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Drogen

MDMA-Produzenten kippen tonnenweise Giftmüll in Naturschutzgebiete

Jedes Jahr landen in den Niederlanden Chemieabfälle aus der Drogenproduktion in Wäldern, auf Feldern und im Abwasser. Und es lässt sich kaum etwas dagegen tun.
Links: bereitgestellt von der niederländischen Polizei

Im Mai 2018 hatte der niederländische Förster Erik de Jonge die Schnauze voll. "Liebe Ecstasy-Konsumierende. Es ist 3:39 Uhr. Seit 18 Uhr haben wir daran gearbeitet, den Abfall von euren kleinen Pillen aufzuräumen", schrieb er bei Twitter.

De Jonge arbeitet in Nordbrabant, einer Provinz im Süden der Niederlande. In der ländlichen Gegend wird der Großteil des europäischen MDMAs hergestellt. Das hat mehrere Gründe: die Nähe zu Rotterdam, die Grenze zu Belgien, leerstehende Scheunen und verschuldete Landwirte.

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Zur Produktion der Droge benötigt man auch Chemikalien wie Salzsäure und Azeton, die am Ende in großen Mengen übrigbleiben. Experten zufolge werden jedes Jahr bis zu 200 Tonnen Giftmüll abgeladen – ziemlich alles davon in der Natur. Bis zu zehnmal die Woche müssen Menschen wie de Jonge anrücken, um hinter den Drogenproduzenten herzuräumen.


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Die MDMA-Hersteller fahren ihren Müll mit Vorliebe in Fässern mit einem Transporter in abgelegene Ecken von Naturschutzgebieten. Der Fahrer macht ein Seil um die giftige Ladung und befestigt das andere Ende an einem Baum. Wenn er dann losfährt, fallen die Behälter von der Ladefläche. Das alles geschieht dermaßen schnell, dass die Täter kaum befürchten müssen, erwischt zu werden.

Aber es gibt auch noch andere Methoden, sich der illegalen Chemikalien zu entledigen. In dem Dorf Moergestel im Süden des Landes zum Beispiel entdeckte die Polizei einen modifizierten Kleinbus, der so umgebaut war, dass er während der Fahrt Chemikalien ablassen konnte. Im Ort Baarle-Nassau musste eine Trinkwasseraufbereitungsanlage für ein paar Tage schließen, nachdem Unbekannte literweise Salzsäure in einen Abwasserkanal gekippt hatten. Die Chemikalie tötete alle Reinigungsbakterien in der Anlage.

Foto bereitgestellt von der niederländischen Polizei

Irgendetwas muss sich ändern. Das ist klar. Der Bürgermeister des Ortes Bergen op Zoom im äußersten Westen von Nordbrabant, Frank Petter, unterbreitete dem Stadtrat im Mai dieses Jahres einen interessanten Vorschlag: Man könne eine Art Abfalltonne installieren, in der die Drogenhersteller unbehelligt von der Polizei ihren Giftmüll abladen können. Jan van Maarseveen, Professor für organische Chemie an der Universität von Amsterdam, ist ebenfalls der Meinung, dass es nicht wie bisher weitergehen kann. "Es ist an der Zeit, darüber nachzudenken, wie sich moderne Drogen wie MDMA auf verantwortungsvollere Art herstellen lassen", sagte er gegenüber VICE.

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Das Problem sind nicht die Chemikalien selbst – Apotheker, Universitäten und Pharmaunternehmen verwenden die gleichen Stoffe täglich in großen Mengen –, sondern die fehlenden Entsorgungsmöglichkeiten für illegale Labore. Ein Teil der Chemikalien ließe sich reinigen und wiederverwenden – der Rest so verbrennen, dass nur Stickstoff, Kohlendioxid und Wasser zurückbleiben.

