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Popkultur

Wieso nimmt die Polizei so selten Darknet-Dealer hoch?

Bis heute hat sie in der Schweiz erst drei Dealer ermittelt.
Foto von Pixabay

Das Darknet ist wahrscheinlich jene Erfindung, die den Handel von Drogen am stärksten vereinfacht hat: Vorbei sind die Zeiten, in denen Konsumenten auf der Strasse in semi-dubiosen Gegenden semi-dubiose Leute anlabern musste, die ihnen Waschpulver als reines Koks andrehen wollen und sie für den Stoff um das letzte Hemd bringen. Ist man technisch halbwegs versiert oder versteht die Schritt-für-Schritt-Anleitungen, die im "normalen" Internet herumgereicht werden, dann ist der Drogenkauf anno 2017 kaum anders, als ein Buch auf Amazon zu bestellen. Nicht nur der Bestellvorgang ist ähnlich einfach, sondern auch die Qualitätssicherung: Käufer können Verkäufer und Ware bewerten und sagen einem schon vor dem Kauf, auf was man sich bei der neuesten Ecstasy-Pille gefasst machen muss – also fast wie die ganzen Story-Spoiler in den Amazon-Bewertungen.

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Obwohl es wohl immer noch die klügere Entscheidung ist, zu einem Buch statt zur neusten Trenddroge zu greifen, hat das Darknet durchaus positive Auswirkungen für Konsumenten: Das Bewertungssystem und das Überspringen von kleinen Zwischenhändlern auf der Strasse führen dazu, dass die Qualität von Substanzen aus dem Darknet in der Regel sogar besser ist als jene des Zeugs von der Strasse. Nicht nur für Konsumenten, auch für Dealer wird das Darknet immer beliebter: Der Anteil des Drogenhandels im Darknet am geschätzten weltweiten Drogenhandel liegt zwar noch unter einem Prozent, doch steigt der Umsatz kontinuierlich, wie eine Studie der Rand Corporation 2016 herausfand.



Bisher sind in der Schweiz trotzdem erst ein Mal Dealer aus dem Darknet aufgeflogen: Im August ermittelte die Aargauer Kantonspolizei drei Dealer, die im – wie es SRF beschrieb – "versteckten Teil des Internets" Drogen aller Art an den Mann und die Frau brachten. Für den Kampf gegen organisierte Kriminalität ist in der Schweiz die Bundespolizei fedpol zuständig, wie auch für Korruption und Geldwäsche. "Hinweise werden jeweils den Kantonen zugeteilt, die für die Strafverfolgung zuständig sind", erklärt fedpol-Mediensprecherin Lulzana Musliu auf Mailanfrage von VICE. Dem SRF erklärte Bernhard Graser, der Mediensprecher der KaPo Aargau, zugleich, man müsse aber auch akzeptieren, "dass hinter unserem Rücken viel geschieht, auf das wir nicht reagieren können." Auch gegenüber VICE bestätigt Graser per Mail: "Unsere schmalen Ressourcen lassen ein […] systematisches Monitoring des Internets beziehungsweise des Darknets nicht zu."

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Auch wenn die seltenen Ermittlungserfolge im Darknet anderes vermuten lassen, versuchen die Behörden dort Zugriff auf die Drogenhändler zu erhalten, schreibt fedpol an VICE. Beim Aargauer Ermittlungserfolg war es womöglich aber einfach Zufall, dass die Darknet-Dealer geschnappt wurden. "Tatsächlich hatten die ersten Ermittlungen gegen einen der späteren Haupttäter nichts mit Drogen zu tun", bestätigt die KaPo Aargau VICE. Um herauszufinden, wie die Polizei in der Schweiz vorgehen könnte, um öfters Ermittlungserfolge aus dem Darknet verkünden zu dürfen, haben wir Hernâni Marques vom Zürcher Chaos Computer Club, eine Vereinigung von Hackern und Netzpolitik-Experten, angerufen.

