Im Gespräch mit der Berner Graffiti-Crew OWZ – Teil 1

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Im Gespräch mit der Berner Graffiti-Crew OWZ – Teil 1

Die Crew-Mitglieder sprechen darüber, wie sie damit umgehen, dass ihre Passion illegal ist und wieso Sprüher aus dem Ausland das Berner S-Bahn-Netz lieben.

Alle Fotos von Spnx Obwohl jeder in Bern OWZ kennt, kennt fast keiner die Menschen dahinter. Die Kombination der drei Buchstaben taucht überall an den Wänden der Stadt auf. Für manche sind die Graffitis eine Schande, für andere eine willkommene Abwechslung im durchgeplanten Stadtbild. OWZ ist aber nicht nur in Bern unterwegs, sondern reist regelmässig in Europas Metropolen, um auch dort mit befreundeten Sprühern Spuren der Crew zu hinterlassen. Der Berner Fotograf Spnx, Herausgeber des Skate-Magazins AJVT, hat ein paar Leute von OWZ auf einer Tour durch Frankreich begleitet. "Paris war für mich am eindrücklichsten", erinnert er sich. "Die Tunnel sind perfekt ausgeleuchtet. Die Jungs haben gemalt und ich hatte sehr viel Zeit für Fotos." Auch die anschliessende Rückkehr in die alltägliche Realität der Stadt an der Seine sei eine besondere Erfahrung gewesen. "Du kommst aus der Unterwelt wieder in die Station, wo du verschwitzt und dreckig von hunderten Leuten umgeben bist und so tun musst, als wäre nichts gewesen", erzählt Spnx.

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Die Fotos von Spnx haben OWZ mit anderen Dokumentationen ihrer Graffitis im Buch What We See veröffentlicht. VICE hat drei Mitglieder der Crew getroffen, die sich Merlin, Tinder und Orca nennen. Sie sprechen darüber, was für sie Graffiti ausmacht, wieso Sprüher aus dem Ausland das Berner S-Bahn-Netz lieben und wie sie damit umgehen, dass ihre Passion illegal ist.

VICE: Als ich bei der Einfahrt in den Bahnhof aus dem Zugfenster geschaut habe, sah ich gleich mal einige Graffitis von euch. Ihr habt Bern schon ziemlich abgedeckt.
Tinder: Ja, du kannst aber immer noch irgendwo einen Zug oder eine Wand machen. Bei der Einfahrt in den Bahnhof ist es halt schon voll.
Merlin: Dann ist es deine Entscheidung, ob du irgendwelches altes Zeug übermalst oder nicht. Ich finde: eher nicht – ausser es ist extrem schlecht. Aber es ist auch ein Unterschied, ob du Züge oder Wände malst.
Tinder: Die ursprüngliche Idee des Zug-Graffitis war, dass du es an einem Punkt malst, danach fährt deine Leinwand durch die ganze Stadt und alle Leute sehen sie. Das ist heute nicht mehr so. Wenn du Glück hast, fährt ein Zug zwei Tage lang herum. Wenn du Pech hast, fährt er direkt in die Waschanlage und ist nach fünf Stunden wieder Corporate Identity. Das Foto hat deshalb auch sehr viel an Wert gewonnen. Viele von den von uns gemalten Zügen hätten die Leute gar nicht gesehen, wenn wir keine Fotos davon gemacht hätten. Und es ist das einzige, was dir von deiner Arbeit bleibt. 
Orca: Neben den Erinnerungen, die du hast.

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Verbreitet ihr die Fotos auch weiter?
Merlin: Wir veröffentlichen ab und zu mal ein kleines Video, aber die Fotos weniger.
Tinder: Ab und zu schicken wir sie bei Magazinen ein. Es gibt auch Leute, die ihre Sachen auf Instagram zeigen. Das ist im Prinzip das Gleiche, was wir mit dem Buch gemacht haben. Nur dass unseres eben analog und nicht digital ist.
Merlin: Schön am Buch ist auch, dass du etwas Zuhause haben kannst. Normalerweise hast du alles irgendwo auf einer verschlüsselten Festplatte, die du möglichst weit weg von allen aufbewahrst. Am besten irgendwo im Keller der Grossmutter.
Tinder: Und wenn jemand fragt, kannst du sagen, dass du das Buch im Laden gekauft hast. Du hast also nichts mit dem Ganzen zu tun. Wir sind auch glücklicher darüber, wenn es das Foto nur so gibt, wie wir es wollen, als wenn irgendwo im Internet ein iPhone-Foto aus einem komischen Winkel herumgeht.