Es mutet vielleicht seltsam an, Drogenherstellern legale Entsorgungsmöglichkeiten anzubieten, aber andererseits wäre eine solche Regelung nichts Außergewöhnliches für die teilweise paradoxe Drogenpolitik der Niederlande. So ist zum Beispiel der Verkauf von Cannabis in Coffeeshops staatlich reguliert, der Anbau aber illegal. Genauso wenig ist es in den Niederlande erlaubt, die Coffeeshops mit Gras zu beliefern.

Für das Giftmüllproblem von Nordbrabant wäre die Legalisierung von MDMA die simpelste Lösung.

Und natürlich gibt es auch den seltenen Fall, dass MDMA komplett legal hergestellt wird. So hat ein britisches Pharmaunternehmen die Erlaubnis bekommen, die Substanz für eine klinische Studie zu produzieren. Die Multidisciplinary Association for Psychedelic Studies (MAPS) hat Hinweise darauf gefunden, dass die vermeintliche Partydroge Patienten mit Posttraumatischer Belastungsstörung helfen kann. Die Abfälle dieser MDMA-Produktion werden von dem Pharmaunternehmen natürlich wie alle anderen Substanzen entsorgt.

Für das Giftmüllproblem von Nordbrabant wäre die Legalisierung von MDMA die simpelste Lösung aber sie hätte noch einen anderen Vorteil: Momentan werden große Teile des kambodschanischen Regenwalds gerodet, um an die Wurzeln eines seltenen und vom Aussterben bedrohten Verwandten des Zimt- und Kampferbaums zu kommen. Aus den Wurzeln des Baums wird Safrol gewonnen, das ein wichtiger Rohstoff für die Herstellung von MDMA ist. Dieser Rohstoff ließe sich auch in anderen Biomassen finden, erklärt Chemiker van Maarseveen: "Aber aufgrund unserer strengen Antidrogengesetze haben Kriminelle keinen Zugang dazu."

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Foto bereitgestellt von der niederländischen Polizei

Wenn Pharmaunternehmen anfangen würden, Ecstasy herzustellen, würde auch gar nicht erst so viel Müll anfallen. "Ein professioneller Produzent würde die MDMA-Herstellung im Labor optimieren. Die benötigten Lösungsmittel könnten recycelt werden", sagt der Chemiker van Maarseveen. Bislang ist die niederländische Regierung aber weit davon entfernt, das Amphetaminderivat zu legalisieren. Sie geht wie gewohnt gegen Hersteller, Verkäufer und Konsumenten vor.

Politiker der christdemokratischen CDA fordern zum Beispiel den Einsatz von Drohnen und die Installation von Überwachungskameras an den Zugangsstraßen zu Naturschutzgebieten in Nordbrabant. Ob die stärkere Überwachung etwas ändern würde, ist fraglich. Bereits jetzt laden die Hersteller ihre Chemieabfälle auch anderweitig ab – in Abwasserkanälen und Güllegruben zum Beispiel. Letzteres führte bereits dazu, dass der Giftmüll als Dünger auf Äckern gelandet ist. Auf einem Feld für Futtermais fand man bei Untersuchungen MDMA-Rückstände.

Förster de Jonge sorgt sich im Gespräch mit dem Deutschlandfunk sogar darum, dass die Giftmüllfunde in jüngerer Zeit abgenommen haben. "Wir sehen keine Verminderung bei der Produktion von Drogen, aber weniger Drogenmüll. Und das bedeutet, dass der Müll irgendwo anders landet. Aber wo, ist die Frage."

Eine realistische Lösung des Problems ist nicht in Sicht, zumal die Behörden die Schuld für das Umweltproblem mit Vorliebe den Konsumenten geben. Der niederländische Polizeichef Erik Akerboom sagte erst im April in einem Interview mit dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk NOS: "Die Konsumenten müssen verstehen, dass sie zu einem schlechten System beitragen."

Es ist die gleiche Leier, die niederländische Politiker seit dem Verbot von MDMA 1988 ständig wiederholen: Finger weg von Drogen. Blöderweise hat das seitdem Menschen nicht davon abgehalten, Drogen zu konsumieren, zu produzieren – und erst recht nicht davon, den Giftmüll illegal zu entsorgen.

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