Bonnie Bakeneko mit den eigenen Nippeln auf einem Teller
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Selbstbestimmung

Bonnie Bakeneko hat seine Nippel gehasst – also hat er sie gegessen

"Ich habe darüber nachgedacht, sie zu kochen, aber dann würden sie die Form und die Farbe ändern – das mochte ich gar nicht. Also aß ich sie roh."

"Dein Körper ist ein Tempel." Ein Mantra, das sich die Fitness-Industrie zu eigen gemacht hat. Bonnie Bakeneko ist nicht-binär, Künstler und würde diese Aussage wohl vehement verneinen.

Im Juni veröffentlichte Bonnie, dessen Pronomen "er" oder das englische "they/them" ist, ein Video, in dem er seine eigenen Nippel isst. Die Performance heisst "Your Body is not a Temple". Das siebenminütige Video zeigt Bonnie zu Beginn, wie er sich über seinen Körper streicht. Seine Hände stecken in roten Handschuhen mit langen, aufgeklebten Nägeln. Ein Wangenspreizer gibt direkt den Blick in seinen Mund frei. Das ganze hat etwas Beklemmendes.

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Als seine Stimme sagt: "Ich kam relativ spät, im Alter von 14 Jahren, in die Pubertät", wirkt es erlösend. Er fährt fort: "Weil ich damals magersüchtig war, hat sich mein Körper nicht richtig entwickelt und ich hasste schon immer meine Brüste und Nippel."

Seine Hand greift nach einem Teller. Unter einer Glasglocke liegen zwei kleine fleischige Knubbel – es sind Bonnies Nippel. Sie sind dunkelrot, bräunlich und an gewissen Stellen fast blau. Behutsam steckt er eine Gabel in den Nippel, führt sie sich zum Mund und beisst scheinbar genüsslich hinein. Über die nächsten Minuten sieht man, wie er sich seine Nippel einverleibt.

Wir haben uns mit Bonnie, der zurückgezogen auf dem Land im Osten Englands lebt, per Skype unterhalten.

VICE: Du hast deine eigenen Nippel entfernen lassen und hast sie gegessen. Wieso?
Bonnie Bakeneko: Ich habe schon, seit ich klein war, eine Körperdysmorphe Störung. Ich habe meinen Körper nie als ganze Einheit gesehen, sondern als eine Ansammlung von Teilen, die in keiner Beziehung zueinander stehen. Manchmal bin ich wegen der Körperdysmorphie auf ein einziges Körperteil fixiert und dann wieder auf ein anderes. Aber meine Nippel habe ich immer gehasst. Als ich älter wurde, kam die Kontrolle der weiblichen Nippel dazu. Zum Beispiel, dass Frauen ihre Nippel auf Facebook nicht zeigen dürfen, Männer aber schon. Besonders weil ich non-binary bin, fühlen sich meine Nippel auch gar nicht wie die einer Frau an. Es sind eher trans Nippel. Ich wollte nie eine Mutter sein und der Gedanke daran, ein Kind zu stillen, finde ich total merkwürdig. Also habe ich sie entfernen lassen.

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Wie lief das ab?
Erst ging ich zu einem Schönheitschirurgen, der wollte aber nicht. Also bin ich mit Body-Mod-Künstlern in Kontakt getreten. Viele Menschen in der Szene dachten, es sei nicht möglich, weibliche Nippel zu entfernen, da das Gewicht des Brustgewebes die Narben aufreissen könnte. Ich habe jemanden gefunden, der das schon einmal bei einer Frau mit kleineren Brüsten gemacht hat. Nachdem ich meinte, dass mir Narben total egal seien, willigte die Person ein. Ich kann natürlich nicht sagen, wer das war. Die Gesetze in UK sind diesbezüglich sehr strikt. Erst kürzlich landete ein Body-Mod-Künstler im Gefängnis. Auch, weil er jemandem auf Wunsch die Nippel entfernt hatte.

Wieso hast du dich dafür entschieden, deine Nippel zu essen?
Erst wollte ich sie einlegen, wie ein Präparat in Formaldehyd. Aber das fand ich irgendwie eklig. Auch den Gedanken daran, dass meine Nippel mich überleben würden oder sie jemand erben würde, fand ich schräg. Ich wollte sie behalten auf eine transformative Art und Weise. Aber nicht so, wie sie jetzt waren. Sie zu essen, erschien mir als die beste Lösung.

Nippel essen mit Bonnie Bakeneko

Ein Teil von dir, den du immer mit dir tragen wirst.
Genau, ich nehme sie wieder zu mir selbst zurück. Für alle Probleme, die ich mit meinem Körper habe, gebe ich nicht ihm die Schuld. Er tut nur sein Bestes, mich am Leben zu halten. Dennoch wollte ich meine Nippel nicht. Ich denke, ich habe fast nach einer Art gesucht, wie ich das wieder gut machen kann. Dadurch, dass ich sie zu mir genommen habe, sind wir wieder eins, aber nicht mehr so, wie wir es vorher waren.