Ihr habt mit Spnx eine Graffiti-Tour durch Frankreich gemacht. Ist es für euch ein grosser Unterschied, ob ihr in der Schweiz oder im Ausland sprüht?
Merlin: Ja, schon. Im Ausland ist es viel befreiter. Du musst dir keine Sorgen machen, dass dich an jeder Ecke jemand erkennen könnte. In der Grossstadt kannst du auch viel schneller irgendwo untertauchen und hast viel mehr Möglichkeiten, was die Spots angeht. 
Tinder: Hier in Bern weisst du oft, was dich erwartet. Das ist zwar praktisch, an einem neuen Ort musst du aber immer wieder die Umstände neu einschätzen. 
Merlin: Es gibt auch Zeiten, da wartet man auf Veränderungen aller Art. Im Ausland kann alles passieren. Das Ausland gibt mir auch Inspiration.
Tinder: Früher war das mit der Inspiration aber auch krasser. Damals bist du in eine Stadt gekommen und hast alles zum ersten Mal gesehen. 
Merlin: Damals hast du im Graffiti selbst, in den verschiedenen Styles neue Inspiration gefunden. Heute findest du sie eher bei den Actions. Du siehst, wie sie diese an verschiedenen Orten anders umsetzen.

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Ich hab vorher schon kurz angesprochen, dass ihr sehr aktiv seid. Was bedeutet das denn genau? Macht ihr so einmal in der Woche was?
Merlin: Das ist schwierig zu sagen. Mir persönlich war es immer wichtig, dass ich mich jeden Tag mit Graffiti beschäftige. Das mache ich schon, indem ich zum Beispiel beim Zugfahren einen Spot für ein Bild sehe oder in der Nacht rausgehe, um das S-Bahn-System besser zu verstehen. Oder indem ich zumindest jeden Tag ein kleines Tag mache. Das ist für mich genauso viel wert, wie wenn ich in einen Yard gehe und einen Wholecar male.
Orca: Man muss auch sehen, dass mehr dazugehört, als nur das Bild zu malen. Es braucht zum Teil viel Vorbereitung. Manchmal ist man auch mehr Zuhause und zeichnet ein bisschen. Das ist alles Zeit, die man für Graffiti aufwendet.
Merlin: Wenn du eine SBB malst, hast du immer zwei, drei Tage Traffic. Bei der BLS ist es oft so, dass sie dann überhaupt nicht fährt. In Bern sind wir sehr auf die BLS fixiert, einfach weil sie viel schönere Modelle hat und weil es viel interessanter ist, ein S-Bahn-System zu haben.

Was macht ein S-Bahn-System spannender?
Tinder: Die Strecken sind viel kürzer. Wenn du ein Bild malst, kommt es öfter am gleichen Ort vorbei. 
Orca: Dazu kommt das Gefühl, dass die Stadt dir gehört, weil du hier lebst. 
Merlin: Auch das Zugmodell macht es spannender. Die SBB hat in Bern fast nur noch Doppelstöcker. Ein so kleines Bild auf einem so riesigen Zug ist einfach nicht dasselbe wie das gleiche Bild kompakt auf einem Einstöcker. Das Bild verliert auf den riesigen Doppelstöckern etwas an Substanz. 
Orca: Graffiti hat auch etwas Dreckiges. Die neuen Züge der SBB sind wie ein Raumschiff, das passt einfach nicht wirklich zusammen.
Tinder: So wie ein Graffiti auf einem neuen Haus manchmal etwas deplatziert aussieht.
Merlin: Dazu kommt, dass du auch etwas stolz bist, dass du hier ein eigenes S-Bahn-System hast, das nicht die üblichen Farben hat. Die orange RBS zum Beispiel ist einzigartig, auch weil sie eine der ältesten S-Bahnen der Schweiz ist.

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Euch ist es also schon wichtig, dass eure Bilder gesehen werden. Ist das eure Hauptmotivation, um Graffiti zu machen?
Orca: Der Ursprung war eigentlich, dass man die Stadt verschönern oder zumindest verändern möchte, in der man wohnt. Dass wir das Stadtbild nehmen und mitbestimmen, wie der Raum aussieht, in dem wir leben. Ich lebe gerne in einer farbigen Stadt und nicht in einer grauen. Und ich glaube, wir zeichnen auch einfach gerne. 
Merlin: Es kann aber auch darum gehen, Wut zu zeigen. Einfach einen kompletten Neubau abzushitten, weil du wütend bist, dass ein wunderschönes, altes Haus abgerissen wurde. Da zeigst du deine Wut durch 1.000 schwarze Tags.
Tinder: Und es macht auch einfach Spass.
Merlin: Ja, das ist sicher der wichtigste Punkt.

