Was ich von Bernd das Brot über das Leben gelernt habe

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Popkultur

Was ich von Bernd das Brot über das Leben gelernt habe

Ein depressives Weißbrot mit viel zu kurzen Armen hat mich aufs Erwachsensein vorbereitet.

Foto: antjeverena | CC BY-SA 2.0 | Flickr

Wir schreiben das Jahr 2003. Die No Angels geben ihre Trennung bekannt, amerikanische Truppen marschieren in den Irak ein, Christl Stürmer verliert im Finale von Starmania und generell gibt es gerade keinen Grund zum Jubeln. Ungefähr zur selben Zeit beginnt der KiKA mit der Ausstrahlung der Nachtschleife – ein Programm, das die ansonsten sendefreie Zeit des deutschen Fernsehkanals zwischen 21:00 und 6:00 Uhr füllen soll.

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Und obwohl nächtliches Fernsehen im deutschsprachigen Raum ein breites Spektrum bedient – von Infomercials für Haushaltsgeräte über Wiederholungen der Golden Girls bis hin zu Kontaktgesuchen reifer Hausfrauen und dem legendären Super RTL-Kaminfeuer –, gab es schon damals eine Handvoll arbeitsloser Stoner und schlecht gelaunter Millennials, die lieber einem depressiven Stück Brot huldigten.

Bernd das Brot hat uns quasi großgezogen. Als unsere Eltern über Nacht weg waren und wir nicht schlafen konnten, hat Bernd uns ein unmotiviertes Lied vorgesungen. Als wir aus Langeweile, Faszination und Befremdlichkeit nicht wegschalten konnten, hat Bernd uns minutenlang angestarrt und gesagt, wir sollen bitte endlich ins Bett gehen.

Bernd hatte tiefe Augenringe, einen kastenförmigen, unproportionalen Körper, viel zu kurze Arme, schlechten Teint und keine Lust. Bernd war wie wir.

Als wir später betrunken nachhause kamen und mit einem angeknabberten Block Käse in der Hand vorm Fernseher eingeschlafen sind, hat Bernd auf uns aufgepasst. Bernd war da – ob er nun wollte oder nicht. Und meistens wollte er nicht.

Ein Brotlaib, der alles hasst und einfach nur in Ruhe gelassen werden möchte: Das war neu und irgendwie so viel besser als alles andere, das wir bis dahin vom Fernsehen, geschweige denn einem Kindersender, gewohnt waren. Bernd hatte tiefe Augenringe, einen kastenförmigen, unproportionalen Körper, viel zu kurze Arme, schlechten Teint und keine Lust. Bernd war wie wir. Vielleicht haben wir schon damals etwas in ihm gesehen, von dem wir insgeheim wussten, dass wir es eines Tages selbst werden würden.

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Zu Beginn jeder Nachtschleife – die in der Regel nur ein paar Minuten andauert und danach, äh, in einer Schleife weiterläuft – wird Bernd meist widerwillig und möglichst unbequem vor einer weißen Wand abgesetzt, bevor er so was wie "Mist" oder "Mein Leben ist die Hölle" raunzt. Kommt euch bekannt vor? Willkommen zu jedem Montagmorgen eures Lebens.

Auch der wohl bekannteste Running Gag aus den Nachtschleifen lässt sich heute recht einfach in unser tristes Dasein übersetzen: Jedes Mal, wenn Bernd mal wieder genug von allem hat und einfach aus dem Bildschirm gehen will (und das will er oft), kommt er schnurstracks auf der anderen Seite wieder rein.

Egal, wie sehr er sich auch bemüht, er kommt hier nicht raus. Jeder Fluchtversuch ist zwecklos. Bernd ist gefangen in dieser ewig gleichen Schleife von ewig gleichen Umgebungen und ewig gleichen Abläufen. Wenn das mal keine bitterernste Hamsterrad-Analogie ist, dann weiß ich auch nicht. Hat Bernd das Brot etwa die längste Zeit versucht, uns im Schlaf auf den Ernst des Lebens vorzubereiten?

Der Legende nach hat Tommy Krappweis Bernd einst auf eine Serviette gezeichnet und gemeinsam mit seinem Kollegen Norman Cöster erfunden. Für Krappweis verkörpert die Figur in erster Linie das "Recht auf schlechte Laune", wie er uns gegenüber erzählt: "Egal ob TV, Werbung oder Social Media: Überall bekommt man mehr oder weniger subtil vermittelt, man möge doch bitte immer glücklich, zufrieden, ausgeglichen und dankbar debil grinsend vor sich hin funktionieren", so der Brot-Papa. "Aber jeder hat mal einen Scheißtag – unabhängig davon, wie alt man ist. Und wir wissen aus Zuschriften, dass Kinder ihren Eltern dann sagen: 'Mama, ich fühl mich gerade brotig, aber das geht wieder vorbei.' Das heißt, du kannst 'das Brot in dir' erkennen und so die Situation auch ein Stück weit abstrahieren, was immer hilfreich ist – auch bei Erwachsenen."