Ein Konto von einem der Darknet-Dealer, die von der KaPo Aargau hochgenommen wurden | Screenshot von der KaPo Aargau

Marques erklärt das Darknet analog zu einem Wald: "Du kannst dich auch geheim in einem Wald mit einem Dealer treffen und dort unbeobachtet und anonym Drogen kaufen. Wenn du auf dem Weg dorthin aber irgendwelche Fehler machst und Spuren hinterlässt, kann man dich trotzdem erwischen". Meistens versuchen Polizisten verdeckt im Darknet zu ermitteln, indem sie mit den Verkäufern Kontakt aufnehmen oder selbst Waren bestellen. Sie hoffen, dass die Händler während diesem Prozess Fehler machen, die Rückschlüsse auf ihre Identität erlauben. Der Fall des sogenannten "Seefeld-Mörders" zeigt, wie das in der Schweiz funktioniert: Verdeckte Ermittler der Kantonspolizei Bern vereinbarten über das Darknet ein Treffen mit dem damals Tatverdächtigen. Er wollte vom eingeschleusten Ermittler im Januar 2017 eine Waffe kaufen und konnte so festgenommen werden, wie der Beobachter berichtete. Damit es überhaupt so weit kam, musste die Koordinationsstelle zur Bekämpfung der Internetkriminalität (Kobik) an die 100 Staatsanwälte in der Schweiz anfragen, wovon nur zwei sich überhaupt für solche Ermittlungen zur Verfügung stellten. Fedpol, dem das Kobik unterstellt ist, ist für konkrete Ermittlungen im Darknet gar nicht befugt und muss erst Kantonspolizeien finden, die sich den Fällen annehmen.

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Weil Darknet-Dealer in der Schweiz ihre Ware meistens mit der Post versenden, ist diese mit einem Poststempel von der Gemeinde, aus der das Paket versendet wurde, versehen. "Natürlich können die Dealer jedes Mal die Poststelle wechseln, aber auch hier ergeben sich irgendwann Muster oder der Dealer wird schlampig. Physische Orte wie Poststellen können Ermittler auch beschatten", erklärt Marques. Post einfach auf Drogen zu durchsuchen, ist wegen dem Schweizer Postgeheimnis bei Inlandssendungen jedoch nicht möglich.

Das Wissen über den Herkunftsort der Drogen selbst reiche zwar nicht, um einen Dealer auffliegen zu lassen, doch könne eine Kombination von verschiedenen Hinweisen die Ermittler zum Dealer führen, von dem meist nicht mehr als ein Darknet-Pseudonym bekannt ist. "Eigentlich sind das nichts weiter als klassische Ermittlungsmethoden auf das Darknet adaptiert. Diese werden angewendet, anstatt zu versuchen, mit massiven technischen Aufwand die Anonymisierung aufzuheben, was bei sorgfältiger Anwendung von Tor [Anm. d. Red.: ein Browser für anonymes Surfen] sowieso nicht geht – zumindest nicht mit den Ressourcen der Schweizer Kantonspolizeien", sagt Marques.

Tatsächlich konnte zum Beispiel Ross Ulbricht, der Gründer des ehemals wichtigsten Darknet-Marktes "Silk Road", durch genau eine solche klassische Ermittlungsmethode ausfindig gemacht werden: Er verwendete seinen Darknet-Nickname "altoid" auch einmal in einem Forum im Worldwideweb und postete dazu seine private Mailadresse, die aus seinem Klarnamen bestand. Er löschte diesen Post zwar später, doch ein Screenshot davon kursierte trotzdem weiter im Internet. Eine einfache Google-Suche reichte den Ermittlern, um so seine Identität zu ermitteln.

