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Popkultur

Detlef D! Soosts Talkshow ist eine Beleidigung für jeden Zuschauer

Die erste Sendung mit dem Thema "Ich bin zu geil für diese Welt" zeigt, dass die Ära von Arabella, Vera und Co. zu Recht vorbei ist.
Foto: RTL II | Stefan Behrens

Machen wir uns nichts vor: Das deutsche Fernsehen ist ziemlich am Arsch. In den USA wurden gerade die Emmys verliehen und dort wurde wieder klar, dass die Zeiten vorbei sind, in denen sich alles um die Befindlichkeiten des weißen, heterosexuellen Protagonisten drehen muss. Ein Beweis dafür also, dass es Sinn macht, neuen Perspektiven Raum zu geben. In Deutschland ruht man sich bis auf wenige Ausnahmen darauf aus, dass man die Hits aus den USA ins Deutsche synchronisieren und dann spät nachts ins Nichts versenden kann und holt einfach ein Sendeformat zurück, was wirklich absolut niemand vermisst hat: Talkshows. Und das ausgerechnet mit Detlef D! Soost.

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Versteht mich nicht falsch, ich habe Arabella, Ricky und Co. früher geliebt. Mittlerweile brauche ich aber keine Nachmittagsshows mehr, wenn ich Menschen, die ein bisschen zu sehr von sich selbst überzeugt sind, dabei zusehen möchte, wie sie sich gegenseitig beschimpfen. Ich logge mich einfach bei Twitter ein.

Der ehemalige Tanzlehrer, Castingshow-Juror und derzeitige Motivationscoach soll mit der Sendung Detlef Soost trotzdem die "direkte Kommunikation" zurückbringen, die "in unserer digitalisierten Gesellschaft zunehmend auf der Strecke" bleibt, wie es im Pressetext von RTL2 heißt. Dafür lädt er fünf Tage die Woche um 15 Uhr Menschen wie dich und mich oder die nervigen Nachbarn ein, um mal Klartext zu reden. Denn wo ginge das besser als in einer Sendeumgebung, in der schon früher die ganz großen Themen des menschlichen Miteinanders verhandelt wurden – Liebe, Hass und Vaterschaftstests?


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Unklar, ob RTL2 den großen Zeiten nachtrauert, als der Fernseher noch den Mittelpunkt des Lebens darstellte, und Zeiten zurück beschwören wollte, als sich noch vor Studiopublikum und nicht über Twitter beleidigt wurde. Vielleicht ist das letzte große Pitch-Meeting auch ein bisschen ausgeartet, der Redaktionsleiter hat einmal zu oft gesagt, dass es "keine schlechten Ideen" gibt und irgendjemand hat voller Euphorie (oder Amphetaminen) gerufen: "Was, wenn Detlef D! Soost die neue Arabella wird?"

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In jedem Fall IST Detlef D! Soost jetzt die neue Arabella und widmet sich direkt in der ersten Sendung einem absoluten Knallerthema. Unter dem Titel "Ich bin zu geil für diese Welt!" wurden Personen ins Studio eingeladen, die offenkundig nur deswegen nicht bei Berlin – Tag & Nacht mitspielen, weil sie zu wenig tätowiert sind.

Schon das Intro irritiert und erinnert eher an eine hippe Gaming-Sendung aus den 90ern, als an ein Format, in dem es um menschliche Schicksale und "brisante Themen" geht. Neon-Pfeile, die ein bisschen aussehen wie diese Teile in Mario Kart, bei denen das Auto ganz schnell wird, wenn man drüberfährt, schweben um die muskulöse Silhouette von D!. Mit dem Mann ist nicht zu spaßen, sagt sein Gesichtsausdruck. Das wussten die jungen Menschen, die Anfang der 2000er ihre Schule geschmissen haben, um bei Popstars auf eine Karriere als One-Hit-Wonder zu hoffen, freilich schon längst. Aber das ist lange her.

Das Studio mit Backstein-Tapete, viel Metall und einem schmalen Holztresen in der Mitte soll offenbar Modernität ausstrahlen. "Ihr merkt schon zu Hause an den Bildschirmen, hier ist Stimmung drin, hier ist ordentlich Zunder drin", sagt Soost, nachdem er das Publikum dazu aufgefordert hat, doch etwas lauter zu klatschen.

Der erste Gast betritt in tarnfarbener Jeans-Leggins das Studio. "Salvatore, 24, findet alle gutaussehenden Frauen geil", verrät die Bauchbinde und damit ist eigentlich auch schon alles gesagt. Trotzdem halten es die Sendungsverantwortlichen für nötig, seine emanzipierte Schwester dazuzuholen, die allerdings auch nicht viel mehr zur Diskussion beizutragen hat, als dass Frauen "keine Spielzeuge" sind. Um anschließend alle Frauen als "dumm" zu bezeichnen, die mit ihrem Bruder im Bett landen.