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Auch für Bernds Zukunft ist laut Tommy Krappweis bestens gesorgt. "Wir haben gerade erst eine neue Nachtschleife produziert und Bernd damit geködert, dass er selbige zum ersten Mal verlassen darf", sagt Krappweis weiter. "Das war insofern auch für uns spannend, als dass Bernd das Brot ja eigentlich eine Handpuppe ist (Anmerkung: WHAT?!) und als solche unten einen Puppenspieler dranhängen hat. Der musste Bernd nun von hinten spielen, während unten mechanische Brötchenfüße dranbaumeln, die mit einer Art Rückzugsmechanik zum Laufen gebracht werden. Der Effekt ist gleichermaßen erstaunlich wie … naja, verstörend. Auch für Bernd selbst. Außerdem muss Bernd das Brot in der neuen Nachschleife wieder einmal singen und das hasst er ja besonders."

Wie sehr er das hasst, zeigte sich bereits 2003 auf der Single "Tanzt das Brot" – ein moderner Klassiker, der es damals sogar in die Charts schaffte und ein ganzes wirklich wunderbares Album zur Folge hatte. Ich denke dabei an Hymnen wie "Ich sage nein", "Geht einfach alle weg" oder "Ich will wieder heim". Bangers only.

Es gibt übrigens auch Dinge, für die Bernd tatsächlich was übrig hat. So liebt er es zum Beispiel, stundenlang eintönige Raufasertapeten anzustarren und ihre Muster auswendig zu lernen. Das ist einfach langweilig – und somit genau sein Ding. Wenn du also das nächste Mal ein gemütliches Wochenende in den eigenen vier Wänden einer After-Hour-Zechtour vorziehst, dann denk dran, dass das im Grunde genommen nur dein ganz persönliches Äquivalent zum Brot'schen Raufastertapeten-Starren ist, du kleiner Fadian. Aber das ist immerhin dein gutes Recht.

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Auch die ein oder andere Lektion über Freundschaft hat Bernd uns gelehrt. Denn obwohl er es wahrscheinlich gerne wäre, ist er nicht immer allein: Regelmäßig mit von der Partie sind Chili und Briegel – ein hyperaktives Stuntschaf mit roten Zöpfen und eine Busch-Version von Daniel Düsentrieb. Bernds Abneigung gegenüber den beiden hat mir beigebracht, dass ich meine Freunde – auch wenn sie manchmal so, so anstrengend sind – am Ende des Tages so hinnehmen muss, wie sie sind. Von Chili und Briegel habe ich wiederum gelernt, wie Aufmunterung funktioniert und dass ich mich nicht sofort von jemandem abwenden sollte, wenn er oder sie mal mies drauf ist.

Das Lustigste an Bernd ist aber eigentlich die Ernsthaftigkeit, mit der er von allen Seiten behandelt wird. Allein der Wikipedia-Eintrag zu seiner Figur ist lustiger als jeder Text, der jemals auf oe24 erschienen ist. Den vorübergehenden Höhepunkt stellte sein Verschwinden im Februar 2009 dar: Als eine knapp zwei Meter hohe, rund 125 Kilo schwere Bernd-Statue vor dem KiKA-Studio in Erfurt entfernt wird, herrscht plötzlich eine riesige kollektive Aufgeregheit. Nahezu jedes seriöse Medium berichtet über die mysteriöse Entführung von Bernd das Brot, sogar die Polizei lässt nach dem Fund der Statue in einem Kellerabteil in Weimar verlauten, er wäre unverletzt.

An dieser Stelle noch ein guter Tipp für alle meine an Schlaflosigkeit leidenden Kollegen: Vertraut mir, Bernd wird euch wegbeamen. Als ich versuche, mir die Nachtschleifen von früher mit erwachsenen Augen anzusehen, kann ich dabei nicht lange wachbleiben – ich hatte ganz vergessen, wie sehr mein Gehirn offenbar immer noch darauf programmiert ist, beim Klang von Bernds Stimme auf Nachtmodus zu schalten. Ungefähr so wie der Geruch von Kernseife mich sofort an meine Oma denken lässt und traurig macht.

Tommy Krappweis erwähnt eine Studie des KiKA, laut der 90 Prozent der Deutschen Bernd kennen; wiederum 88 Prozent mögen ihn. Zu den restlichen zwei Prozent, die Bernd nicht so gut finden, gehört wohl auch Bibi von BibisBeautyPalace, die in einem Tweet ihr Unverständnis gegenüber der Figur zum Ausdruck brachte. Krappweis nimmt das leicht: "Erstens darf jeder blöd finden, was er will und zweitens findet Bernd die Person bestimmt auch blöd. Mich übrigens auch. Und alle. Aber das soll ja so."

So amüsant das alles vielleicht klingen mag, Bernd kann tatsächlich auch Wichtiges bewirken. Laut Tommy Krappweis sind das vor allem die erstaunlich häufigen Mitteilungen über Reaktionen von autistischen Kindern auf die Figur: "Es ist einfach etwas ganz besonderes, wenn man liest: 'Unser Kind hat dank Bernd das Brot zum ersten Mal getanzt. Seitdem tanzt die ganze Familie jeden Abend gemeinsam den Brottanz.'" Alle zusammen: Tanzt das Brot.

Franz auf Twitter: @FranzLicht

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