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Vegan

Was ich als Veganerin an der Jagdmesse über meine Doppelmoral gelernt habe

Schweizer essen dreimal so viel Fleisch wie vom Bund empfohlen. Die Jäger können dafür aber reichlich wenig.
Alle Fotos von David Zehnder

Für Jäger ist das Töten eines Tieres ein Teil ihrer Tätigkeit. Als Kind führte diese Tatsache in Gesprächen mit meinem Onkel, der selbst Jäger ist, regelmässig zu einem dramatischen und tränenreichen Abgang meinerseits. Auch heute kann ich nicht verstehen, wie ein Jäger durch das Zielrohr ein Reh erspäht und tatsächlich den Auslöser drücken kann. In Tierschutzkreisen sieht man in Jägern ohnehin gerne den Feind. Vergangenes Wochenende wurde Bern zum Mekka für Jäger, Angler und Waffenfans. Bereits nach einer kurzen Zeit auf dem Gelände der Messe "Fischen, Jagen, Schiessen" die bis vergangenen Samstag stattgefunden hat, sehen die meisten Menschen gleich für mich aus: Männer "in den besten Jahren" mit dickem Bauch, dünnem Haar und rotem Gesicht. Ich frage mich, ob es den dickbauchigen Männern nach einer Stunde im Zürcher Hipster-Club "Klaus" auch so gehen würde.

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Obwohl die richtige Fressmeile für die Verköstigung der rund 27.000 Besucher draussen ist, hängt auch in der Messehalle ein Geruch von gegrilltem Fleisch und Würstchen in der Luft. Ich oute mich nicht gerne als Veganerin. Schon gar nicht an Anlässen, wo die Besucher Namen wie "Edwin", "Rolf" und "Konny" tragen. Zum einen, weil ich nicht "einer dieser Menschen" sein möchte. Den Spruch "Woher weisst du, das jemand vegan ist – keine Angst, sie werden es dir verdammt noch mal erzählen", kenne ich. Zum Anderen habe ich nicht immer Lust, wegen meiner Ernährung ein riesen Fass aufzumachen. Kaum jemand würde "ein Tier töten" als ein Ziel im Fünf-Jahres-Plan aufführen. Dennoch finde ich mich oft in Situationen wieder, in denen ich mich rechtfertigen muss, wieso ich genau das mit meiner Ernährung nicht tun möchte. Was ein Veganer an der "Fischen, Jagen, Schiessen" möchte? Ursprünglich wollte ich mit Jägern über das Fleischessen sprechen.

Die ersten beiden Jäger, die ich anspreche, würden wohl manche Tierschützer als die Personifizierung des Wortes "böse" sehen: Lederhosen, ein Fell auf dem Gewand und die Fasanenfeder im Hut. Doch statt einem dummen Spruch über meine Ernährung, zeigen die beiden Verständnis: "Meine Frau ernährt sich auch vegan", sagt der Mann mit dem beeindruckenden Schnauz, der sich als Alois vorstellt. Sein Kollege fügt an: "Meine Frau ist Vegetarierin."

Wolfgang, der aus Deutschland für die Jagdmesse nach Bern gereist ist, findet: "Ich bin kein brutaler Mensch, weil ich Wild erlege." Und er erklärt: "Durch die steigende Urbanisierung durch den Menschen muss sich das Wild neuen Platz suchen." Er rechtfertigt seine Tätigkeit mit der Erhaltung der Biodiversität: "Ohne Jagd würde es kaum mehr Rehwild geben, aber viele Füchse." Mich würde es zwar nicht stören, wenn durch unsere Wälder nur noch Füchse streifen würden. Aber dass ein Ökosystem ein Gleichgewicht braucht, kann ich auch verstehen. Beide bezeichnen sich als Naturmenschen. "Ein Grossteil unserer Arbeit besteht auch aus Forstarbeiten und der Pflege der Wälder. Die tatsächliche Jagd ist nur ein kleiner Teil."

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Wie man Tiere und die Natur mögen kann und sie trotzdem isst, dieses Phänomen bezeichnet die Psychologie als "kognitive Dissonanz". Eine australische Studie, die vor rund drei Jahren erschienen ist, beschreibt das Paradoxon beim Fleischkonsum so: Wer über einen einigermassen gesunden Geist verfügt, empfindet keine Freude daran, wenn Tiere leiden. Demzufolge könnten diese Menschen auch für die Tiere, die sie essen, Mitleid empfinden. Dennoch beissen sie abends ohne Gewissensbisse in ein Steak. Um in keinem inneren Konflikt zu stehen, ist es eine Strategie den Tieren, die wir essen, die Leidensfähigkeit abzusprechen. Zumindest bis zu einem gewissen Grad.

