der Stadtregierung forderte. Artikel mit Titeln wie "Unhaltbare Zustände" und "Zürcher Koch-Areal räumen wie damals den Platzspitz" folgten vom vermeintlich links-liberalen Tages-Anzeiger. Zudem kritisierte—wohl zur Überraschung aller Beteiligter—der Stadtblogger und Alt-Wohlgroth-Besetzer Réda El Arbi in einem offenen Brief an die Besetzer weniger deren Lärmemissionen, als den Hundekot rund ums Areal und den mangelnden Grundrespekt der Besetzer im Umgang mit Mitmenschen: "So schön einzelne eurer sozialen Projekte auch sind, so stark verlieren sie an Glaubwürdigkeit, wenn ihr euch eurem direkten Umfeld gegenüber wie asoziale Egoisten verhaltet."

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Etwas vorhersehbarer titelte die bürgerliche NZZ: "Stadtrat übt sich im Aussitzen", "Wie viel Verständnis für Hausbesetzer?" und "Das Koch-Areal ist ein Auslaufmodell". Allen Artikeln gemeinsam ist der einseitige Fokus auf das Lärmempfinden der Nachbarn. Der gesellschaftliche und kulturelle Wert eines autonomen Freiraums wird dabei hinterfragt oder sogar negiert.

Hochgekochte Berichterstattung

Die Besetzer konterten die tendenziöse Berichterstattung in gewohnt gewitzter Manier mit einem online Artikel-Generator für Journalisten und Polizeireporter. Nach dem Baukastenprinzip ordnet dieser zufällig verschiedene Textbausteine an, welche die Besetzer plakativ kritisieren. Der digitale Seitenhieb gegen die hochgekochte Berichterstattung wurde zudem mit einem "Viel Lärm um nichts"-Plakat an der Fassade des besetzten Hauses ergänzt. Eine Anspielung auf die Herkunft der Lärmklagen.

Die Besetzer hielten deshalb auf ihrer Homepage fest: "Aus den Lärmklagen einer Handvoll Anwohner*innen wird das Bild eines terrorisierten Quartiers konstruiert (…) und rechte Politiker*innen ergreifen genüsslich die Möglichkeit, die gewaltsame Schliessung autonomer Räume zu fordern." Die SP-Politikerin Min Li Marti vermutete in der linken Zürcher Zeitung P.S. den Freisinn als "treibende Kraft hinter der ganzen Aufregung rund ums Koch-Areal." Die gestern lancierte FDP-Initiative zum Verkauf des Koch-Areals an einen privaten Investor ist ein Indiz dafür, dass sie damit richtig liegen könnte.

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Stadtregierung reagiert mit Vier-Punkte-Plan

Tatsächlich spielten die Lärmklagen bürgerlichen Politikern wie Mauro Tuena (SVP), Claudia Simon (FDP) oder Markus Hungerbühler (CVP) in die Hände, die von der rot-grün dominierten Stadtregierung schon lange eine Räumung des Koch-Areals einfordern. Doch wie Stadtpräsidentin Corine Mauch (SP) zusammen mit Finanzdirektor Daniel Leupi (Grüne) und Polizeivorsteher Richard Wolff (AL) an einer Pressekonferenz Anfang Monat mitteilten, werden sie weiter "an der bewährten und erfolgreichen Zürcher Praxis, besetzte Liegenschaften nicht auf Vorrat zu räumen", festhalten.

Die Stadtregierung diktierte den Besetzern jedoch neue Regeln, um den Partylärm auf dem Areal zu reduzieren. In einem Vier-Punkte-Plan, der von einer einfachen Verwarnung bis hin zur Räumung des Areals reicht, hielt die Stadt ihr Vorgehen fest, sollte dieser nicht eingehalten werden.

Lage hat sich beruhigt

Seither sei es in der Nachbarschaft ruhig geworden, bilanziert Judith Hödl vom Mediendienst der Stadt Zürich auf Anfrage. Es seien keine weiteren Lärmklagen eingegangen. Es scheint, als hätten sich abgesehen von der FDP alle Beteiligten wieder beruhigt. Und das ist auch gut so. Denn die Frage, mit der man sich im Zusammenhang mit dem Koch-Areal eigentlich beschäftigen sollte—und von der übrigens auch viele der Leute betroffen sind, die sich über das Benehmen und die Lärmemissionen der Besetzer aufgeregt haben—lautet: Welche Stadtentwicklung ist für das Leben in einer vielschichtigen Gesellschaft wie jener in Zürich sinnvoll?

Es darf davon ausgegangen werden, dass das Koch-Areal noch einige Jahre existieren wird. Denn gemäss der Stadtregierung wird das Gelände erst geräumt, wenn der Eigentümer—in diesem Falle die Stadt Zürich selbst—eine Baubewilligung inklusive Baufreigabe für ein neues Projekt vorlegen kann. Und das wird gemäss André Odermatt, Vorsteher des Hochbaudepartementes, nicht vor dem Jahr 2020 passieren. Zudem ist es fraglich, ob die Verkaufs-Initiative der FDP schneller zu einer Räumung führen würde. Denn gemäss einer Einschätzung der NZZ müsste auch ein privates Projekt zeitaufwändige politische Hürden überwinden.

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