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"Ich habe darüber nachgedacht, sie zu kochen, aber dann hätten sie die Form und die Farbe geändert – das mochte ich gar nicht. Also ass ich sie roh."

Deinem Körper nicht dafür die Schuld zu geben, wie du dich fühlst, ist ein schöner Gedanke.
Meine Nippel zu essen, war für mich ein heilender Prozess. Meine Tante meinte davor, ich solle eine Beerdigung für die Nippel abhalten. Aber das fand ich doof, denn sie waren ja nicht tot, sie waren einfach nicht mehr da. Sie meinte, ich solle sie nicht essen, da ich deswegen viel Hass bekommen würde. Aber bei dem ganzen ging es mir auch darum, mich nicht sozialen Erwartungen zu beugen. Etwas zu tun, damit ich keinen Hass dafür bekomme, hätte den ganzen Punkt nichtig gemacht.

Hast du dich befreit gefühlt, nachdem du sie gegessen hattest?
Ich war wie auf einem High. Ich war sehr zufrieden. Eine meiner grössten Ängste war es, dass ich sie esse und mir dann schlecht wird. Ich bin auch vegan und habe schon sehr lange kein Fleisch mehr gegessen. Ich habe darüber nachgedacht, sie zu kochen, aber dann hätten sie die Form und die Farbe geändert – das mochte ich gar nicht. Also ass ich sie roh. Wie es sich herausstellt, hat es sich total natürlich angefühlt.

"Einige der andere Persönlichkeiten identifizieren sich als Cis-Frauen und waren sehr unglücklich darüber, was ich getan hatte."

In der Performance sieht es so aus, als würdest du sie geniessen.
Das tue ich! So viel Kontrolle über dich selbst zu haben, ist sehr genussvoll. Für mich waren mit den Nippeln auch viele Traumata aus der Vergangenheit und schlechte sexuelle Erfahrungen verbunden. Diese Schmerzen gehen zu lassen, war schön. Am nächsten Tag geriet ich mental an einen sehr schlechten Ort. Nicht wegen dem, was ich getan hatte, sondern wegen all der Dinge, die mir passiert waren, denen ich mich nun stellen musste.

Sich von Traumata zu erholen, ist sehr schwer.
Ja, ich habe auch eine dissoziative und multiple Persönlichkeitsstörung. Einige der anderen Persönlichkeiten identifizieren sich als Cis-Frauen und waren sehr unglücklich darüber, was ich getan hatte. Also musste ich mich am Tag danach auch ihnen stellen. Es gab eine Persönlichkeit, die das besonders schlimm fand und sich total verrückt verhielt. Die anderen Persönlichkeiten haben sie zum Schweigen gebracht, von da an habe ich von der Stimme nichts mehr gehört. Es war wie ein letztes Stück Selbsthass, das nochmal laut wurde und dann starb. Die ganze Erfahrung war sehr surreal.

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Es scheint so, als seist du einfach du selbst.
Ich bin an einem Punkt in meinem Leben, wo ich gar nicht mehr anders kann. Ich hatte eine Zeit, da störte es mich, was andere Leute dachten. Aber ich mag mich nicht mehr anderen Leuten anpassen. Ich meine, ich habe für die Aktion echt viel Hass abbekommen. Aber es hat auch viele Menschen gegeben, die mir eine Nachricht geschrieben haben und erklärten, wie sehr es ihnen geholfen hat. All die Scheisskommentare sind mir egal, denn ich bin nicht Teil von der Welt, in der diese Leute leben.

Wie hast du herausgefunden, wer du bist?
Mit einer dissoziativen Störung ist es echt schwer zu merken; was gehört zu mir und was nicht? Ich war ketaminsüchtig. Das hat mir geholfen klarzukommen. Ich glaube, wenn du nicht neurotypisch bist, hat Ketamin einen anderen Effekt auf dich. Die meisten Menschen macht Ketamin benebelt, aber ich konnte dadurch auf Teile meines Gehirns zugreifen, die ich sonst nicht erreichen konnte. Ich war eine funktionierende Süchtige; ging zur Arbeit und ins Training, während ich ständig high war. Das brachte mich aber auch mit meiner eigenen Sterblichkeit in Berührung und ich musste mich nach meiner Sucht vielem stellen. Was mir dabei am meisten geholfen hat, ist Exposure Therapy. Also sich den Dingen zu stellen, vor denen man Angst hat.

