Wer geht 2017 noch ins Internetcafé?

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Popkultur

Wer geht 2017 noch ins Internetcafé?

Stell dir vor, du willst deinen Facebook-Feed checken und musst dafür das Haus verlassen.

Im Grunde genommen sind Internetcafés ein bisschen wie Cher: Übrig geblieben aus einer Zeit, in der die Wüste noch ein Ozean war, und inzwischen einfach nicht mehr ganz State of the Art. Aber das ist OK, denn sowohl Cher als auch Internetcafés wissen selbst wahrscheinlich am besten, dass sie Auslaufmodelle sind – was ihre Hartnäckigkeit beinahe schon wieder liebenswert macht.

Der einzige Unterschied: Cher ist nun mal Cher und wird deshalb für immer leben – Internetcafés hingegen sterben schon seit Jahren einen qualvollen und nicht zuletzt auch völlig logischen Tod: 82 Prozent der österreichischen Internetnutzer surfen inzwischen auf ihrem Smartphone, jeder U-Bahn-Waggon ist somit ein eigener EDV-Raum und ehrlich gesagt verbringen wir wohl inzwischen alle mehr Zeit on- als offline. Die Idee, in ein Lokal zu gehen, dort einen Euro zu bezahlen, um dafür eine halbe Stunde Facebook zu bekommen, ist im Jahre 2017 bestenfalls nischig.

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Und doch soll es sie – glaubt man Google – noch irgendwo geben: Die letzten Internetcafés dieser Stadt, die ihr überholtes Konzept tapfer (und vielleicht auch ein bisschen stur) weiterführen. Die erste und mir nächstbeste Adresse, die mir Yelp vorschlägt, ist das "Alphanet Internetcafé" in Favoriten. Dort angekommen frage ich kleinlaut, wo denn hier das Internet sei und versinke geradewegs im Boden. Der Inhaber lacht mich wenig überraschend aus – auf eine gutmütige Art. Es ist die wahrscheinlich höflichste Schadenfreude, die mir je entgegengebracht wurde.

Schließlich erklärt er mir, dass dies schon seit mindestens sechs Jahren kein richtiges Internetcafé mehr sei, lediglich der Name sei derselbe geblieben. Inzwischen werden hier jedoch nur noch Macs repariert. Das Warum erklärt sich von selbst. Ich nicke verständnisvoll.

Als Entschädigung für die ausgeteilte Häme werden mir nahegelegene Cafés empfohlen, in denen tatsächlich noch Internet verkauft wird. Ich bin aufgeregt, gehe überall hin, werde fast überall enttäuscht. Drei der vier genannten Lokale, die früher mal Internetcafés waren, haben sich inzwischen umorientiert: eine Handyreparatur-Stelle, ein Zockerlokal mit viel zu vielen Playstations und ein Wettbüro. Auch hier erklärt sich das Warum von selbst: Das große Internetcafé-Sterben zieht seine Kreise. Erst an der letzten Adresse habe ich Glück: Internet – eine Stunde, ein Euro.

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Der Inhaber, der verschwitzt und rotäugig über seinem Tresen hängt, wirkt mindestens so fertig wie sein Werbeaufsteller und möchte wirklich, wirklich nicht mit mir sprechen – müde ist er, schlecht drauf ist er, viel zu tun hat er. Zwei Handy-Reparaturen, die heute noch durchgeführt werden müssen. Auch hier ist Internetzugang allerhöchstens ein zusätzliches Angebot, das zwar noch genutzt werden kann, aber eben nicht der heißeste Scheiß ist.

Mir bleibt also nichts anderes übrig, als auf meinem Smartphone nach dem nächstgelegenen Internetcafé zu googeln. In der Martinstraße im 18. Bezirk, umgeben von einem Notar-Büro, der Zentrale der ÖVP Währing und einer Postfiliale, liegt das "Click Net" – ein Traum in Schwarz-Türkis, dessen Schaufenster der Hashtag der Babyboomer-Generation ziert: ein riesiges, strahlend gelbes Klammeräffchen. Die gesamte Neunziger-Jogginganzug-Farbpalette einmal durchgenudelt.