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Sogar die Zuschauer, die – und das nehme ich jetzt einfach mal an – freiwillig in diesem Studio sitzen, sich also bewusst dafür entschieden haben, zu diesem Zeitpunkt an diesem Ort zu sein, werfen sich immer wieder irritierte Blicke zu. Erst als Salvatore davon spricht, von seinem Vater gelernt zu haben, "wie man Frauen erzieht", wird vereinzelt gebuht. Die emotionalen Reaktionen des Studiopublikums kommen als klassisches Talkshow-Element also wieder zum Einsatz. Eine Frau mittleren Alters erstickt den Versuch von D!, so etwas wie eine kontroverse Auseinandersetzung zwischen Gast und Zuschauern loszutreten, allerdings direkt im Keim. "Vielleicht hat er es nur so gesagt, aber anders gemeint", sagt sie. Und irgendwo in Deutschland sitzt Britt auf einer gelben Couch und verzieht verächtlich den Mund.

Auch als der zweite "Macho" vorgeführt wird, der mit vergoldeter Fahrradkette um den Hals den "bergischen Hugh Hefner" gibt, wird nicht klarer, was genau die Intention der Show ist. Der ebenso empathie- wie planlos wirkende Moderator scheint weder interessiert an den Geschichten seiner Gäste zu sein, noch daran, das Thema der Sendung zu diskutieren. Vielleicht sieht durch den Schleier der Nostalgie alles ein bisschen besser aus, aber Arabella hat man immerhin noch abgenommen, dass sie ein Interesse daran hatte, Familientragödien, Affären und andere zwischenmenschliche Konflikte verständlich aufzudröseln – oder es zumindest zu versuchen. Von D! gibt es nur seltsame Grimassen, willkürliche Einwürfe aus seinem Privatleben und Wortmeldungen aus dem Publikum, die von ihrer schauspielerischen Qualität her an die Gerichtsshow Richterin Barbara Salesch erinnern.

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Was genau bedeutet es, sich "zu geil für diese Welt" zu fühlen? Woher kommt das? Was unterscheidet die drei Machos (ein Jeans-Verkäufer, den profilneurotischen Sohn einer reichen Unternehmersfamilie und einen beinahe rührend schlechten Nachwuchsrapper) voneinander? Wir erfahren es nicht. Stattdessen wird eine weitere Frau an den Tresen gebeten, die sich weder zu geil für die Welt findet, noch mit einem der Anwesenden verwandt ist, geschweige denn irgendetwas zur Diskussion beizutragen hat. Auch hier erfahren wir nicht: WARUM?

Detlef Soost verbreitet über die komplette Länge der Sendung den Charme eines schlecht nachsynchronisierten Kochs, der auf einem Home-Shopping-Kanal Gemüsereiben verkauft – nur, dass es nichts zu verkaufen gibt. Keine spannenden Geschichten, keine Emotionen, nur Menschen, die darauf warten, dass endlich irgendwas passiert. Dass nichts passiert, liegt eben auch daran, dass Soost immer genau dann unterbricht, wenn das Gespräch interessant werden könnte. Das zeigt sich vor allem beim letzten Gast.

Die 22-jährige Rachel ist die einzige anwesende Frau, die sich als Geschenk an die Menschheit sieht – und anscheinend auch die einzige Person, die wirklich etwas zu erzählen hat. Sie wurde früher gemobbt, erzählt sie unaufgefordert, und musste nach einem Bandscheibenvorfall ihren Job als Krankenschwester aufgeben. Mittlerweile verkauft sie Brötchen, hasst ihren Job und redet sich dafür verzweifelt ein, etwas Besseres als alle anderen zu sein. Jetzt, denke ich mir, könnte man doch endlich mal wirklich darüber reden, ob Selbstüberhöhung nicht auch häufig einfach nur ein Selbstschutzmechanismus ist und dieser einstündigen Verschwendung von Lebenszeit so etwas wie Relevanz geben. Andreas Türck hätte jetzt sicher seinen besten Hundeblick aufgesetzt und die anderen Gäste gefragt, ob es auch in ihrem Leben einen Punkt gab, der sie auf den Egotrip gebracht hat.

Doch Soost nickt nur ungeduldig und stellt die letzte Frage des Nachmittags: "Wer sagt jetzt immer noch 'Ich bin zu geil für diese Welt?'" Alle, die es schon vorher getan haben, heben die Hand. Und ich bin nur erleichtert, dass es endlich vorbei ist.

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