Ging es bei der Aktion darum, dir deinen Körper zu eigen zu machen?
Ja, genau darum ging es bei dem Ganzen: Körper-Rückgewinnung, Körper-Autonomie und die Beziehung zu meinem Körper in Einklang bringen. Das war besonders wegen der Körperdysmorphie schwierig. Ich kann nie in einen Spiegel schauen und OK sein mit dem, was ich sehe. Oft ist das, was ich sehe, nicht einmal menschlich. Ich denke nicht: "Ich sehe hässlich aus." Sondern ich weiss nicht genau, worauf ich gerade schaue. Ich erscheine mir selbst dann als eine grosse Masse aus Fleisch. Es geht für mich auch darum, die Freiheit zu haben, den Körper so anzupassen, dass er sich mehr wie dein eigener anfühlt.

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"Ich bin hier für die Leute, die es verstehen. Nicht für die anderen."

Was heisst es für dich, dir deinen Körper zu eigen zu machen?
Mir darüber klar zu werden, wie ich über Dinge denke, weil ich sie selbst so sehe oder weil mir diese Ansichten anerzogen wurden. Herauszufinden, was du selbst gut findest. Bevor ich mir die Nippel habe entfernen lassen, habe ich eine Pro- und Kontra-Liste gemacht. Alle Kontras hatten nur damit zu tun, was andere Leute denken könnten. Aber ich will das tun, was ich gut finde. Ich will nicht für andere Menschen leben.

Du brichst die Norm, das macht den Leuten Angst.
Das ist OK, sie müssen es nicht mögen. Ich bin hier für die Leute, die es verstehen. Nicht für die anderen.

Wieso war diese Art von Gender-Aufhebung für dich wichtig?
Es ist unglaublich, wie sehr Frauennippel sexualisiert und zugleich dämonisiert werden. Männer und Frauen – beide haben Nippel, aber Frauen ist es beispielsweise nicht erlaubt, oben ohne in der Öffentlichkeit rumzulaufen. Ich hatte nie eine sexuelle Beziehung zu meinen Brüsten oder meinen Nippeln, also wollte ich das aus der Gleichung nehmen.

Bilder Bonnie Bakeneko

Wieso ist die Freiheit des geschlechtlichen Ausdrucks so wichtig?
Es ist schwer, non-binary zu sein und so weiblich wie ich auszusehen. Aber ich kann nichts dagegen tun. Ich könnte alle meine Haare abschneiden und mich anders anziehen, aber dann wäre ich nicht ich selbst. Wenn ich ein Mann wäre, würde ich genau gleich rumlaufen. Nachdem ich den Grossteil meines Lebens als Frau wahrgenommen wurde, will ich, dass die Leute wissen, das ist nicht das, was ich bin. Aber ich möchte es auf meine eigene Art und Weise tun. Also schneide ich mir nicht die Haare, damit ich männlicher aussehe. Es sollte kein Non-binary-Ding sein, androgyn oder neutral auszusehen.

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Für die Menschen, die dich nicht kennen: Was für Kunst machst du sonst?
Bei meiner Kunst geht es um Trauma-Verarbeitung. Beispielsweise die Wangenspreizer: Ich hatte als Kind Schmelzhypoplasie. Wenn ich Süssigkeiten gegessen habe, hat das sofort meinen Zahnschmelz angegriffen. Einer meiner Zähne ist nicht echt, auch deswegen hatte ich immer Angst, meine Zähne zu zeigen. Darum wollte ich etwas machen, das das exponiert. Das Trauma arbeitet mit mir, nicht gegen mich. Ich versuche, die Beziehung zu meinem Körper zu schlichten.

Was gibt es dir, Kunst zu machen?
Ich fühle mich dadurch vollkommen und glücklich. Besonders im aktuellen politischen Klima, das so düster ist, will ich etwas kreieren, das nichts damit zu tun hat. Ein sicherer Ort für andere Leute. Ich kreiere diesen Ort auch für mich selbst. Es ist meine kleine Insel und alle, die kommen wollen, sind willkommen.

Deine Kunst ist oft düster und unheimlich. Was fasziniert dich daran?
Das ist für mich ein sicherer Ort. Ich habe mich schon immer im Dunkeln sicher gefühlt. Für mich ist es ein kraftvoller Ort. Es geht mir nicht darum zu schockieren.

Was ist das grösste Kompliment, das du für deine Kunst bekommen hast?
Ich liebe es, wenn die Menschen sagen, dass sie sowas noch nie gesehen haben. Ich versuche, ohne Worte ein Gefühl zu erklären, und wenn ich merke, dass es jemand verstanden hat, habe ich meinen Job gemacht. Auch immer, wenn jemand sagt, dass ihnen meine Kunst hilft. Das ist auch eines der grössten Komplimente für mich.

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