Drinnen riecht es nach Räucherstäbchen und Grind, was irgendwie zur Einrichtung passt: Im Eck hängt eines dieser asiatischen Bambus-Rollos mit tropischem Inselmotiv, die restliche Wanddeko besteht aus orange-gelben Lampen, aus denen lauter CD-Rohlinge wie kleine Wolken aufsteigen. Das ist grundsätzlich alles sehr Tine Wittler und wäre auch durchaus sympathisch, würde es in seiner Gesamtheit nicht an ein runtergekommenes RTL-Talkshow-Studio erinnern. Wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich denken, ich wäre inmitten der sterblichen Überreste von Vera am Mittag.

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Der Inhaber lächelt nur skeptisch, als ich frage, ob hier auch mal mehr los sei. Auch hier kämen die Leute hauptsächlich her, um ihre Handys reparieren zu lassen. Noch bin ich der einzige Kunde. "Hier passiert nichts" – das soll mir recht sein. Ich bestelle einmal Internet und bekomme Rechner #1 zugewiesen.

Weil man hier rauchen darf, ich aber gerade mit dem Werktagsrauchen aufhöre und deshalb keine Zigaretten dabei habe, ärgere ich mich kurz über die verpasste Gelegenheit, einmal wie Carrie Bradshaw einen frühzeitlichen Computerbildschirm anzupofeln. Und so kam ich nicht umhin, mich zu fragen: Werden wir weiser – oder nur älter?

Wie jeder normale Mensch wühle ich mich zuallererst unverschämt durch den Browserverlauf des Computers, in der Hoffnung, direkt von Pornos oder peinlichen Chatverläufen erschlagen zu werden. Jede Berührung mit der Maus oder der Tastatur ist so klebrig, dass ich befürchte, mir jeden Moment einen Tripper auf den Handflächen einzufangen. Zu meiner Enttäuschung steht im Verlauf in erster Linie "Mein eAMS", "Formular s363 Wohnbeihilfe" , illegale Streams von asiatischen Spielfilmen sowie eine Wiki-Seite mit Hintergrundinfos zu ebendiesen asiatischen Spielfilmen. Die Vorstellung, ins Internetcafé zu gehen, um dort einen ganzen Film zu streamen, fasziniert mich. Modernes Kino.

Müde ist er, schlecht drauf ist er, viel zu tun hat er.

Einem Gmail-Login zufolge dürfte nur einige Stunden zuvor ein Julian an Rechner #1 gesessen haben, der am Institut für Recht der Wirtschaft studiert und erst vor kurzem mit seiner Freundin in irgendeiner Wüste war. Julian hat sich die Unterlagen zur Vorbereitung für die erste Einheit runtergeladen und ein gemeinsames Urlaubsfoto gespeichert, das ich nur allzu gerne von diesem Computer lösche, weil ich gut erzogen bin. Gern geschehen!

Leider ist es heutzutage viel zu einfach mit einem völlig fremden Menschen in Kontakt zu treten, von dem man nichts weiter weiß, als Vornamen und Ausbildungsstätte. Ich frage Julian, warum er für Uni-Zeugs ins Internetcafé geht. Seine Erklärung ist ebenso einfach wie nachvollziehbar – dort seien die Kopien billiger als im Copy Shop. Acht Euro statt dreißig. "Sind sparsame Studenten womöglich der Grund, warum es heutzutage noch Internetcafés gibt?", denke ich kurz – ehe mir wieder das Formular s363 Wohnbeihilfe einfällt.

Die Idee, für Internet das Haus verlassen zu müssen, mag für uns vielleicht absurd erscheinen – dabei sind Internetcafés 2017 wichtiger, als wir zunächst annehmen würden. Jobausschreibungen finden, Bewerbungen schreiben und abschicken, Antragsformulare ausfüllen – solche Dinge gehen ohne Internet nicht mehr. Und solange man dafür (mehr als ein paar wenige Euro) zahlen muss, ist man einem Teufelskreis gefangen, aus dem einen nur hilfsbereite Mitmenschen oder Einrichtungen wie etwa das Café "ZwischenSchritt" in Simmering wieder rausholen können. Und genau deshalb müssen wir auch dafür sorgen, dass öffentlicher Zugang zum Internet mindestens genauso lange lebt wie Cher – für Menschen ohne Smartphone, ohne Internetverbindung und ohne Zuhause.

Franz auf Twitter: @FranzLicht