Oder man versucht's mit der klassischen Verdrängung. Wenn ich aber mit mir selbst ganz ehrlich bin, ist das auch bei mir als Nicht-Fleischkonsumentin nicht ganz anders. Schon der Blick auf meine Turnschuhe outet mich als Jemand, der das mit der Nachhaltigkeit nicht wirklich durchdacht hat. Ich kann mir nämlich kaum vorstellen, dass die Näherin für meine überteuerten aber hippen Treter anständig entlohnt wurde. Punkto Ernährung legt auch meine Mango für den Zmorge einen ordentlichen Weg mit dem Flugzeug zurück. Und wie eine Studie der Carnegie Mellon Universität herausgefunden hat, sind die Emissionen, die für einen Teller Blattsalat entstehen, noch miserabler als für ein paar Streifen Speck. Und auch die Avocado auf Vollkorntoast kann man nicht ohne Gewissensbisse essen: Wie der Independent 2016 berichtete, werden in den Anbaugebieten, um der grossen Nachfrage gerecht zu werden, tausende Hektare an Wald gerodet. Bei dieser Ökobilanz möchte man am liebsten ins Taschentuch aus Recyclingpapier heulen.

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Während ich also an der Mango-from-hell knabbere, sorgt in irgendeinem Wald irgendein Jäger dafür, dass sich Reh und Fuchs in ihrem "Wohnzimmer" wohl fühlen. "Das ist ein Aspekt, der in der Jagd-Diskussion gerne untergeht", erklärt mir ein junger Jäger aus St. Gallen. "Ein Grossteil meiner Arbeit als Jäger besteht auch daraus, dass ich Wiesen mähe und die Nahrungs- und Lebensgrundlage der Tiere optimiere. Da gehören auch kleinste Überlegungen dazu wie etwa: Welche Hölzer lasse ich besser liegen, damit sich bestimmte Insektenarten ansiedeln können." Und er ergänzt: "Mich nervt vor allem die Pauschalisierung gegen die Jäger. Schwarze Schafe gibt es überall. Das ist für mich wie mit den Ausländern. Wenn man sagt: 'Alle Ausländer sind kriminell' – dabei handelt es sich nur um eine kleine Randgruppe. Diese Pauschalisierung, diesen fehlenden Dialog finde ich schade."


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Pauschalisierungen finde auch ich scheisse. Obwohl ich mich zumindest ernährungstechnisch erst seit drei Monaten "Veganerin" nennen darf, weiss ich, wie es ist, wenn man schon mal im Vornherein abgestempelt wird. Dass aber alleine im Jahr 2016 in der Schweiz rund 440.000 Tonnen Fleisch verzehrt wurden, stimmt mich bedenklich. Laut der Konsumstatistik von Proviande Schweiz isst ein Schweizer jährlich rund 52 Kilogramm Fleisch. Das Bundesamt für Gesundheit empfiehlt einen Fleischkonsum von 100 bis 120 Gramm Fleisch und das zwei- bis dreimal pro Woche. Selbst wenn man vom höheren Wert ausgeht, entspricht das lediglich einem Konsum von rund 17 Kilo pro Jahr. Gegenwärtig isst die Schweiz also rund dreimal zu viel. Wenn man sich vorstellt, dass pro Kilogramm Fleisch ein CO2-Ausstoss von 15.4 Kilo entsteht, wird einem klar, dass Eisbären so schnell nicht wieder solides Eis unter den Pfoten haben werden. Wer kein Aluhütchen trägt, wird sich mit mir darauf einigen können, dass diese Entwicklung unsere Welt in eine suboptimale Zukunft lenkt.

Wer will, kann gerne sagen, dass ich voll auf die "Agenda der Jäger" aufspringe. Dass wir den Fleischkonsum drastisch senken müssen, da kann mich niemand vom Gegenteil überzeugen. Aber wenn es denn schon Fleisch sein soll, ist es denn nicht ein bisschen weniger schlimm, wenn das Tier immerhin bis zu seinem Tod ein anständiges Leben hatte? Und ist es denn nicht ein bisschen weniger tragisch, wenn der Tod des Tieres immerhin anständig verdankt wird? Wie ich mir von einem Aargauer Jäger erklären lasse, wird der Hirsch, der erlegt wurde, auf Tannenzweige gebettet. "Auf dessen Körper kommt ein Zweig und in den Mund legen wir den sogenannten 'letzten Bissen', auch meist ein Tannenzweig." Verwertet werde fast das ganze Tier. Und was seine Jagdbilanz angehe, sehe die nicht so dramatisch aus, wie man sich das manchmal vorstellt: "In dem einen Revier, das ich betreue, schiesse ich pro Jahr etwa ein Reh. Dafür lese ich pro Jahr rund 10 Tiere zusammen, die überfahren wurden. Die Kadaver, die bei Auffahrunfällen mit Autos ums Leben gekommen sind zu entsorgen, ist nämlich auch Aufgabe der Jäger." Für mich fühlt es sich dennoch richtig an, bei meinem Tofu-Burger zu bleiben. Aber um es mit den Worten von meinen Bilderbuch-Jägern zu sagen, die mit ihren fleischlos lebenden Frauen glücklich verheiratet sind: "Es funktioniert nur, wenn man sich gegenseitig respektiert und aufeinander Acht gibt." Und ich finde: Wer ohne Sünde lebt, der werfe das erste Sojabällchen.

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