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Falsche Identitäten, die Ross Ulbricht verwendete | Foto: CC0 von Wikimedia

"Mit den Händlern ins Gespräch zu kommen und zu versuchen, sie dazu zu bringen, persönliche Details von sich preiszugeben, ist eine andere Methode, die bereits bei einem Hacker geklappt hat", erzählt Marques. Während verdeckten Ermittlungen in Chats plauderte der amerikanische Hacker und Aktivist Jeremy Hammond, damals nur unter dem Pseudonym "sup_g" bekannt, Details aus seiner Vergangenheit aus – unter anderem, dass er schon mal für bestimmte Vergehen im Gefängnis sass und in welchen Aktivistengruppen er bereits tätig war. Diese Informationen erlaubten es der Polizei, den Kreis der Verdächtigen massiv einzuengen und durch Überwachung von Hammonds Internetleitung letztendlich auch die Beweise zu erhalten: Die US-Ermittler stellten nach längerer Beobachtung fest, dass die Zeit, in der Hammonds Internetleitung Tor-verschlüsselt war mit seinen Online-Zeiten im Chat übereinstimmte.

Solche Rasterfahndungen hält Hernâni Marques vom Chaos Computer Club jedoch für moralisch sehr fragwürdig. "Im Fall des Mörders von Rupperswil wurden 20.000 Handydaten aus der Umgebung des Tatorts ausgespäht, darunter war sogar ein Autobahnabschnitt, den sehr viele Menschen passieren. Ein kluger Mörder – der natürlich kein Handy bei sich hat, weil er klug ist – könnte sehr einfach falsche Fährten setzen und die Ermittlungen von sich weglenken", sagt Marques, der mit seiner Kritik nicht allein ist. "Diese Fahndungsmethoden treffen auch Unschuldige mit erheblichen Konsequenzen – von Einvernahmen bis hin zu ungerechtfertigter Haft", kritisiert auch Viktor Györffy, Strafverteidiger und Präsident des Vereins Grundrechte.ch im Tages Anzeiger.

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VICE hat mit Darknet-Händlern in Deutschland gesprochen:


"Wer aber denkt, dass der Polizei die Mittel für moralisch fragwürdige Ermittlungen sowieso fehlen, dem sei gesagt: Durch die vom Schweizer Parlament angenommene Revision des Gesetzes zur Überwachung des Post- und Fernmeldeverkehrs (BÜPF) werden die Mittel dazu geschaffen", warnt Marques vor tiefen Einschnitten in der Privatsphäre der Allgemeinheit. "Es gibt keine einfachen, allgemeingültigen Muster zur Fahndung von Dealern, Pädophilen oder Terroristen." Gegenüber VICE meint Lulzana Musliu, Mediensprecherin von fedpol, jedoch, dass "aufgrund der Anonymisierungstechnologien keine Möglichkeit besteht, für die Strafverfolgung Verbindungsdaten in Erfahrung zu bringen. Das BÜPF hat somit im Darknet keine Wirkung".

Für Journalisten aus Ländern mit sehr eingeschränkter Pressefreiheit ist das Darknet überhaupt erst die einzige Möglichkeit, über die Missstände in ihrem Land frei zu berichten. Auch unschuldige Journalisten können nur schon durch die Benutzung von Anonymisierungstechnik ins Raster fallen – "ganz unabhängig von der allgemeinen moralischen Fragwürdigkeit von Vorratsdatenspeicherung und dem damit verbundenen Generalverdacht gegenüber der Bevölkerung", sagt Marques und präzisiert: "Durch das Speichern des gesamten Kommunikationsverhaltens der Schweizer Bevölkerung kann die Polizei feststellen, wer in der Schweiz Tor nutzt – diese Information sagt alleine aber nichts darüber aus, was die User in den anonymen Kanälen tun. Damit können Tausende von falschen Verdächtigungen entstehen."

Zurzeit sieht es jedoch nicht so aus, als ob die Schweizer Polizei in naher Zukunft die Ressourcen und das Know-How haben wird, um regelmässig Darknet-Händler zu ermitteln. Bestellt man Drogen nur innerhalb der Schweiz, wird durch das Schweizer Postgeheimnis und konsequenter Online-Anonymisierung zudem auch in Zukunft die Ermittlung von Käufern schwer möglich sein. Ausser die Käufer machen den Fehler, dass sie etwas zu viel über sich selbst ausplappern im "versteckten Teil des Internets".

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