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Wieso die Händedruck-Pflicht das Unschweizerischste überhaupt ist

Sexismus, egal wie legitimiert, darf nicht sein. Schüler zu zwingen, ihrer Lehrerin die Hand zu geben, löst dieses Problem aber auch nicht.

Foto von Roland Zumbuehl|Wikimedia|CC BY-SA 3.0

OK, Händedruck-Affäre. Eigentlich dachten wir, das sei gelaufen. Eigentlich dachten wir, die ganze aufgeblasene Angelegenheit, dieser unglückliche Einzelfall in einem Dorf im Baselland hätte sich erledigt, nachdem den üblichen Verdächtigen (SVP und Co.) schon der Untergang des Abendlands dämmerte, andere (Sommaruga) zumindest eine rote Linie überschritten gesehen und dies zum Ausdruck gebracht haben. Weil alle ihre Chance für Statements genutzt haben und danach wieder zu Wichtigerem übergegangen sind.

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Doch "Alert! Alert!", die Push-Nachricht des Tages-Anzeigers, die Schlagzeile: "Handschlagpflicht auch für Muslime". Nach Monaten der Meditation über den Einzelfall in Therwil, sei die BKSD, die Baselbieter Bildungs-, Kultur- und Sportdirektion zum Urteil gekommen, dass Schüler ihrer Lehrerin aus religiösen Gründen den Handschlag nicht verwehren dürfen. Wer die ausgestreckte Hand in Zukunft doch nicht schüttelt, muss mit Sanktionen rechnen, die Eltern der Schüler gar mit einer Geldstrafe von bis zu 5.000 Franken.

Die zweiteilige Begründung für das Urteil: Erstens weil Gleichstellung und Integration wichtiger seien als Religionsfreiheit. Und zweitens weil die Handschlagverweigerung Lehrpersonen sowie Mitschülerinnen oder Mitschüler in eine religiöse Handlung (eben das Verweigern des Handschlags) einbeziehe und damit wiederum die Religionsfreiheit der Anderen beschränke.

Gleichstellung ist wichtiger als Religionsfreiheit? Sowohl als Feminist als auch als Atheist (beziehungsweise atheistischer Katholik) kann ich dieser Aussage nur energisch zustimmen. Männer und Frauen müssen in einer aufgeklärten, modernen Gesellschaft, wie wir eine sein wollen, gleich behandelt werden. Dass jemand verweigert, einer Frau die Hand zu geben, einfach weil sie eine Frau ist, ist sexistisch und sollte nicht so sein.

Doch ist die Entscheidung der Baselbieter Behörden, das Händegeben für Schüler obligatorisch zu machen, wirklich ein Zeichen in die erhoffte Richtung, also in Richtung Laizismus und Gleichberechtigung?

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Gerne würde ich das glauben. Gerne würde ich glauben, dass nun bald auch das Zölibat fallen wird, die Kreuze aus den Schulzimmern verschwinden und Frauen jedweder Religion sich so anziehen dürfen werden, wie sie wollen. Dass also die Vormachtstellung des Mannes über die Frau endlich ein Ende findet und zwar nicht nur im Islam, sondern auch im Judentum, Hinduismus, Buddhismus und Christentum. Und in der Wirtschaft, wo Frauen immer noch strukturell weniger verdienen als Männer. Und in der Werbung, wo Brüste nicht nur BHs, sondern von Bohrmaschine bis Büroklammer jedes Produkt an den Mann bringen sollen.

Foto von Denis Bocquet | Flickr | CC BY 2.0

Mit grosser Wahrscheinlichkeit wird das aber nicht der Fall sein. Ja, die Baselbieter Behörden erteilen dieser Hoffnung sogar ziemlich explizit eine Absage, wenn sie das Nichtbesuchen des Schwimmunterrichts oder das Kopftuchtragen aus religiösen Gründen weiterhin zulassen. Da hier eben nicht auf die Religionsfreiheit anderer eingewirkt werde.

Heisst: Wie ihr (und mit "ihr" meine ich auch Schweizer) Frauen ausserhalb der Schule behandelt, ist uns eigentlich egal, nur wenn aber Schweizer Lehrerinnen oder Mitschülerinnen involviert sind, finden wir das nicht gut. Und heisst irgendwie auch: Akzeptiert unsere Autoritäten und erbietet ihnen die Ehre mit eurem Handschlag.