Es finden aber auch nicht alle, dass das Stadtbild durch Graffiti verschönert wird. 
Tinder: Ich würde das auch nicht als verschönern definieren. Die Stadt wird ja nicht zwangsläufig schöner.
Orca: Für mich meistens schon, ausser man hat das Bild verkackt.
Merlin: Es sehen auch nicht alle so, dass Werbung an jede Strassenecke gehört oder dass alle neuen Häuser aus Rohbeton gebaut werden müssen. Ich glaube, das ist eine Meinungssache.
Tinder: Das Persönliche zählt manchmal aber fast mehr. Also dass es eher darum geht, das Zeichen von jemandem zu sehen, als zu denken: "Ach, dieses Haus gefällt mir architektonisch nicht, das könnte ich durch ein Graffiti aufwerten."
Merlin: Es gibt ja auch Phasen, in denen du Bock hast, möglichst farbige, gestylte Bilder mit nicen Characters zu machen. Und dann gibt es Phasen, in denen du einfach nur zerstören und wüten möchtest. Das hat sehr viel damit zu tun, wie du dich gerade fühlst. Das ist ja das Schöne daran.
Orca: Graffiti ist im Prinzip einfach Ausdruck von dir selbst.

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Wenn die Stadt, die BLS oder die SBB immer mehr investieren, um eurer Sicht entgegenzuwirken – macht es das für euch irgendwie spannender?
Orca: Es ist eher uninteressant, weil wir immer wissen, dass wir die Lücken finden.
Merlin: In unserem Buch sieht man, dass wir in Helsinki waren. Einer Stadt, die sehr viel wert auf die Sicherheit ihrer U-Bahn legt. Aber auch dort findest du deine Lücken. Schlussendlich hast du mehr Aufwand, sie haben mehr Aufwand – das bringt niemandem etwas.
Tinder: Ich glaube, das verlagert das Ganze auch etwas. Weg von einem künstlerischen Aspekt hin zu einem Abenteuer und einer Mission. Wie schaffe ich es trotzdem, das System auszutricksen? Das hat beides seinen Reiz. Aber grundsätzlich fände ich es schon besser, wenn sie uns in Ruhe lassen würden.

Ihr habt vorhin gemeint, dass ihr euer Zeug nur auf einer verschlüsselten Harddisk oder als "gekauftes" Buch im Regal haben könnt. Wieviele Leute in eurem Umfeld wissen überhaupt, dass ihr sprüht?
Tinder: Eigentlich fast alle.
Merlin: Aber wenn jemand weiss, dass du sprühst, bedeutet das noch nichts. Graffiti ist ja nicht verboten. In einer Graffiti-Crew zu sprühen ist auch nicht verboten. Und in einer Graffiti-Crew zu sprühen, die auch Illegales macht, ist auch nicht verboten. Wenn du aber jemanden zu einer Action mitnimmst, kann er der Staatsanwaltschaft oder den Bullen genau erzählen, was wie abgelaufen ist. Das ist dann schon ein handfesterer Beweis. Aber die Leute können im Grunde reden, was sie wollen. Ich kann auch behaupten, dass du bei OWZ und gar nicht bei VICE bist.

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Also ihr müsst nicht paranoid werden, um das überhaupt machen zu können?
Tinder: Wir versuchen schon, das low key zu halten. Aber es gibt auch Momente, in denen du zu viel getrunken hast, einfach irgendwo ein Tag machst und nicht weisst, wer das alles gesehen hat. Aber schlussendlich geht der Krug zum Brunnen, bis er bricht. Das ist bis jetzt noch nicht passiert und jetzt mache ich halt so weiter.
Orca: Mir ist Repression bis zu einem gewissen Grad auch einfach egal. Wir nehmen das Risiko auf uns und wissen ganz genau, dass es irgendwann passieren wird.

Im folgenden zweiten Teil spricht VICE mit den OWZ-Mitgliedern darüber, ob sich Graffiti legalisieren lässt und wie sie mit der öffentlichen Kritik umgehen, die einige ihrer Sprühaktionen hervorgerufen haben.

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