Vielleicht tappe ich jetzt in dieselbe Falle wie all die Empörten vor ein paar Monaten. Vielleicht stilisiere ich die Sache nun ebenfalls hoch, aber: Kommt dir die Sache mit dem erzwungenen Grussritual nicht irgendwie bekannt vor? Hast du das nicht schon irgendwo einmal gehört?

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Ich jedenfalls habe es gehört und zwar auf einer Kassette. Ich habe als Kind, wie so viele, Hörspiele zum Einschlafen gehört und neben Episoden von Burg Schreckenstein, Dominik Dachs und einer zweiteiligen Version der Schatzinsel besass ich auch eine Aufnahme der urschweizerischsten Geschichte überhaupt: von Wilhelm Tell.

Was darin passiert, wisst ihr ja: Gessler, der verhasste Statthalter der habsburgerischen (also deutschen, also ausländischen) Unterdrücker, zelebriert die Machtdemonstration und lässt dafür einen Pfahl mit seinem Hut darauf aufstellen und jede und jeder, der daran vorbeigeht, soll ehrerbietend grüssen (den eigenen Hut ziehen). Es geht um Macht, Ehrerbietung, Anstand, Hierarchie. Und wer diese definiert.

Wilhelm Tell verweigert sich, gerät darauf in Schwierigkeiten, schiesst seinem Sohn einen Apfel vom Kopf, wird gefangen genommen, entflieht, tötet Gessler mit seiner Armbrust und das alles eben nur, weil er jemanden beziehungsweise dessen symbolisch aufgeladene Kopfbedeckung nicht grüssen wollte.

Nun ja, eine Lehrerin ist weder eine Unterdrückerin noch ein Hut auf einem Pfahl und religiöser Sexismus ist nicht dasselbe wie der Drang nach Selbstbestimmung. Dennoch bleibt ein Gruss ein Gruss, ein Zeichen der Anerkennung, der Sympathie, des Respekts. Verordneter Respekt? Irgendwie passt das doch nicht zu einem Land, das sein Nationalgefühl, vor allem daraus schöpft, niemandem und keinem Respekt schuldig zu sein—vom Armbrust schwingenden Heldenmythos über den sturen politischen Einzelgang ausserhalb der EU bis zur ernsthaften Forderung der wählerstärksten Partei, das Völkerrecht nicht mehr ernst zu nehmen. Und zu einer aufgeklärten Gesellschaft, die ihre Kinder zu mündigen und selbstbestimmten Bürgern erziehen will schon gar nicht.

Doch was noch schwerer wiegt: Ein Händedruck—so habe ich es zumindest, wenn ich mich richtig erinnere, in der Schule gelernt—ist auch ein Zeichen des Vertrauens. In alten Zeiten streckten starke Männer einander den blanken Unterarm hin. Damit zeigten sie einerseits, unbewaffnet zu sein und machten sich gleichzeitig verletzlich, lieferten sich ihrem Gegenüber aus.

Ein verordneter Handschlag bedeutet verordnetes Vertrauen und ob das dann richtiges Vertrauen ist, wage ich zu bezweifeln. Man kann keinen Menschen dazu zwingen, jemandem zu vertrauen. Und einen anderen Menschen zu berühren beziehungsweise sich von ihm berühren zu lassen und sei es nur von Hand zu Hand—hat das nicht einen etwas fahlen Beigeschmack? Oder geht das nur mir so, dass ich irgendwie auch die Unantastbarkeit des Körpers wortwörtlich angetatscht sehe?

Sexismus, egal ob religiös oder anders motiviert, ist in einer aufgeklärten Gesellschaft nicht zu tolerieren. Dass wir nun aber—nicht zuletzt aufgescheucht durch wilde Medienberichte und noch wildere Kommentare unter ihnen—beginnen, Respekt und Vertrauen staatlich zu verordnen, ist sicher nicht die richtige Lösung für ein Problem, das in einem verweigerten Handschlag definitiv nicht seine verwerflichste Ausprägung findet. Vor allem, wenn wir damit ganz nebenbei die körperliche Integrität des Einzelnen, wenn nicht beerdigen, so doch zumindest ritzen.

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